Gruselkabinett 39: Der Tempel

Wir schreiben das Jahr 1917. In den Kriegswirren eskaliert die Situation an Bord des deutschen U-Bootes S.M. U 29. Hat das merkwürdige Verhalten der Mannschaft etwas mit einer aus Elfenbein geschnitzten Statue eines Lorbeer-bekränzten Jünglinghauptes zu tun, die der Hand eines toten, feindlichen Seemannes entwunden wurde? Kapitänleutnant Altberg-Ehrenstein steht vor einem Rätsel.

von Frank Stein

 

Im Kriegsjahr 1917 befindet sich das U-Boot S.M. U 29 im Atlantik auf Feindfahrt. Zu Beginn wird vor der amerikanischen Küste ein Versorgungsschiff versenkt. Die Besatzung lässt man ertrinken. Als das Boot später wieder auftaucht, liegt die Leiche eines jungen Mannes an Deck. Er hat eine Elfenbeinstatuette in Form eines Jungenkopfes bei sich, wobei das Gesicht irgendwie an ihn selbst erinnert. Obwohl der Tote der Besatzung unheimlich ist, nimmt Leutnant Klenze, der zweite Mann an Bord, die Figurine an sich, bevor der Junge ins Meer geworfen wird.

In den Folgetagen wird die Stimmung an Bord immer schlechter. Die abergläubische Besatzung hat das Gefühl, die Toten würden sie – angeführt von dem Jungen – verfolgen, weil sie die Figurine zurückwollen. Kapitänleutnant Altberg-Ehrenstein will von solchem Humbug nichts hören. Doch ganz gleich, wie hart er durchgreift: Wahn und Aggression nehmen immer mehr zu. Dann kommt es zu Todesfällen und obendrein explodiert unerklärlicherweise die Maschine. Mitten im Atlantik gestrandet, treibt S.M. U 29, von einer unverzeichneten Meeresströmung gezogen und von unheimlichen Delfinsichtungen begleitet, immer weiter nach Süden – seinem Untergang entgegen …

Nachdem mittlerweile viele Klassiker der Schauerromantik durch die Reihe „Gruselkabinett“ vertont worden sind, wendet sich diese in letzter Zeit auch verstärkt moderneren Schauergeschichten zu (was sowohl für die Wahl der Autoren als auch der Stoffe gilt). Das Hörspiel „Der Tempel“ basiert etwa auf einer Geschichte vom Howard Phillips Lovecraft, dem Erfinder des Cthulhu-Mythos. Und auch wenn keine direkten Verweise auf Große Alte in der Geschichte vorkommen, fühlt man sich mit dem Zusammenprall von Moderne (U-Boot) und archaischer Zeit (Atlantis-Mythos) von der Stimmung her an bekanntere cthuloide Geschichten erinnert. Die Kurzgeschichte gilt eher als mittelmäßig, was vor allem daran liegt, dass Lovecraft profunde Unkenntnis der Sitten auf deutschen U-Booten und der technischen Möglichkeiten selbiger vorgeworfen wird.

Gerade diese Kritikpunkte haben sich die Macher bei Titania Medien offensichtlich zu Herzen genommen und in diesem Zusammenhang behutsam in den Originaltext eingegriffen. Während in Lovecrafts Geschichte der harte Knochen Altberg-Ehrenstein noch Mann für abergläubischen Mann seiner Besatzung persönlich erschießt, sind es hier eher Unfälle und Fahnenflucht, die zur Reduzierung der Seeleute führen. Auch zieht die Meeresströmung das Boot nicht gleich in unermessliche Tiefen, sondern über weite Teile der Handlung an der Oberfläche des Meeres oder in geringer Seetiefe entlang. Die wahnhaft klaustrophobische Atmosphäre, die in Lovecrafts Geschichte vorherrscht, wird hierdurch gerade in der ersten Hälfte der Geschichte entschärft. Dafür wirkt die Handlung jedoch realistischer (wobei mir persönlich ein verrückt gewordener Kapitän, der seine eigenen Leute umbringt, vom Horroraspekt her fast noch lieber gewesen wäre).

Technisch gibt sich das Hörspiel, wie bei Titania Medien üblich, kaum eine Blöße. Die Sprecher klingen allesamt wie gestandene Seebären, wobei vor allem Erich Räuker als Kapitänleutnant und Dennis Schmidt-Foß als Leutnant Klenze durch eine tolle Sprecherleistung beeindrucken. Die Musik ist allgegenwärtig, aber nicht aufdringlich, und untermalt – von einem etwas zu harmonischen Ausreißer zu Beginn abgesehen – die zunehmend grauenvollen Ereignisse mal treibend, mal dumpf dräuend sehr gut. Die Klangkulisse des U-Bootes ist dagegen überwiegend eher spärlich. Zwar rauscht die See, und es klingen auch dumpfe Explosionen, aber das Zischen von Leitungen, das Rattern der Dieselmotoren, das Klingeln der Meldeglocke usw. sucht man mit dem Ohr vergebens. Erst gegen Ende, auf dem Meeresgrund, knarrt und stöhnt der Bootskörper überzeugend aus allen Lautsprechern. Hier gelingt den Machern, nach einem etwas „beschaulicheren“ Mittelteil ein furioses Finale.

Fazit: Das Hörspiel „Der Tempel“ setzt Lovecrafts gleichnamige Kurzgeschichte sanft überarbeitet und ansprechend inszeniert um. Durch die Entschärfung der Handlung zugunsten des Realismus geht gerade in der ersten Hälfte ein Stück ihrer Horroratmosphäre verloren, außerdem hätte die Klangkulisse noch etwas vielschichtiger sein können (zumal praktisch die ganze Handlung an einem Schauplatz spielt). Doch glänzende Sprecher und eine beklemmend zum düsteren Finale hinarbeitende zweite Hälfte lassen diese Dinge vergessen und sorgen dafür, dass auch die 39. Episode des „Gruselkabinetts“ eine gute Stunde spannend zu unterhalten weiß.


Gruselkabinett 39: Der Tempel
Hörspiel nach einer Kurzgeschichte von Howard Phillips Lovecraft
Stephan Bosenius & Marc Gruppe
Lübbe Audio/Titania Medien 2009
ISBN: 978-3-7857-4144-3
1 CDs, 65 min., deutsch
Preis: EUR 8,99

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