Gruselkabinett 99: Die Toten sind unersättlich

Er hat sich sein Leben lang dagegen gewehrt, dass sein Name von Psychiatern und Medizinern zur Vorlage einer „Störung der Sexualpräferenz“ gemacht wurde. Doch die Verbindung zwischen Lust und Schmerz sowie die theatralisch inszenierte Unterwerfung war in den Geschichten von Leopold von Sacher-Masoch (1836-1895) durchaus Thema. Das gilt auch für die von Titania Medien vertonte Geschichte „Die Toten sind unersättlich“, eine nicht ganz gewöhnliche Vampirgeschichte.

von Frank Stein

Folge 99 der enorm erfolgreichen und langlebigen Hörspielreihe „Gruselkabinett“ wartet mit einer Premiere auf. Erstmals wird eine der Erzählungen von Leopold von Sacher-Masoch präsentiert, des Mannes, der einst ein populärer Unterhaltungsautor war, heute aber praktisch nur noch als Namensgeber für den Masochismus bekannt ist. Die Geschichte ist zunächst eine in ihren Motiven enorm klassische Gruselmär, die allerdings im Laufe der Handlung eine bemerkenswerte Entwicklung nimmt.

Wir befinden uns in den verschneiten Karpaten in den 1880er Jahren. Der Erzähler Bartek ist häufig zu Gast bei der Familie des Landedelmannes Bardoßoski. Dessen Tochter Aniela ist verlobt mit einem anderen Edelmann namens Manwed Weroski. Außerdem ist auch noch ein benachbarter Gutshofbesitzer namens Konopka, der ebenfalls Aniela anhimmelt, Teil des geselligen Kreises, der immer wieder zusammenkommt, um sich am Kamin über Gott und die Welt zu unterhalten. Eines Abends kommt das Gespräch auf ein altes, halb verfallenes Schloss, das sich in den Bergen erhebt. Dort soll ein wunderschönes Bild der längst verstorbenen Fürstin Marina Tartakowska hängen, das einen auf geradezu unheimliche Weise anschaut. Und es soll dort eine bezaubernde Marmorstatur der Fürstin geben, die in gewissen Nächten zum Leben erwacht und durch die Gänge wandelt.

Von einer regelrecht fragwürdigen Neugierde angetrieben, will sich Weroski alleine zu dem Schloss aufmachen, um das Bild und die Mamorstatue zu sehen. Dort angekommen trifft er auf einen etwas unheimlichen Kastellan, der ihm den Wunsch erfüllt und Bild und Statue zeigt. Angst und Lust überkommen Weroski in gleichem Maße, und er verfällt dem Zauber des Schlosses und seiner steinernen Bewohnerin auf fatale Weise.

Eiskalte Nebel, heulende Wölfe, ein einsames Schloss, ein – so munkelt man – tausend Jahre alter Diener … viele der Elemente der 1875 erschienenen Geschichte nehmen vorweg, was uns spätestens seit dem 22 Jahre später publizierten Roman „Dracula“ als typische Motive eines Vampirromans erscheinen. Das erzeugt auf wunderbare Weise eine klassische Gruselatmosphäre, die in dem Hörspiel durch die Sprecher (besonders markant: David Nathan als manischer Weroski, Kaspar Eichel als unheimlicher Kastellan und Antje von der Ahe als diabolische Untote), die Toneffekte und die Musik treffend unterstützt wird.

Etwa zur Mitte des Hörspiels schlägt das Ganze dann eine nicht völlig abwegige, aber doch in ihrer Deutlichkeit ungewöhnliche Richtung ein. Lust und Schmerz,Verlangen und Verdammnis liegen im Vampirmythos ja schon seit jeher eng beisammen. Und auch Weroski wird seiner Marmorfrau völlig verfallen, was ihn einerseits in den Wahnsinn zu treiben scheint, ihm aber auch andererseits glühende Leidenschaften beschert, die zwischen ihm und der braven Aniela nicht wirklich zu bestehen schienen. Insofern mag man sich im Nachhinein fragen, ob Weroski wirklich mittels Zauberkraft in sein Verderben gezwungen wurde oder ob ihm nicht vielmehr die Unersättlichkeit des Lebenden zum Verhängnis wurde.

Interessante Seitenbetrachtung: Es gibt ein Gedicht von Heinrich Heine aus dem Jahr 1844, das „Helena“ heißt. Dort heißt es:

Du hast mich beschworen aus dem Grab
Durch deinen Zauberwillen,
Belebtest mich mit Wollustglut –
Jetzt kannst du die Glut nicht stillen.

Preß deinen Mund an meinen Mund,
Der Menschen Odem ist göttlich!
Ich trinke deine Seele aus,
Die Toten sind unersättlich.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sacher-Masoch dieses Gedicht als Inspiration für seine Erzählung nutzte, denn das Gedicht gibt die Handlung der Kurzgeschichte in bestechender Weise wieder.

Fazit: „Die Toten sind unersättlich“ mischt klassischen Grusel mit Wahnsinn und Liebesrausch zu einem wirklich gelungenen Hörvergnügen, erneut gekonnt von Titania Medien inszeniert. Dass die schauerlich-wolllüstige Vorlage von Sacher-Masoch alles andere als unwichtig für den Effekt des Hörspiels ist, soll dabei durchaus nochmal betont werden.


Gruselkabinett 99: Die Toten sind unersättlich
Hörspiel nach der Erzählung von Leopold von Sacher-Masoch
Marc Gruppe
Titania Medien 2015
ISBN: 978-3-7857-5116-9
1 CD, ca. 65 min., deutsch
Preis: EUR 8,99

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