Frostpunk – Das Brettspiel (II)

Adam Kwapinski hat schon mit „Nemesis“ und „The Dark Ages“ gezeigt, dass er ein facettenreicher Brettspielautor ist. Er schafft es, mit epischen Spielen eine einzigartige Stimmung und eine dichte Atmosphäre zu erzeugen. „Frostpunk“ ist die Umsetzung eines Computerspiels, die gute Voraussetzungen hat, auf dem Spieletisch ebenso intensiv zu sein.

von KaiM

2018 erschien „Frostpunk“ auf einer bekannten Computerspieleplattform und hat durchweg positive Bewertungen bekommen. Diese Aufbausimulation im ewigen Eis, wo es nicht um eine florierende Wirtschaft, sondern ums nackte Überleben geht, läuft quasi in Echtzeit ab, kann aber beliebig beschleunigt oder pausiert werden. Damit eignet sie sich wunderbar für ein kooperatives Abenteuerspiel auf den Brettspieltischen dieser Welt, und letztes Jahr wurde dieses Projekt dann im Rahmen einer Kickstarter-Kampagne realisiert und in einem Zug von Frosted Games ins Deutsche übersetzt.

Es ist ein Spiel für ein bis vier Personen ab 16 Jahren, die sich durch verschiedene Szenarien schlagen können und dafür bis zu 160 Minuten brauchen sollen. Die Altersempfehlung geht wegen des Überlebenskampfes und der kontroversen Entscheidungen auf jeden Fall in Ordnung, die Spielerzahlen sind aber zwar durchaus richtig, allerdings nicht für jede Gruppe zu empfehlen. Die Spielzeit ist leider ein wenig zu niedrig angesetzt, aber dazu im Verlaufe der Rezension dann später mehr.

Material

Die Box hat ein imposantes Maß für ein Brettspiel, ist aber von anderen raum- und regalverschlingenden Kickstarter-Projekten dennoch weit entfernt. Tatsächlich stellt man nach dem Öffnen sogar fest, dass sie gar nicht bis zum Bersten gefüllt ist, wie man zunächst vermuten sollte. Die größte Komponente ist der gewaltige Generatorturm. Der gut 30 cm hohe Turm ist der zentrale Blickfang auf dem Tisch und mag auf den ersten Blick überproduziert wirken, denn seine Funktion im Spiel ist insgesamt eher dünn. Auf der anderen Seite transportiert der Turm das Thema sehr gut und stärkt die Verbindung zum Computerspiel. Man kann sich deutlich vorstellen, wie der wärmende Hochofen in der ewigen Kälte das Leben überhaupt erst möglich macht.

Die Landschaft wird aus eher langweiligen Hexfeldern nach und nach aufgebaut, wobei man hier niemandem einen Vorwurf machen kann. Es ist schließlich keine einfache Aufgabe, ein aufregendes Design für eine Eiswüste zu finden. Die Ressourcen und die Bevölkerung bestehen aus klassischen, farbigen Holzkomponenten, die ich persönlich immer noch gern in Spielen sehe. Um für Ordnung auf dem Tisch zu sorgen und sich den individuellen Platzgegebenheiten anpassen zu können, wurden diverse Tableaus beigelegt, und schließlich gibt es jede Menge Karten, die das Spiel steuern. Hinzu kommen noch zwei kleine, praktische Säckchen mit Moralmarkern. Die Regeln sind gut verständlich, und Übersichtstafeln helfen allen Spielern, den Spielablauf abzuhandeln und ihre Rolle zu verstehen.

Das Inlay der Box muss leider in die Kategorie „eher misslungen“ gesteckt werden. Natürlich passen alle Komponenten in die Box, und auch der Generatorturm hat einen vernünftigen Platz gefunden, aber obwohl es genug Möglichkeiten gegeben hätte, findet sich für die Hexfelder, die schönen Holzressourcen und auch für die Gebäudeplättchen kein vernünftiger Ort. Für die Karten ist der Platz dafür mehr als ausreichend, wahrscheinlich im Hinblick auf Erweiterungen. Bei einer solchen Lösung wäre es mir dann oftmals lieber, wenn auf ein Inlay verzichtet wird und man einfach genug Platz hat, um die gefüllten Tütchen unterzubringen.

Wer mag, kann neben den hohen, aber vertretbaren Kosten für das Grundspiel noch eine extra Box mit Miniaturen erwerben. Angemalt können die verschiedenen Gebäude einen echten Mehrwert darstellen. Verzichtet man jedoch darauf, sind die mitgelieferten Plättchen die bessere Wahl, denn je nach Ausleuchtung des Spieltisches sind die Gebäude unbemalt kaum voneinander zu unterscheiden.

Spielablauf

Nach dem Spielaufbau entscheidet man sich für ein Szenario und verwendet die dafür vorgesehenen Karten. Um zu verstehen, worum es geht, liest man die ersten Karten und komplettiert gegebenenfalls den Spielaufbau. Normalerweise bekommt man dort eine Aufgabe und ein Zeitlimit in Form von einer gewissen Anzahl Runden gesetzt. So nach und nach arbeitet man sich mit allen Konsequenzen, die das Kartendeck aufzeigt, durch die Geschichte und hat am Ende vielleicht, aber wahrscheinlich eher doch nicht, gewonnen.

Die Runden einer Partie gliedert sich in 9 Phasen. In der Hauptphase, mit der das Spiel auch beginnt, die aber eigentlich mitten in einer Runde stattfindet, setzen wir nacheinander Arbeiter aus unserem gemeinsamen Pool ein, um die verschiedensten Arbeiten zu erledigen. Dabei sind wir reihum an der Reihe, wobei es nur eine untergeordnete Rolle spielt, wer den Zug ausführt, denn die meisten Informationen sind offen. Tatsächlich hat jeder aber auch einige beschränkte Möglichkeiten, über die eigenen Handkarten Aktionen zu triggern, die andere nicht erledigen können.

Als Arbeiter stehen drei unterschiedliche Typen zur Verfügung. Bürger, Ingenieure und Kinder werden jede Runde im Pool bereitgestellt und können für unterschiedliche Tätigkeiten genutzt werden. Während Ingenieure eigentlich alle Arbeiten ausführen können, können Bürger schon etwas weniger und Kinder normalerweise gar nichts erledigen. Das hängt unter anderem an Gesetzen, die im Laufe des Spiels erlassen werden können, denn an diesen Stellen kann man sich zum Beispiel entscheiden, Kinderarbeit einzuführen und damit die Möglichkeit zu schaffen, die Kinder für Arbeitseinsätze zu verwenden. Auch kann man ein Wirtshaus bauen lassen, um die Moral zu heben, oder die Rationen strecken, um dem Hunger entgegenzuwirken. Aber natürlich haben alle Eingriffe in die Geschicke der Gesellschaft Vor- und Nachteile. Denn es gibt zwar nur eine Möglichkeit, eine Partie zu gewinnen, aber dafür diverse zu verlieren.

Zum einen ist da die genannte Moral, denn zu wenig Hoffnung oder zu viel Unzufriedenheit führen zu einem abrupten Ende. Auch wenn zu wenig Nahrung vorhanden ist, führt der allgegenwärtige Hunger zum Ende der Partie. Ein wichtiges Konzept ist zudem der mächtige Generator, der in der Umgebung wenigstens ein wenig Wärme liefert. Die Belastung auf das gewaltige Bauwerk ist extrem, und kommt es im Laufe des Spiels zu zwei Störfällen, ist der Generator zerstört und man hat verloren. Zu viel Krankheit lähmt das Volk: verloren. Zu viele Todesfälle: verloren.

Zusammenfassend gibt es unfassbar viele Dinge, die man im Kopf behalten muss, wenn man seine wenigen Arbeiter pro Runde einsetzt. Man muss Kohle einsammeln, um den Generator zu versorgen, Holz für den Bau von Gebäuden finden, Gesetze erlassen, Expeditionen auf den Weg schicken, Nahrung besorgen, Kranke behandeln und noch einiges mehr.  

Ist dies erledigt, kommt die Dämmerung. Der Tag neigt sich dem Ende zu und meist unschöne Ereignisse warten auf die Spieler. Auf einige kann man sich vorbereiten, andere werden durch das Erlassen von Gesetzen in den Zugstapel gemischt. Sicher ist nur, dass man für alle Handlungen eine Quittung bekommt. Am Ende des Tages müssen die hungrigen Mäuler gestopft und schließlich auch Schlafplätze bereitgestellt werden, denn wer nicht isst, wird unzufrieden, und wer keinen warmen Schlafplatz hat, wird krank.

Ist dieser Teil erledigt, geht es in einen neuen Tag, und es warten wieder neue Herausforderungen, wie Ereignisse in der Bevölkerung, die Entscheidung, wie viel Wärme man mit dem Generator produzieren will, und der Einfluss des Wetters. Schließlich muss noch überprüft werden, ob Krankheiten die Arbeitsfähigkeit der Bevölkerung beeinflussen oder gar Todesopfer fordern. Dann geht es schon weiter mit der nächsten Arbeitsphase.

Alles in allem wird ersichtlich, wie thematisch dieser Überlebenskampf im ewigen Eis umgesetzt ist. Man fühlt die täglichen Herausforderungen und muss viele schwere Entscheidungen treffen, um überhaupt die Chance auf die Erhaltung der Gesellschaft zu haben. Jeder Meeple fühlt sich wertvoll und erhaltenswert an, und trotzdem muss man entscheiden, wer versorgt wird und wer frieren muss. Ja, man muss sogar über Leben und Tod entscheiden, was sich aufgrund der thematischen Dichte nach echten Verlusten anfühlen kann. Natürlich steht dabei die drohende Niederlage im Vordergrund und es ist und bleibt ein Spiel, aber dennoch ist das intensive Setting nicht für jeden gemacht.

Der Spielfluss ist stark von den Diskussionen um die Strategie und dem Bekämpfen von akuten Problemen geprägt. Man kann sich jetzt allen Problemen stellen, aber auf der anderen Seite muss man der Gesellschaft im Jetzt und Hier auch manchmal schlimme Dinge zumuten, um das langfristige Überleben zu sichern. Diese Themen bestimmen die Phase, wo die Arbeiter eingesetzt werden und die 80% eines Spieltages ausmachen. Die restliche Zeit ist im Wesentlichen Verwaltung und Events, auf die reagiert werden muss. Ein Tag im Spiel kann somit auch durchaus mal eine Stunde in Anspruch nehmen und bei diversen Tagen, die je nach Szenario gespielt werden müssen, kann man sich die ungefähre Spieldauer auch ausrechnen.

So fühlt es sich an

Vieles habe ich im vorigen Abschnitt schon zusammengefasst. Aber nicht nur das Thema ist ein wichtiger Faktor. Man muss noch drei weitere Dinge verstehen und mögen, wenn man an „Frostpunk“ Spaß haben möchte.

Punkt 1: Es handelt sich wirklich um ein Expertenspiel. Viele Mechanismen greifen ineinander, und man muss sehr viele Faktoren im Blick behalten, um sich nicht plötzlich in einer Sackgasse wiederzufinden und zu verlieren. Zudem sind die Regeln recht lang und der Spielablauf ist komplex, denn in jeder Runde müssen diverse Phasen abgehandelt werden.

Punkt 2: Der Spielaufbau selbst nimmt schon eine ganze Menge Zeit in Anspruch und für das Spiel selbst sollte man sich ebenfalls wirklich Zeit nehmen. Mehrere Stunden können ins Land ziehen, bis man die erste Partie hinter sich gebracht hat. Dabei rede ich nicht von zwei oder drei Stunden. Vielmehr können sechs, sieben oder noch mehr Stunden ins Land ziehen. Damit muss man sich schon ein Wochenende oder einen Urlaubstag nehmen, wenn man „Frostpunk“ spielen möchte. Am Besten wäre, man kann das Spiel aufgebaut lassen, damit man auch mal eine Pause einlegen kann. Aber selbst mit guten Spieletischen wird es schwierig, denn der Generatorturm muss stehen bleiben und passt unter keine Platte.

Punkt 3: Das Spiel ist schwer. Zu verlieren, geht manchmal schneller als man denkt und ohne dass man es hat kommen sehen. Damit wird es auch schwierig, die Spielzeit zu verkürzen. Natürlich fallen Entscheidungen mit steigender Erfahrung leichter, aber eine schnelle Runde wird es mit diesem Spiel einfach nicht geben.

Wenn man damit leben kann, bekommt man aber auch einiges geboten. Sehr thematisch muss man sich um Wärme und damit die Gesundheit seiner Bevölkerung kümmern. Die Knappheit an Nahrung und die Notwendigkeit, mit Gesetzen bestimmte Probleme in den Griff zu bekommen, führen zu Aufruhr oder aber auch zu Zuversicht bei den Bürgern. Um das Überleben dauerhaft zu sichern, muss die Versorgung mit Kohle, Holz und später Eisen sichergestellt werden. Zudem bekommen alle eine Rolle zugeteilt, die sich um die verschiedenen Aspekte des Überlebens kümmern müssen. Rein spielmechanisch haben die Rollen nur recht wenig Gewicht, aber bei der gegebenen Komplexität und den schweren Entscheidungen, die getroffen werden müssen, bekommt so jeder Bereich einen Fürsprecher, was auch direkt den Spielfluss ein wenig lenkt. Somit sollte man meinen, dass die Vollbesetzung dann auch vielleicht die Idealbesetzung ist. Aber das lässt sich nur schwer für alle Gruppen bejahen. Natürlich sind Diskussionen ein wichtiger Aspekt des Spiels, und jeder kann dann nochmal seine Sicht der Dinge einbringen. Auf der anderen Seite verlängern vier Rollen auch die Entscheidungsfindung. Da das Spiel ohnehin sehr lange dauert, hängt die ideale Spielerzahl somit von der Gruppe ab.

Auf der Habenseite hat dieser epische Titel natürlich die starke Immersion, die schweren Entscheidungen und den ewigen Tanz auf Messers Schneide. Die Szenarien führen zusätzlich durch die Geschichte des Überlebens und bieten neben der einfachen Variation des Schwierigkeitsgrads noch zusätzlich Abwechslung. Jedes Szenario bietet seine eigene Herausforderung, und somit kann man mit langem Atem viele, viele Abende in der eiskalten, menschenfeindlichen Umgebung von „Frostpunk“ verbringen.

Fazit: Immersiv, kooperativ, komplex, bockschwer und voller harter Entscheidungen. Ein epischer Titel mit jeder Menge Inhalt für Überlebenskünstler, die vor langen Abenden in eisiger Kälte nicht zurückschrecken.

Frostpunk – Das Brettspiel
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 16 Jahren
Adam Kwapinski
Pegasus Spiele 2023
EAN: 4250231729515
Sprache: Deutsch
Preis: 99,99 EUR

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