Dracula

Dracula – wer kennt nicht den unheilvollen Klang des Namens dieses Urvaters aller Vampire, dessen diabolische Gestalt 1897 vom Autor Bram Stoker ersonnen worden war und der seitdem weit mehr multimediale Inkarnationen und Abkömmlinge gezeugt hat, als es sich der untote Graf aus Transsylvanien jemals hätte vorstellen mögen. Der jüngste Sproß ist die Hörspiel-Adaption von Sven Stricker.

von Bernd Perplies

Friedrich Wilhelm Murnaus Film „Nosfertu“, Bela Lugosi, Christopher Lee, Francis Ford Coppolas „Dracula“, Anne Rices literarisches Schaffen, Joss Whedons TV-Serie „Angel“ und nicht zuletzt die „World of Darkness“ von White Wolf – sie alle verdanken zumindest einen Teil ihrer Existenz und ihres Erfolgs diesem einen Schauerroman um einen Blut saugenden Grafen, der im Zeitraum eines knappen Jahres eine Gruppe Unglücklicher in Transsylvanien und London in eine Reihe Schrecken erregender Ereignisse hineinzieht. Mit Bram Stokers „Dracula“ wurde der Mythos des Vampirs nicht erschaffen, aber doch in unserem kulturellen Bewusstsein verankert. Seitdem schleichen die Erben des Grafen in mannigfaltiger Gestalt um uns herum: als schweigsame Spukgestalten, als bunte Trash-Ikonen, als Witzfiguren, Verführer, Kanonenfutter und geheime Subkultur, welche die Nachtseite unserer Zivilisation bevölkert. Dabei hat der durchschnittliche Nachtmahr mit den spitzen Zähnen und der Stirnwulst, der von Buffy und Konsorten sozusagen im vorbeigehen „gedustet“ wird, nicht mehr viel mit dem adligen Untoten von jenseits des Borgo-Passes zu tun.

Den ganzen Weg der vampirischen Evolution zurück beschreitet das Hörspiel „Dracula“, das von Sven Stricker für den Hörverlag inszeniert wurde. Es widmet sich einmal mehr der ursprünglichen Geschichte Stokers. In einer geschickten Collage aus erzählten Tagebucheinträgen und Spielszenen, welche die Struktur des ebenfalls über weite Strecken in Tagebuch- und Briefform verfassten Romans perfekt einfängt, entfaltet sich auf zwei CDs und mit einer Gesamtspielzeit von 156 Minuten die schaurige Atmosphäre.

Ende des vorletzten Jahrhunderts reist der Immobilienvermittler Jonathan Harker nach Transsylvanien, um dort dem Grafen Dracula ein Objekt in London zu verkaufen. Doch der Aufenthalt auf des Grafen Schloss wird für Harker zum Albtraum. Seltsame, beunruhigende Dinge geschehen innerhalb des uralten, einsam in der Wildnis liegenden Gemäuers und – so wird deutlicher von Nacht zu Nacht – sein Gastgeber ist kein Mensch. Jonathan Harkers Geist gleitet über die Grenze des Wahnsinns, bevor es ihm gelingt, zu fliehen. Doch der Schrecken endet nicht in London, denn der Graf ist in die Metropole gekommen, um an ihrem Leben Teil zu haben – und an ihrem Untergang. Sein Opfer ist die junge Lucy Westenra, eine Freundin Mina Murrays, der Verlobten von Jonathan Harker. Zunächst hilflos müssen dort die beiden Männer Arthur Holmwood und Irrenarzt Dr. Seward mit ansehen, wie ihrer beider Angebetete langsam verfällt, geistig voller Unruhe ist und körperlich an einer unerklärlichen Blutarmut leidet. Auch der herangezogene Spezialist van Helsing, der Professor und Mentor Sewards weiß zunächst keinen Rat, doch er entwickelt eine Theorie, eine furchtbare Ahnung, die sich bestätigt sieht, als Lucy stirbt – mehr oder weniger. Denn zu diesem Zeitpunkt überschneiden sich die Lebenswege der drei Männer und der (mittlerweile verheirateten) Harkers und es enthüllt sich im Austausch über die Ereignisse der wahre Feind: Dracula. Ausgestattet nur mit ihrem Gottvertrauen und dem unerschütterlichen Glauben daran, dass sie das Böse aufhalten müssen, stellen sich die Verschwörer ihrem übermächtigen Gegner.

Ein Großteil der schauerlichen Stimmung beruht natürlich auf der Originalerzählung Stokers selbst, die für das Hörspiel behutsam gekürzt, zusammengefasst und verdichtet wurde (so vermisst man beispielsweise die zusätzliche Romanfigur des Quincey Morris eigentlich kaum). Doch regelrecht heraufbeschworen wird sie durch die düster-dräuende Musik Jan-Peter Pflugs und die atemlosen, furchtsamen, drängenden Stimmen von Konstantin Graudus als Jonathan Harker, Andreas Fröhlich als Dr. Seward und Michael Lott als Arthur Holmwood. Herausragend der mal unheilschwanger grollende, mal überschwenglich polternde Bass von Gerd Baltus als van Helsing; wundervoll diabolisch Felix von Manteuffel als Dracula. Auch die übrigen Rollen wurden sehr passend besetzt: Jörg Pleva schwankt als geistesgestörter Renfield zwischen sanfter Schmeichelei und knurrender Aggression, Céline Fontanges spricht die ebenso besorgte wie resolute Mina Murray und Anna Carlsson darf als Lucy Westenra von mädchenhafter Unbekümmertheit über todbringende Erschöpfung bis hin zu vampirischer Wolllust ein ganzes Spektrum der Gefühle durchleben. Ihnen allen gelingt es, ihre Figuren plastisch und der Buchvorlage entsprechend im Kopf des Hörers zum Leben zu erwecken. Auch die Soundkulisse von Kay Poppe und Carsten Richter ist überwiegend gelungen, wenngleich in den Spielszenen vor allem zu Beginn mitunter etwas künstlich wirkend. Überhaupt wurde an Geräuschen relativ gespart – vor allem bei der Atmo –, was natürlich andererseits die ganze Konzentration auf die starke Wirkung der Stimmen und der Musik richtet sowie die Natur des Tagebuchromans der Vorlage betont.

Das CD-Cover zeigt das satanische Steinfresko, das stilisierte Anlitz des Nosferatu zwischen zwei Wolfköpfen, das zum Markenzeichen für die opulente „Dracula“-Verfilmung durch Francis Ford Coppola wurde und vermutlich weit mehr Menschen bekannt ist als die eigentliche Ursprungsgeschichte von Bram Stoker. Diese Assoziation macht aus Gründen des Marketings also sicher Sinn, wenngleich einen auch umgekehrt das Gefühl beschleichen mag, hier eine halbgare Produktion vorliegen zu haben, die vermittels einer Assoziationskette aus dem Erfolg des Hollywood-Streifens noch einmal Kapital zu schlagen versucht. Dieses Gefühl ist definitiv falsch! Die sehr hörenswerte Adaption des Stoker‘schen Vampirmythos braucht keinesfalls die Hilfe populärer Vorgänger, sondern kann sich durchaus selbst behaupten.

Fazit: Mit „Dracula“ ist dem Hörverlag eine sehr atmosphärische Hörspiel-Adaption des originalen Bram-Stoker-Stoffes gelungen. Gute – und vor allem: gut besetzte – Sprecher, eine düster-dysharmonische Musikuntermalung und eine ordentliche Geräuschkulisse lassen den untoten Grafen aus Transsylvanien einmal mehr auf schauerliche Art und Weise seinem Grabe entsteigen.


Dracula
Hörspiel nach dem Roman von Bram Stoker
Sven Stricker
Hörverlag 2004
ISBN: 3899404319
2 CDs, 150 min., deutsch
Preis: EUR 19,95

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