von André Frenzer
Algernon Blackwood gehört unzweifelhaft zu den großen Künstlern im Bereich der unheimlichen Literatur. Horror-Ikone H. P. Lovecraft bescheinigte Blackwood in seinem Essay „Die Literatur der Angst“: „Der hohe Rang von Blackwoods Genie steht außer Frage, denn niemand ist bisher dem Geschick, der Ernsthaftigkeit und minuziösen Genauigkeit, mit denen er die Untertöne des Seltsamen in gewöhnlichen Dingen und Erfahrungen festhält, auch nur nahegekommen, geschweige denn dem Verständnis für das Übernatürliche, mit dem er Schritt für Schritt die Empfindungen und Wahrnehmungen aufbaut, die von der Wirklichkeit in eine übersinnliche Welt oder Vision führen.“ Dennoch haben Lovecrafts und Blackwoods Werk nur wenig gemein. Während Lovecrafts Horror die Verneinung alles Wissenschaftlichen und den Weg in den Wahnsinn beinhaltet, zieht Blackwood das Unheimliche aus der Natur und der eigenen Einbildungskraft. Insbesondere in seinem Meisterwerk „Die Weiden“ wird dies mehr als deutlich.
Zum Inhalt: Wir schreiben das Jahr 1907. Zwei Freunde beschließen eine ungewöhnliche Reise und unternehmen eine Kanufahrt auf der Donau. Zunächst bereisen sie zivilisiertes Gebiet, passieren Wien und schließlich die ungarische Grenze. Bald erreichen sie ein wildes Gebiet. Sandbänke, gefährliche Strömungen und allgegenwärtige Weiden prägen die Landschaft, in der sie das Wetter zur Anlandung an einer abgeschiedenen Sandbank zwingt. In der abgeschiedenen Einsamkeit bemerken die beiden bald eine unsichtbare Bedrohung, die sich rasch als erschreckend real erweist. Während sie zunächst glauben, ihre Sinne spielten ihnen einen Streich, ist am nächsten Morgen ihr Boot beschädigt und ein Ruder verloren gegangen. Die beiden müssen sich einer Gefahr stellen, die ihre Vorstellungskraft übersteigt.
Was „Die Weiden“ in meinen Augen besonders interessant macht, ist, dass es sich um ein nahezu autobiographisches Werk handelt. Denn 1901 unternahm Algernon Blackwood mit einem Freund eine ähnliche Kanufahrt auf der Donau – woraus nicht nur „Die Weiden“ sondern auch der Reisebericht „Eine Kanufahrt auf der Donau“ entstand.
Zugegeben: Eigentlich geschieht wenig in „Die Weiden“. Dennoch gelingt es Blackwood, eine unglaublich dichte Atmosphäre zu schaffen, rund um eine wenig greifbare Bedrohung, deren Natur ebenso rätselhaft bleibt wie ihre Ziele. Marc Gruppe verzichtet auf größere Eingriffe in die Geschichte, sondern hält sich mit seinem Drehbuch sehr werkgetreu an das Original. Dazu nutzt er die gesamte Bandbreite unheimlicher Toneffekte, welche ihm zur Verfügung steht. Tatsächlich wirkt das weder aufgesetzt noch störend, sondern unterstützt das Hörspiel ganz hervorragend.
Maßgeblich getragen wird das Hörspiel natürlich von den beiden Protagonisten Jeremy und Björn, welche von den bekannten Sprechern Peter Lontzek (bekannt als die deutsche Stimme von „Loki“-Schauspieler Tom Hiddleton) und David Berton (welcher neben zahlreichen Sprechrollen auch als Sänger der Band „kollektiv22“ bekannt sein könnte) vertont werden. Beiden gelingt es gleichermaßen, die steigende Anspannung und aufkommende Nervosität widerzuspiegeln, welche die Atmosphäre immer dichter werden lässt. Technisch gibt es damit überhaupt nichts zu meckern, das „Gruselkabinett“ bewegt sich weiter auf hohem Niveau. Das Coverbild stammt ein weiteres Mal von Johannes Belach und ist qualitativ gelungen.
Fazit: „Die Weiden“ ist eine atmosphärisch dichte Geschichte. In dieser Ausgabe des „Gruselkabinetts“ wird sie hervorragend vertont. Absolut empfehlenswert.
Gruselkabinett 187: Die Weiden
Hörspiel nach Algernon Blackwood
Marc Gruppe
Titania Medien 2023
ISBN: 978-3-7857-8601-7
1 CD, ca. 60 min., deutsch
Preis: 9,49 EUR
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