Gruselkabinett 71: Der Eschenbaum

Der 1862 im englischen Kent geborene Montague Rhodes James war ein Altertumsforscher, der unter dem Namenskürzel M. R. James zahlreiche Geistergeschichten in der Tradition des von ihm verehrten Iren Joseph Sheridan Le Fanu verfasste und veröffentlichte. In England wurden diese seinerzeit recht populär, über die britischen Grenzen hinaus eher weniger. Mit Folge 71 der Titania-Medien-Reihe „Gruselkabinett“ kommt nun seine Erzählung „Der Eschenbaum“ als Hörspiel zu Ehren. Was seinen Bekanntheitsgrad wieder steigern könnte.

von Simon Ofenloch

 

Ost-England gegen Ende des 17. Jahrhunderts: An seinem Anwesen Castringham Hall in Suffolk schätzt Sir Matthew Fell Abgeschiedenheit und Ruhe, besonders nachts. Doch seit einiger Zeit ist es vorbei mit dem Frieden. In Vollmondnächten macht sich nämlich eine geheimnisvolle Frau aus dem umliegenden Dorf am alten Eschenbaum vor  seinem Schlafzimmerfenster zu schaffen. Diese alte Mrs. Mothersole steht im Ruf, eine gefährliche Hexe zu sein. Und tatsächlich scheint sie am Eschenbaum ein finsteres Ritual abzuhalten. Sir Matthew übergibt die Ruhestörerin dem Hexenjäger, der kurzen Prozess macht und die Alte zum Tode verurteilt. Doch bevor die unheimliche Mrs. Mothersole aus dem Leben geht, verflucht sie noch Sir Matthew und seine ganze Familie. Was nicht ohne Folgen bleibt. Ob die Verwünschung auch über Generationen hinweg Bestand und Macht hat, soll sich zeigen, als der Nachfahre Sir Richard Fell nach Ewigkeiten wieder in dem ehemaligen Schlafzimmer zu nächtigen beabsichtigt. Auch er schläft gerne bei offenem Fenster. Und vor diesem steht noch immer der alte Eschenbaum.

Auf zwei aufeinanderfolgenden Zeitebenen entwirft die Erzählung „Der Eschenbaum“ von M. R. James eine Geistergeschichte, bei der einiges im Vagen bleibt und die damit viele interessante Deutungsmöglichkeiten zulässt. Handfeste Schauer-Momente gibt es dennoch, das Übersinnliche lässt sich nicht von der Hand weisen. Oder doch? Wirklich reizvoll wird hier mit dem Ungewissen gespielt, das jeden Grusel umso nachhaltiger macht.

Alle beteiligten Sprecher, darunter Frank-Otto Schenk als mürrischer, kaltherziger Matthew Fell, Katarina Tomaschewsky als Mrs. Mothersole und Sebastian Schulz als Richard Fell, sind optimal gewählt und besetzt und leisten hervorragende Arbeit. Für die stimmige Atmosphäre sorgen eins ums andere Mal ausgesuchte Musikklänge, Geräusche und Effekte von hoher Qualität, das beständig überzeugende Rückgrat einer jeden Hörspiel-Produktion aus dem, man möchte schon sagen: „Traditionshaus“ Titania Medien.  

Das grandiose Cover der CD-Hülle, dessen Motiv wohl den berüchtigten Baum im Park des Anwesens auf raffinierte Art und Weise zeigt, hat wieder einmal Illustrationskünstler Firuz Askin beigesteuert.

Fazit: Die 71. Folge „Der Eschenbaum“ der schon vielfach ausgezeichneten Hörspielreihe „Gruselkabinett“ von Titania Medien liefert wieder 1A-Grusel-Unterhaltung mit einem eher weniger bekannten Vertreter der klassischen Schauer-Romantik. Die Vorlage des Briten M. R. James ist mit tollen Stimmen, passenden Geräuschen und probater Musik äußerst stimmungsvoll umgesetzt worden. Den überzeugenden Erzähler gibt wieder einmal der großartige Hasso Zorn.


Gruselkabinett 71: Der Eschenbaum
Hörspiel nach einer Erzählung von M. R. James
Marc Gruppe
Titania Medien 2012
ISBN: 978-3-7857-4720-9
1 CD, ca. 58 min., deutsch
Preis: EUR 8,99

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