Die schwarze Sonne 4: VRIL

Atmen. Ein und aus. Ruhig werden. Dann versuchen, das eben Gehörte wiederzugeben. Den Sinn, den die Geschichte beim Anhören machte, in Worte zu fassen, ihn erneut zu greifen. Und doch dabei wissen, dass man nicht anders kann als an dieser Aufgabe zu scheitern. Nun denn, hier ist sie: die Kapitulation eines Rezensenten.

von Christian Humberg

 

Zu Beginn eine ernst gemeinte Warnung an alle Gelegenheitshörer, Neueinsteiger und Nebenbeibügler: Lasst es!  Wer sich auf „Die schwarze Sonne“ einlässt, muss das ganz tun, muss ganz Ohr und Hirn werden und Ablenkungen ausschalten. Diese Hörspiele verlangen ein Maß an Aufmerksamkeit, das man von anderen Produktionen nicht kennt und daher zunächst auch nicht von dieser erwartet. Die Serie springt zwischen Zeitebenen und Erzählperspektiven, Handlungsschauplätzen und Personen hin und her, dass es für Freunde komplexer Storylines nur so eine Freude ist. Wer LAUSCH hört, bekommt viel Plot für sein Geld.

Hörspiel zum Nachrecherchieren

Man kann Günter Merlau, dem Mastermind und Chefautor hinter den LAUSCH-Werken, nicht vorhalten, sein Publikum mit Billigware abzuspeisen. Wer sich auf ein Hörspiel dieses Labels einlässt – sei es „Caine“, „Drizzt“, „Die schwarze Sonne“ oder eine andere Publikation –, bekommt gar keines, zumindest nicht im klassischen Sinne. LAUSCH produziert Hör-Erfahrungen.

Anders lässt sich „VRIL“, die vierte und überraschend aufschlussreiche Episode aus der als Mysteryserie begonnenen „schwarzen Sonne“, auch nicht beschreiben: als Erfahrung. Als ein Trip, und noch dazu ein ziemlich cooler.

Frisch der tibetischen Höhlen-Hölle entkommen, schleppt Adam Salton seinen derilierenden Freund Nathaniel durch den Schnee, wo sie schließlich von Missionaren gefunden und gerettet werden. Doch die Uhr läuft, da Adam und der arg geschwächte de Sallis weiterreisen müssen und auf Rekonvaleszenzphasen kaum Rücksicht nehmen können. Gemeinsam mit ihren Rettern setzen sie ihre Reise fort, werden aber Opfer einer Täuschung.

Der Nazi-Plot befasst sich derweil mit der titelgebenden Schwarzen Sonne, einer legendenumwobenen NS-Geheimorganisation, die sich – zumindest im Rahmen von Geschichten wie dieser – mit esoterischen und paranormalen Forschungen befasst hat. In „VRIL“ bemühen sich unter anderem Heinrich Himmler und Hermann Göring darum, die überraschend konkreten Früchte ihrer diesbezüglichen Arbeit auszukosten.

Das scheint aber nicht geklappt zu haben, existiert doch auch noch Zeitstrang drei, in dem sich der Bundesnachrichtendienst (?) um eine genauere Untersuchung der einst durch die NSler aufgebrachten Phänomene kümmert, dabei aber auch seine eigenen, geheimen Ziele zu verfolgen scheint.

Wie man es von diesem Label gewohnt ist, schert sich die Geschichte nicht groß um erklärende Zwischenszenen. Wenn ein Handlungssprung geschieht – und das kommt auch in „VRIL“ nicht selten vor – muss, soll und kann der aufmerksame Hörer sich stets neu orientieren. Darin ist „Die schwarze Sonne“ der Reihe „Caine“ ähnlich, auch wenn sie deutlich epischer (und somit abgefahrener) angelegt ist.

Aufmachung

Optisch und akustisch ist „VRIL“, wie auch die früheren Teile dieser Reihe, sehr gelungen. Die neue Covergestaltung von Merlau selbst trifft die Atmosphäre der Serie genau, auch und gerade wenn man nicht immer direkt Zusammenhänge zwischen Bild und Inhalt erkennen kann. Die Sprecher sind abermals in guter Form, die Riege der Figuren scheint stetig zuzunehmen. In „VRIL“ fällt es besonders Adam Salton (Christian und Horst Stark) zu, die düster-melancholische Prosa des Autors in kleineren Monologsequenzen wiederzugeben.

Wer die vorherigen Teile der Reihe kennt, freut sich schon auf Sabine Weiss’ extrem gelungene Booklet-Illustrationen. In Anbetracht der komplexen Struktur der Geschichte sollte man bei LAUSCH vielleicht aber auch darüber nachdenken, den Booklets späterer CDs ein „Was bisher geschah“ beizufügen.

Fazit: … und alle Fragen offen. Wer bisher noch zweifelte, dass LAUSCH Hörspiele produzieren, die ihr Publikum sprachlos zurücklassen, sei mit dieser Rezension, die noch jetzt vergeblich nach den richtigen Worten sucht, nun davon überzeugt. „VRIL“ ist kein Werk, dem Otto Normalhörer allzu leicht folgen könnte. Geschichtswissen, eine Affinität für historische Verschwörungstheorien und den Willen, auch mal ein Hörspiel zu verlassen und mehr offene als beantwortete Fragen zu haben, sind Voraussetzungen für die Hörer von „Der schwarzen Sonne“. LAUSCH lehnen sich mit dieser Reihe ziemlich weit aus dem Fenster, stechen dadurch aber auch aus der Masse heraus.


Die schwarze Sonne 4: VRIL
Hörspiel
Günter Merlau
LAUSCH 2007
ISBN: 978-3-939600-11-4
1 CD, deutsch, 75 min.
Preis: EUR 9,99

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