Gabriel Burns 12: Die erste Erinnerung - Limited Collector’s Edition

Die Meisten von uns besitzen sie, irgendwo tief im Unterbewusstsein begraben. In der Hoffnung, sie durch Ignoranz und den Zahn der Zeit vergeben und vergessen zu können, lagern wir sie dort ab und bauen uns Schutzwälle rundherum, stabile, robuste Schutzwälle. Und dennoch... Die Rede ist von der sprichwörtlichen Leiche im Keller, jener Untat, Schmach und/oder massiven Peinlichkeit aus unserer Vergangenheit, die wir nur allzu gerne vergäßen, deren Erinnerung uns aber immer wieder heimsucht, gnadenlos. Für Steven Burns, den Helden unserer Hörspielserie, wird die Begegnung mit den Schatten der Vergangenheit zur Reise ins Ich.

von Christian Humberg

 

Objects in the rearview mirror may appear closer than they are

Endlich zuhause. Nach seinem mehr als lebensbedrohlichen Abenteuer in den rumänischen Kuppeln (siehe die vorherigen zwei Burns-Episoden „Diesseits der Kuppeln“ und „Welt der Dämmerung“) erreicht Steven Burns erschöpft und durchaus traumatisiert seine Wohnung in Vancouver. Doch aus der geplanten Ruhepause zum Nachdenken und Verarbeiten der in Rumänien erhaltenen Erkenntnisse (ich sag‘ nur „Finger“) wird grade mal gar nichts. Als er in seiner Wohnung ankommt, wird Steven bereits erwartet.

Yellow Ma, jene mysteriöse und unglaublich fettleibige asiatische... wie soll man sagen... Seherin hat ihm Herrn Lin Zisheng vorbeigeschickt, der Steven unverzüglich zu ihr bringen soll. Als Köder präsentiert Herr Zisheng ein grünes Stoffkrokodil, Relikt aus Stevens Kindertagen. Aus jener Zeit, in der sein Bruder Daniel spurlos verschwand. Klar, dass sich unser Held da nicht mehr lange bitten lässt: Was weiß Yellow Ma über Daniel?

In ihrem Ladenlokal in Chinatown ermöglicht es die medial begabte Asiatin Steven, eine mentale Reise in seine Vergangenheit anzutreten, die ihm hoffentlich erste Antworten auf die bohrenden Fragen bezüglich seiner Kindheit liefert. Doch anstatt Antworten zu bieten, verunsichert ihn dieser Hypnoseausflug nur noch mehr. Kann es überhaupt sein, dass, wie Steven in seiner Vision sieht, Aaron Cutter bereits in Stevens Kindheit präsent war (was Erinnerungen an Mister Bakerman wachrufen würde)? Und ist das wirklich der Flüsterer (siehe auch Episode 1 „Der Flüsterer“), welcher Steven dort in Gestalt seines Bruders Daniel eindringlich und bestimmend nahelegt, von derartigen Vergangenheitsuntersuchungen abzusehen? Was zum Donnerdrummel liegt hier begraben??

Dwellers in the deep

Auch für Joyce Kramer ist nach Rumänien keine Atempause in Sicht. Gemeinsam mit ihrem Auftraggeber Bakerman begibt sie sich nach Carmangay, im kanadischen Bundesstaat Alberta. Bakerman untersucht dort eine Spur, die mit den Ammoniten zusammenhängt, die ja eine zentrale Rolle in dieser unheimlichen Geschichte spielen. Während Steven Burns sich also in Yellow Mas Hände begibt, schleichen sich Bakerman und Kramer unbemerkt in Grubenarbeiten ein. In den Stollen tief unter der Erde stoßen die beiden dabei auf eine tödliche Kreatur – eine Begegnung, die ihrer beider Schicksal zu besiegeln scheint. Und: Die Existenz dieses Wesens scheint mit dem Ammoniten in Zusammenhang zu stehen!

Okay, ich sollte mir Notizen machen

Eines schönen Tages sollte mal jemand ein Buch über „Gabriel Burns“ schreiben. Dieses Buch sollte eine Art Lexikon sein und alle Handlungsstränge, Figuren und hidden agendas dieser Serie auflisten. Ich freu‘ mich jetzt schon auf den Index...

Aber mal ernsthaft: Gelegenheitshörer haben hier schon längst verloren. „Gabriel Burns“ ist definitiv eine Produktion für Serienjunkies, diese armen Seelen, die auch nach Jahren noch spontan über cardassianische Grenzpolitik oder die Personalwechsel in der Schwarzwaldklinik dozieren könnten – also genau das richtige für mich! Ich gestehe: Ich finde diese Hörspielreihe ziemlich großartig. Klar wären ein paar Verschwörungen weniger der wild wuchernden Handlung auf den ersten Blick sicher zugänglicher. Hat man längere Zeit kein GB-Hörspiel mehr gehört (weil man beispielsweise auf das Erscheinen der neuen Episoden wartet), braucht man schon wieder eine ganz schöne Weile, um so richtig in Episoden wie dieser versinken zu können. Aber sobald man wieder drin ist, stellt sich auch sogleich das Burnsfeeling ein, all die alten mentalen Fußnoten und Erinnerungsfetzen sind wieder da, und die Reise kann weitergehen.

Dies liegt – und mir ist klar, dass ich mich hier wiederhole, aber soll ich etwa lügen? – an der absolut gelungenen Umsetzung. Auch in ihrer zwölften Produktion hält „Gabriel Burns“ den eigenen Qualitätsanspruch mühelos aufrecht. Ton, Musik, Sprecher – alles Kopfkino vom Feinsten. Aber wem sage ich das?

Und noch was auf die Ohren

Stichwort Kopfkino: Relativ parallel zur Veröffentlichung der vorliegenden Episode brachten die Produzenten auch eine Doppel-CD heraus, welche neben dem Hörspiel selbst auf einem zweiten Tonträger auch den gesamten bisherigen Score von Gabriel Burns präsentiert, also die von Matthias Günthert, Manuel Rösler und Serien-Mastermind Volker Sassenberg erschaffenen Klangteppiche, welche die Handlung seit Folge 1 untermalen. Das ist nicht nur ein feines Goodie für die zahlreichen Fans der Serie, sondern stellt in seiner reinen Konzentration auf die Musik auch eindeutig klar, wie bedeutsam diese für die Atmosphäre der ganzen Serie ist.

„Gabriel Burns“ ist eine Mystery-Plotte, ganz klar. Fox Mulder und John Locke lassen schön grüßen, wenn sich Steven aufmacht, um Wahrheiten und Geheimnisse zu erfahren. Die von Sassenberg und Raimon Weber konzipierten und verfassten Geschichten sparen nicht an Verschwörungen und beantworten in schönster Serienmanier die aufgestellten Fragen meist nur durch weitere. Dennoch wird beim Genuss der Soundtrack-CD deutlich, wie sehr doch das Gesamtwerk Burns auch von seiner musikalischen Umrahmung profitiert. Diese teils orchestralen, teils technisch und fremdartig klingenden Töne bestehen auch ohne den dazugehörigen Sprechertext und bieten sich sicher auch als atmosphärische Untermalung eines Rollenspielabends oder ähnlichem an.

Fazit: Noch nie von „Gabriel Burns“ gehört? Dann solltet Ihr tunlichst nicht hier beginnen, dies ist keine Serie für Quereinsteiger. „Die erste Erinnerung“ liefert schockierende Einblicke in und Andeutungen über die Vergangenheit des Helden und endet abermals mit einem mehr als fiesen Cliffhanger. Schlauer ist man als Hörer danach auch nicht wirklich, aber allemal gut unterhalten. Einmal mehr.


Gabriel Burns 12: Die erste Erinnerung - Limited Collector’s Edition
Hörspiel: Volker Sassenberg, Raimon Weber
Soundtrack: Matthias Günthert, Manuel Rösler, Volker Sassenberg
Universal 2005
ISBN: B0009NDK32
2 CDs, ca. 130 min., deutsch
Preis: EUR 13,95

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