Gruselkabinett 35: Das Schloss des weißen Lindwurms

Autor Bram Stoker ist vor allem für die Schöpfung seines Ungeheuers Dracula bekannt. Doch er hat auch andere grausige Kreaturen in seinen Geschichten ersonnen, unter anderem einen blasphemischen weißen Lindwurm, ein Schlange von gewaltiger Größe, die in einer Gegend in Mittelengland ihr Unwesen treiben soll. „The Lair of the White Worm“ hieß der 1911 erstmals publizierte Roman. In der Reihe „Gruselkabinett“ ist die Schauermär als Hörspiel adaptiert worden.

von Jakob Schwarz

 

„Das Schloss des weißen Lindwurms“ erzählt die Geschichte des jungen Australiers Adam Salton, der 1860 von seinem alten Großonkel Richard nach England geholt wird, um dort das Familienerbe anzutreten. Doch in der Gegend von Mercia, in der das Gut Lesser Hills steht, liegt einiges im Argen. Der junge Erbe der Nachbarssippe, Edgar Caswall, der kurz nach Adam aus der Ferne zuhause eintrifft, entpuppt sich als düsterer Zeitgenosse, der dem Mesmerismus anhängt und einen afrikanischen Zauberer als Diener mitbringt. Der eleganten und undurchsichtigen Lady Arabella, die auf einer Burg mit unheiliger Geschichte wohnt, hängen auch einige fragwürdige Gerüchte nach. Nur die junge Mimi Watford, die Enkelin eines Pächters der Caswalls, scheint völlig reinen Herzens zu sein – die Unschuld vom Lande, in die sich Adam natürlich sofort verliebt. Gleichzeitig versucht der junge Mann, tatkräftig vorangeschubst von seinem Großonkel und dessen Freund, Nathaniel de Salis, eines Art Abraham Van Helsing, die Geheimnisse vor Ort zu lüften.

Ich kenne die ursprüngliche Geschichte von Bram Stoker leider nicht, kann also nicht direkt Buch und Hörspiel vergleichen. Nach der Lektüre einiger Inhaltsangaben im Netz erscheint es mir jedoch, dass Titania Medien, die dieses Hörspiel technisch erneut perfekt darbieten – mit stimmungsvoller Musik und sehr guten Sprechern –, der Story einiges an Biss genommen haben. Der Einstieg beginnt noch dramatisch: mit einer jungen Frau, die in einer Art Höhle aufwacht, nur um mit einem unsichtbaren Schrecken konfrontiert zu werden. Danach verliert sich die Geschichte in sehr vielen Gesprächen. Die halbe CD vergeht mit der Exposition, in der die Figuren eingeführt werden. Und auch danach wird von den grausigen Dingen, die in der Gegend vor sich gehen, vor allem gesprochen. Der einzige Tod kommt eher plötzlich, das Finale dann noch plötzlicher.

Zugegeben: Einen Roman auf die Laufzeit einer CD einzudampfen, fordert Kompromisse in der Erzählung. Dennoch bleibt es unverständlich, warum gerade die dramatischeren Momente – im Roman wird ein Kind, das in den Nacken gebissen wurde, gefunden, Arabella erschießt Adams Haustier, einen Mungo, und der weiße Lindwurm greift Adam auch direkt an – alle ausgelassen wurden. Im Finale kommt zwar noch einmal so was wie dräuende Spannung auf, doch das ganze Problem löst sich irgendwie viel zu leicht in Wohlgefallen auf. Zugegeben (zum Zweiten): Das kann auch Stokers Vorlage geschuldet sein (die nicht zu seinen besten Werken zählen soll, auch wenn die Prämisse an sich sehr spannend klingt). Aber da das Hörspiel ohnehin eine bearbeitete Version der Geschichte darstellt, hätte sich die düstere Stimmung, die anfangs noch herrscht, sicher gezielter durchhalten lassen können. So fühlt sich die Handlung eher nach Jane Austen als Bram Stoker an – und der Grusel ist leider nur sehr milder Natur.

Fazit: Technisch leistet sich Titania Medien auch mit „Das Schloss des weißen Lindwurms“ keine Blöße. Die Musik ist stimmungsvoll, Geräusche werden gezielt eingesetzt, die Sprecher Markus Pfeiffer, Hasso Zorn, Joachim Pukaß, David Nathan und Melanie Hinze agieren wundervoll nuanciert. Leider ist die Geschichte, bis auf kurze Momente zu Beginn und zum Schluss, eher spannungsarm und zum Teil auch inkonsequent (so bleibt der Caswall-Plot irgendwie losgelöst vom Rest der Handlung). Das ist zum Teil sicher Bram Stokers Vorlage geschuldet, zum Teil aber auch der Hörspielbearbeitung, die Schauermomente zu Gunsten wohlfeiler Plauderei zurückstellt. Ein gut anzuhörendes Hörspiel, das aber in seinem Gruselfaktor hinter einigen Produktionen aus dem Hause Titania Medien zurückbleibt.


Gruselkabinett 35: Das Schloss des weißen Lindwurms
Hörspiel nach einem Roman von Bram Stoker
Marc Gruppe
Titania Medien 2009
ISBN: 978-3-7857-3825-2
1 CD, 65 min., deutsch
Preis: EUR 8,99

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