Gruselkabinett 87: Alraune

Es entsteht selten Gutes daraus, wenn skrupellose Menschen Gott spielen und Leben im Labor schaffen wollen, nur um zu beweisen, dass sie es können. Schon Viktor Frankenstein musste das schmerzlich erfahren, nachdem er aus Leichenteilen ein Ungeheuer erschaffen hatte. Die Verschwörer um Professor Ten Brinken kennen dessen Schicksal offenbar nicht – und selbst wenn, wäre es ihnen vermutlich egal gewesen, denn die Lust am Verderbten merkt man der dekadenten Gesellschaft in dem Hörspiel „Alraune“ deutlich an. So nimmt das Unheil seinen Lauf.

von Frank Stein

Alraunen, aus der Gattung der Nachtschattengewächse, gelten als Ritual- und Zauberpflanzen. Allerlei Kräfte werden ihnen nachgesagt. Dabei sind sie hochgiftig und können bei Verzehr schon in geringen Mengen zum Tod führen. Die Wurzeln der Alraunen sind fleischig und oftmals gegabelt und ähneln dadurch nicht selten einer menschlichen Gestalt. Der Sage nach wachsen Alraunen besonders da, wo an einer Wegkreuzung ein zum Tode Verurteilter nackt gehängt wurde und sein letzter Samen auf die Erde getropft ist.

Dies alles erzählt man sich bei einer Feierlichkeit im Haus der Familie Gontram, nachdem eine hässliche und doch faszinierende Alraunenwurzel von der Wand gefallen ist und eine Bowle zerschlagen hat. Im Rausch von Alkohol und Gesellschaft kommen Professor Ten Brinken, die Fürstin Wolkonski und Ten Brinkens Neffe Frank Braun auf den fatalen Gedanken, dass man doch eine menschliche Alraune zeugen könnte, wenn man den Samen eines sterbenden Mörders mit einer wollüstigen Hure (als Verkörperung des Prinzips der Mutter Erde) zusammenbrächte. Aus dem Jux wird makaberer Ernst, und ein Jahr später bringt eine zum Dienst gepresste junge Frau ein Kind zur Welt, das ihr schon in der Geburtsnacht den Tod beschert. Das Mädchen, das Alraune getauft wird, wird Professor Ten Brinken übergeben – und sie alle werden ins Unglück stürzen.

„Alraune“ ist ursprünglich ein im Rheinland des Jahres 1905 angesiedelter phantastischer Roman von Hanns Heinz Ewers aus dem Jahr 1911. Da er voyeuristisch-reißerische Themen seiner Zeit behandelte, fand er extrem guten Absatz und wurde allein bis 1930 ganze fünf Mal verfilmt (und das zum Teil durchaus mit Staraufgebot der damaligen Zeit). Nun kommt die Geschichte als Folge 87 des „Gruselkabinetts“ von Titania Medien zu Hörspiel-Ehren. Das Sprecher-Ensemble versammelt eine Menge bekannter Namen. Johannes Raspe, Sabine Bohlmann, Hans Bayer, Liane Rudolph, Bene Gutjan, Jacqueline Belle, Gabrielle Pietermann, Kathrin Ackermann, Pascal Breuer, Solveig Duda, Wolfgang Welter, Tobias Lelle, Hasso Zorn, Manfred Lehmann, Harald Dietl, Johannes Steck, Marc Gruppe und Regina Lemnitz leihen den Figuren ihre Stimmen.

Die Umsetzung ist hervorragend gelungen. Musik und Geräusche unterstützen ein grandios aufspielendes Ensemble, das die Lasterhaftigkeit und den Wahn der Protagonisten gut zu vermitteln vermag. Im Gegensatz zur Romanvorlage dreht das Hörspiel noch ein wenig an der Geschmacksschraube. In Zeiten von TV-Serien wie „Game of Thrones“ oder „Spartacus“ kein Wunder. So geben sich die Figuren expliziter der Liebe und der Lust hin, als es mir bei einer „Gruselkabinett“-Folge bislang untergekommen wäre.

Wahrhaft gruselig ist das nur bedingt. Der übernatürliche Aspekt Alraunes wird nur sehr verhalten thematisiert. Es wird damit kokettiert, dass sie Eigenheiten von seelenlosen Nixen, blutsaugenden Vampiren und mondsüchtigen Werwölfen in sich vereint. Doch es bleibt bei der Andeutung. Es ist eher die Verderbtheit des Menschen, die einen hier das Grauen lehrt. Neid, Stolz, Kaltherzigkeit und ständige lustvolle Grenzerfahrung treibt die Figuren an. Besonders abscheulich erscheint einem Alraunes Schöpfer Ten Brinken, der sich an Kindern vergeht, während seine „Tochter“ ihren Liebhabern einer schwarzen Witwe gleich regelmäßig den Tod bringt, indem sie sie aus eiskalter Gleichgültigkeit heraus zu fatalem Leichtsinn verführt. Diese gewaltige Verführungsmacht, die Gabe, Männer wie Frauen zu ihren willigen Sklaven zu machen, die regelrecht um Alraunes Liebe betteln, ist das „phantastischste“ Element in diesem durchaus nicht bequemen Hörspiel.

Fazit: „Alraune“ ist kein typischer Vertreter der Reihe „Gruselkabinett“. Vampire, Geister und sonstige übernatürliche Wesen sucht man vergeblich. Vielmehr hat man es hier mit einer „moderneren Horrorgeschichte“ zu tun, in der das Grauen von den Menschen selbst ausgeht und das Phantastische im Wesen der Titelheldin nur angedeutet wird. Für einen gemütlichen Schauder eignet sich die Folge nicht. Wer aber bereit ist, in die Abgründe der menschlichen Seele zu blicken und am Ende ein mulmiges Gefühl in der Magengegend ertragen kann, für den ist dieses Hörspiel das Richtige.


Gruselkabinett 87: Alraune
Hörspiel nach dem Roman von Hanns Heinz Ewers
Marc Gruppe
Titania Medien 2014
ISBN: 978-3-7857-4966-1
1 CD, ca. 89 min., deutsch
Preis: EUR 6,99

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