von Frank Stein
Die tragische Geschichte trägt sich im Jahr 1847 in Südfrankreich zu. Bei seiner Weihe zum Priester begegnet der junge Mönch Romuald der betörenden Schönheit Clarimonde. Er glaubt, ihre Stimme in seinem Kopf zu hören, die von wundervollen Verlockungen spricht, und beinahe wird er darüber seinem Gott untreu. Sein Vorgesetzter, Abbé Serapion, erkennt den inneren Kampf seines Schützlings und warnt ihn vor dem unheilvollen Einfluss der Kurtisane, die schon mehrere Männer ins Unglück gestürzt haben soll. Um Romuald zu schützen, weist er ihm die Stelle eines Dorfpriesters in einem abgelegenen Ort zu.
Doch so leicht entkommt Romuald Clarimonde nicht. Eines Nachts wird er von ihrem Diener gerufen. Clarimonde liegt ihm Sterben und bittet um die letzte Ölung. Die beiden Männer kommen zu spät, doch Romuald willigt ein, wenigstens die Totenwache zu halten. Im Gemach der Toten erblüht seine glühende Liebe für die verführerische Schönheit. Und so nimmt er es auch fraglos hin, als sie in einer der Folgenächte in seiner Priesterklause erscheint und ihm ein neues Leben voller Leidenschaft und Völlerei anbietet, mir ihr an seiner Seite …
„Die liebende Tote“ (in literarischer Form oft auch „Die tote Geliebte“ übersetzt) gehört für mich in qualitative obere Drittel der Geschichten der Reihe „Gruselkabinett“, und dies aus zweierlei Gründen. Zum einen ist die Vorlage höchst atmosphärisch vertont worden. Neben treffender musikalischer Untermalung – unter anderem Chorälen, die das religiöse Umfeld im Geiste des Hörers auferstehen lassen – sind die Sprecher sehr gut ausgewählt, allen voran Sabine Arnhold, die Clarimonde mit eindringlicher Sinnlichkeit verkörpert; aber auch Kaspar Eichel als in die Jahre gekommener Romuald, der die Geschichte seiner Jugendsünde einem Schützling zur Warnung erzählt, Julien Haggège als dessen jüngeres Ich und Christian Rode als eifernder Abbé Serapion machen dieses Hörspiel zum Genuss.
Zum anderen – und das zählt eigentlich noch mehr – hat Théophile Gautier mit „Die liebende Tote“ eine wirklich reizvolle Novelle geschaffen, die durch ihren Konflikt „Glaube vs. Fleischeslust“ seinerzeit zweifellos für Aufsehen gesorgt hat. Bemerkenswert ist dabei, dass Clarimonde, die im Übrigen nicht wirklich ein Vampir sein kann, sondern eher eine Art vampirischer Geist (liegt ihr Leichnam doch schon seit Ewigkeiten verrottend auf einem Friedhof), keineswegs ein Tod bringendes Monstrum dargestellt wird, sondern als den jungen Priester Romuald aufrichtig (wenn auch vor allem körperlich) Liebende. Der Preis für die Leidenschaft, die sie ihm gewährt, ist nur ein wenig Blut, das sie ihm vorsichtig und in Maßen abzapft. Ungleich bösartiger wirkt dagegen Romualds Mentor Abbé Serapion, der sich mit frömmelndem Fanatismus auf die Jagd nach dem bösen Geist macht, der seinen Schützling umgarnt. Gautier stellt hier auf geschickte Art und Weise die gängigen zeitgenössischen Sichtweisen von Gut und Böse in Frage.
Erzählerisch interessant ist auch die Perspektive des Erlebten. Der alternde Romuald betont immer wieder, dass er selbst nicht genau wüsste, ob er seinerzeit ein Priester gewesen sei, der sich in die Rolle eines galanten Abenteurers geträumt hätte, oder ein von Clarimonde umgarnter Lebemann, der im Schlaf von einem Dasein als von Schuld geplagter Gottesdiener träume. Dieses Verschwimmen von Traum und Wirklichkeit, das es durchaus im Bereich des Möglichen sein lässt, dass sich Romuald, von seinen Trieben übermannt, die erotischen Eskapaden mit Clarimonde nur eingebildet hat, schmälern zwar in gewisser Weise den Grusel (ausnehmend gruselig ist diese Liebesgeschichte mit einer Toten ohnehin nicht), aber mehren dafür in gleichem Maße das Geheimnis um diese verbotene Liebschaft.
Fazit: Eine provokante und pikante Geschichte, makellos im Hörspiel umgesetzt – so präsentiert sich „Die liebende Tote“ von Titania Medien. Wer auf sehr sanften Grusel mit einem Schuss Erotik steht, dürfte an dieser Episode des „Gruselkabinetts“ seine helle Freude haben. Einsteigern in die Reihe ist die Handlung vielleicht etwas zu wenig von Schauer und Schrecken geprägt. Empfehlenswerte Varianten sind hier „Carmilla, der Vampir“ oder „Die Blutbaronin“.
Gruselkabinett 26: Die liebende Tote
Hörspiel nach einer Erzählung von Théophile Gautier
Stephan Bosenius, Marc Gruppe
Titania Medien/Lübbe Audio 2008
ISBN: 978-3-7857-3578-7
1 CD, ca. 57 min., deutsch
Preis: EUR 7,95
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