Gruselkabinett 53: Die Herrenlose

Schauriges Seemannsgarn hat nun wahrlich eine lange Tradition. In der Hörspiel-Reihe „Gruselkabinett“ von Titania Medien hat es bislang kaum eine Rolle gespielt. Das ändert sich mit „Die Herrenlose“, basierend auf der Kurzgeschichte „The Derelict“ aus dem Jahr 1912, die von William Hope Hodgson (1877-1918), einem englischen Autoren mit Faible für mysteriöse Seefahrergeschichten, verfasst wurde.

von Frank Stein

Wir schreiben das Jahr 1900. Der junge Mediziner Dr. Dark hat soeben sein Examen abgeschlossen, und um seinen angeschlagenen Nerven ein wenig Erholung zu gönnen, heuert er auf dem Segelschiff „Bheopte“ als Schiffsarzt an. Nach einem schweren Unwetter muss das Schiff notgedrungen auf See halten, um Reparaturen durchzuführen. Die wenigen Passagiere, unter ihnen eine Dame namens Eleanor Main und ihre bezaubernde Nichte Constance, sind derweil zur Tatenlosigkeit verdammt.

Da entdeckt die Besatzung ganz in der Nähe ein herrenloses Schiff, das schon seit Jahren auf dem Meer treiben mag. Eine Mischung aus Neugierde und romantischem Gruselbedürfnis veranlasst Constance und Dr. Dark, Captain Gannington zu einem Ausflug auf die Herrenlose zu überreden. Nach einigem Drängen willigt der ein und lässt sie mit sechs Matrosen sowie dem 1. Maat und dem 2. Maat übersetzen. Er selbst ist ebenfalls mit von der Partie. Sie alle sollen es bitter bereuen, denn wie sich herausstellt, ist das Schiff von einem seltsamen Eigenleben erfüllt.

Das Hörspiel fängt sehr ruhig an. In der ersten Hälfte passiert recht wenig, und es zieht sich ein bisschen. Es wird viel geredet, zum Teil auch einfach geplappert und gelacht, um die Handlung bis zum Auftauchen und schließlich Übersetzen auf die Herrenlose zu strecken. Ab dem Moment allerdings nimmt die Spannung kontinuierlich zu, um sich am Ende in einem echt fiesen und auch nicht wenig ekligen Finale zu einem echten Höhepunkt unter den „Gruselkabinett“-Produktionen aufzuschwingen. Dass bei all dem vieles unerklärt bleibt, ist der Atmosphäre zusätzlich förderlich. Man fühlt sich zwischen sirupartigem Schaum, dampfendem Schimmel und stinkenden Seegewächsen ein wenig an Lovecraft’sches Grauen erinnert.

Technisch weiß auch diese Episode des „Gruselkabinetts“ absolut zu gefallen. Das Sounddesign unterstreicht mit Meeresrauschen, Möwengekreisch, dem Knarren der Segel und dem Pfeifen des Windes dezent den Dialog. Auf der Herrenlosen kommen unheimliche Laute aus dem Bauch des Schiffes dazu. Leise Musik begleitet Friedrich Georg Beckhaus, der als angenehmer Erzähler fungiert, und sorgt außerdem für zunehmendes Unbehagen an Bord der Herrenlosen. Unter den Sprechern sticht für meine Ohren besonders Hans Teuscher hervor, der den Captain Gannington wunderbar bärbeißig gibt. Almut Eggert gefällt in der Rolle der zaudernden „alten Jungfer“ Eleanor Main, Antje von der Ahe spricht ihre Nichte als kecke junge Frau. Ein bisschen ungeschickt gewählt sind die Stimmen von Doktor Dark (Johannes Berenz), dem 1. und dem 2. Maat. Die drei Männer klingen so ähnlich, dass man sie mitunter nur schwer auseinanderhalten kann. Das Drehbuch kompensiert diesen Umstand durch häufige, gegenseitige Namensnennungen, sodass man trotzdem einen recht guten Überblick behält.

Fazit: Das Hörspiel mag mit ein oder zwei Szenen beginnen, die es nicht gebraucht hätte, weil in ihnen vor allem Smalltalk betrieben wird. In der zweiten Hälfte entschädigt es den Hörer dafür mit einem Schauer, der letztlich in ein wahres Horror-Finale umschlägt. Die Darstellung der Atmosphäre auf der Herrenlosen ist sowohl Autor Hodgson, als auch den Machern bei Titania Medien großartig gelungen! Ein Titel, der seinen Platz in der Reihe „Gruselkabinett“ mehr als verdient hat.


Gruselkabinett 53: Die Herrenlose
Hörspiel nach einer Erzählung von William Hope Hodgson
Marc Gruppe
Titania Medien 2011
ISBN: 978-3-7857-4477-2
1 CD, ca. 66 Minuten, deutsch
Preis: EUR 8,99

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