Gruselkabinett 59: Das violette Automobil

Anfang der 1920er kommt die junge Krankenschwester Georgia Kane ins Landhaus des in Südengland lebenden älteren Ehepaars Eldridge. Sie soll dort jemanden pflegen. Seltsamerweise scheinen beide Ehepartner jeweils die Pflege des anderen für nötig zu halten. Welches dunkle Geheimnis umgibt die beiden?

von Jakob Schwarz

 

Episode 59 der erfolgreichen Hörspiel-Reihe „Gruselkabinett“ von Titania Medien widmet sich einer Erzählung der Autorin Edith Nesbit (1858-1924), die sich Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem als Kinderbuchautorin hervortat. Man schreibt ihr zu, einen neuen Stil der Kinder-Fantasy populär gemacht zu haben, der realistisch geschilderte Kinder in einer zeitgenössisch realen Umgebung mit magischen Gegenständen und Abenteuern in Verbindung brachte.

„Das violette Automobil“ ist eine der Schauer-Kurzgeschichten, die sie nebenbei für Erwachsene schrieb. Dabei trifft es „Schauer“ ganz gut, denn im Gegensatz einiger ihrer männlichen Kollegen, die zum Teil zeitgleich, zum Teil nur wenige Jahre nach ihr tätig waren, wird man in dieser Geschichte weder Schrecken aus uralten Zeiten noch blasphemisches Grauen finden. Stattdessen setzt das Ganze auf die typischen Elemente einer englischen Geistergeschichte.

An einem abgeschiedenen, wildromantischen Küstenstrich in Südengland lebt zwischen heiteren Sonnentagen und neblig unheilvollen Nächten das alte Ehepaar Eldridge. Robert und Marian lieben sich anscheinend innig, aber es hängt ein tragisches Geheimnis über ihrem Leben. In diese Welt wird die junge, etwas naiv-fröhliche Krankenschwester Georgia Kane geworfen. Sie soll jemanden vor Ort pflegen. Doch ob nun die Dame oder der Herr des Hauses krank ist, wird ihr nicht so ganz klar. Als sie – zunehmend verwirrt – auf Antworten drängt, kommt ein dunkles Ereignis der Vergangenheit zutage, das die Eldridges nie überwunden haben.

Die Atmosphäre ist, wie so oft in Titania-Medien-Hörspielen, wundervoll gelungen. Kalter Seewind pfeift einem um die Ohren, Regen prasselt vom Himmel, eine unheilschwangere Musik umschleicht die Szenerie und Doris Gallart und Eckart Dux geben in einer Mischung aus Fürsorge und Schroffheit dem Ganzen ein Zentrum, dem man vom ersten Moment an nicht so richtig trauen mag. Was verbergen diese beiden Alten? Und was haben sie mit der jungen Frau vor? Genau diese Unsicherheit, die den von zahlreichen Gruselgeschichten überreizten Geist manches Zuhörers zum Rotieren bringt, macht einen Großteil der Qualität des Hörspiels aus.

Das Finale ist dann eher tragisch, als schauerlich. Man verspürt eher Mitleid, als Furcht. Und man möchte alle Beteiligten packen und schütteln und ihnen zurufen, das Vergangene ruhen zu lassen. Doch so leicht lässt uns Edith Nesbit nicht gehen. Ganz interessant ist die Tatsache, dass die Autorin mit einem Automobil ein zu ihrer Zeit hochmodernes Stück Technik ins Rampenlicht rückt. Gerade dieser Widerspruch aus rückständiger, naturbelassener Abgeschiedenheit und dem darin gewaltsam einbrechenden Symbol der Moderne regt zu Gedankenspielen an, inwiefern Nesbit auch ein Stück Zeitkritik in diese kleine, scheinbar so nostalgische Geschichte hat einfließen lassen.

Fazit: Wirklich grausig ist „Das violette Automobil“ nicht. Der Schauder ist eher sanfter, tragischer Natur, obwohl das doppelte Rachemotiv noch mehr hergegeben hätte (bei Poe oder Lovecraft wäre der Wahnsinn der Protagonisten sicher deutlicher zutage getreten). Wer auf eher explizitere oder dunklere Kost steht, wird sich hier vermutlich langweilen und sollte lieber zu Hörspielen wie „Die Spinne“ oder „Pickmans Modell“ greifen. Liebhaber melancholischer Geistergeschichten sind hier dagegen genau richtig.


Gruselkabinett 59: Das violette Automobil
Hörspiel nach einer Erzählung von Edith Nesbit
Marc Gruppe
Titania Medien 2011
ISBN: 978-3-7857-4530-4
1 CD, ca. 65 Minuten, deutsch
Preis: EUR 8,99

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