Gruselkabinett 62: Rappaccinis Tochter

Der junge Giovanni Guasconti zieht zum Studium in die Stadt Padua. Dort lebt er in einer eher düsteren Herberge, die allerdings an einen höchst exotischen Garten angrenzt. Über den Besitzer sind einige unschöne Gerüchte im Umlauf. Jedoch gibt es dort auch eine wunderschöne junge Frau, deren Reizen sich Giovanni einfach nicht entziehen kann. Eine unheilvolle Beziehung nimmt ihren Lauf …

von Jakob Schwarz

 

Die 62. Episode der bereits erstaunlich lang laufenden und immer wieder aufs Neue spannenden Hörspiel-Reihe „Gruselkabinett“ vertont eine Kurzgeschichte des amerikanischen Schriftstellers Nathaniel Hawthorne (1804-1864). „Rappaccinis Tochter“ stammt aus dem Jahr 1844 und führt uns nach Italien, wo ein junger Student auf einen dem Wahn verfallenen Arzt und seine bezaubernde Tochter trifft.

Sehr viel versprechend beginnt das Hörspiel. Der Garten voll leuchtender, exotischer Pflanzen, von denen eine giftiger als die nächste zu sein scheint, übt nicht nur auf Giovanni, der ihn vom Balkon seiner neu bezogenen Herberge beobachtet, einen starken Reiz aus. Auch der Hörer möchte wissen: Was hat es mit diesem tödlichen Garten Eden auf sich? Wer ist der grantige Alte, der sich dort unter enormen Vorsichtsmaßnahmen herumtreibt? Und wer die junge Schöne, die mit den Todespflanzen spielt, als wären sie ihre Schwestern?
 
Die Fantasie des Hörers beginnt auf Hochtouren zu laufen, als er mit Giovanni (im Traum?) miterlebt, wie die junge Frau, die scheinbar die Tochter des Alten ist, von diesem gequält wird. Was er mit ihr anstellt, wird erst am Ende gelüftet, doch bis dahin fallen einem einige Grausamkeiten ein. Natürlich will Giovanni die Geheimnisse des Gartens lüften – und vielmehr noch will er das Herz der jungen Dame gewinnen.

Leider erweist sich der Haken, den das Ganze hat, als nicht so schaurig, wie man es sich ausgemalt hat. Tragisch endet die Geschichte, das ja. Aber ansonsten ist der Schluss eher unbefriedigend. Was der Alte wirklich mit seinen Experimenten erreichen wollte, wird wohl immer ein Rätsel bleiben. Auch das Schicksal des Protagonisten bleibt ungeklärt. Tatsächlich endet das Hörspiel so abrupt, dass man glauben könnte, es fehle der Schlusstrack. Doch ein Blick in die Kurzgeschichte enthüllt, dass schon Hawthorne am Ende offenbar schnell fertig werden musste oder aber kein Interesse an seinem Helden mehr hatte. So bleibt das Ganze eine Geschichte mit starkem Einstieg, interessantem Mittelteil und eher enttäuschendem Ende.

Technisch gibt es einmal mehr nichts zu kritisieren. Musik, Geräusche und Sprecher harmonieren sehr schön und entführen einen gekonnt ins sommerliche Padua. Max Felder gibt den Giovanni als schmachtenden Jüngling, der lieber auf seine Gefühle hört, als auch den Rat älterer Männer. Manfred Erdmanns Rappaccini ist ein kalter, abweisender Mann, den ich mir allerdings etwas „diabolischer“ gewünscht hätte, etwas „fieser“. Jacqueline Belle schließlich ist die sanftmütige Schöne, die leider allzu lieb und passiv daherkommt – aber das ist zweifellos der Entstehungszeit der Geschichte geschuldet. Heute hätte man aus dem süßlich-vergifteten Setting sicher noch einiges rausholen können.

Fazit: Sanfter Schauer mit italienischem Flair erwartet einen in „Rappaccinis Tochter“. Leider wartet das Ende eher mit zynischer Moral, als mit einem gekonnten Schauerfinale auf. Zudem endet alles sehr abrupt. Doch bis dahin bleibt dem Hörer fast eine Stunde schleichend unheilvolle Unterhaltung.


Gruselkabinett 62: Rappaccinis Tochter
Hörspiel nach einer Erzählung von Nathaniel Hawthorne
Marc Gruppe
Titania Medien 2012
ISBN: 978-3-7857-4639-4
1 CD, ca. 58 Minuten, deutsch
Preis: EUR 8,99

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