Everyone is John

Erzählspiele sind salonfähig – nicht zuletzt durch die vielen Spiele, die im Rahmen der „Kleinen Reihe“ beim System-Matters-Verlag erschienen sind. Doch auch abseits dieser Reihe gibt es immer wieder interessante Perlen des Genres, die auch ihren Weg zu einer deutschen Übersetzung finden.

von André Frenzer

So auch Michael Sullivans „Everyone is John“, welches eine deutsche Heimstatt beim Pro-Indie-Verlag gefunden hat. Erzählspiele unterscheiden sich von den meisten anderen Rollenspielen dadurch, dass sie eine ganz bestimmte Situation darstellen und spielerisch erlebbar machen wollen und meist ein genau auf diese Situation zugeschnittenes Regelset mitbringen. „Everyone is John“ stellt hier keine Ausnahme dar. Aber worum geht es?

Nun, in diesem Spiel ist schlicht und ergreifend einfach jeder John. Oder genauer gesagt: eine von den Stimmen in Johns Kopf. Denn John hat einen furchtbaren Schlag auf den Kopf erlitten und ist nun nicht mehr ganz Herr seiner Sinne. Und so streiten die unterschiedlichen Stimmen in seinem Kopf nicht nur um die Vorherrschaft über Johns Handlungen, sondern auch darum, ihre ganz eigenen Ziele zu erfüllen.

Die Regeln für dieses Spiel sind ebenso einfach wie eingängig: Jede Stimme erhält zehn Willenskraftpunkte und zwei Fertigkeiten. Kommt es zu einer Probe, so muss die Stimme eine 6 auf einem W6 erreichen, um die Handlung erfolgreich zu gestalten. Besitzt die Stimme eine passende Fertigkeit für die Situation, muss sie lediglich eine 3 oder mehr erreichen. Im Falle von misslungenen Proben, Verletzungen oder Unterbrechungen in der Szene bieten die Stimmen gegeneinander um die Vorherrschaft in der nächsten Szene – dafür setzen sie ihre Willenskraftpunkte ein. Das Spiel endet, wenn keine Stimme mehr über Willenskraft verfügt.

Im Gegensatz zu vielen anderen Rollenspielen spielt man „Everyone is John“ tatsächlich gegeneinander und das Spiel sieht einen klaren Gewinner vor. Denn den Stimmen ist daran gelegen, ihnen innewohnende Zwänge zu erfüllen – das kann von einfachen Dingen wie „sich überfressen“ bis hin zu „endlich einmal Panzerfahren“ oder „ein Gebäude in die Luft sprengen“ reichen – und gerade die höhergradigen Zwänge bringen nicht nur John in Gefahr, sondern sorgen für reichlich Punkte in der Endabrechnung, wenn man sie erfüllt. Dabei außen vor ist allerdings der Spielleiter – denn diesen gibt es in diesem Spiel schon. Er ist wie üblich für die äußere Welt und alle übrigen Personen im Spiel zuständig.

Was mir besonders an „Everyone is John“ gefallen hat, ist die Offenheit des Systems. Denn tatsächlich sind ohne größere Komplikationen diverse Genres – vom Fantasy-Abenteuer bis hin zum Superhelden-Epos – problemlos abdeckbar. Eine umfangreiche Sammlung von Szenarien-Vorschlägen rundet „Everyone is John“ gekonnt ab. Und da ist für jeden Geschmack etwas dabei: egal, ob John inmitten einer wilden Schießerei erwacht (und feststellen muss, dass er als Super-Agent gefälligst die Welt zu retten hat) oder gerade einem okkulten Ritual beiwohnt (und sich schleunigst erinnern sollte, wie er als okkulter Ermittler ebenjenes unterbrechen kann), die Vielfalt der Szenarien ist erschlagend.

Zusammengefasst ist „Everyone is John“ ein heiteres, makabres, aktionsreiches Rollenspiel mit einem klar abgesteckten Rahmen. Dabei geht es in keiner Weise darum, die akute Geistesgestörtheit von John irgendwie sensibel darzustellen – wer sich an der Trope stört, sollte hier also nicht zugreifen. Stattdessen wetteifern die selbst unterschiedlich wahnsinnigen Stimmen in Johns Kopf um die Vorherrschaft und stellen dabei allerhand verrückte Dinge an – natürlich immer im Rahmen eines Szenarios, dass auch noch ihre Aufmerksamkeit verlangt. So entstehen herrlich schräge Momente, auf die man sich aber einlassen können muss. Das kleine Büchlein ist dabei angenehm komplett und liefert eine Menge Inspiration für unterschiedliche Runden.

„Everyone is John“ erscheint im A5-Softcoverformat. Innenseitig ist es schwarz-weiß gehalten und spärlich, aber ansehnlich (mit KI-generiertem Artwork, wie der Verlag angibt) illustriert. Das Layout ist luftig und übersichtlich, die Regeln eingängig erklärt. Technisch gibt es damit nichts zu meckern.

Fazit: „Everyone is John“ ist ein verrücktes Erzählspiel, welches schräge Momente und jede Menge Lacher verspricht. Die Regeln sind eingängig und flexibel. Wer sich darauf einlassen kann, die Stimmen im Kopf eines scheinbar Verrückten zu spielen und dabei jede Menge Spaß zu haben, sollte hier zugreifen.

Everyone is John
Grundregelwerk
Michael Sullivan u.a.
Pro-Indie Verlag
64 S., Softcover, deutsch
Preis: 14,95 EUR

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