Die schwarze Sonne 3: Weißes Gold

Was ist Zeit anderes als der Versuch, Geschehnissen eine Struktur zu verleihen, sie fassbarer zu machen? Was ist das Leben anderes als ein organisches Rätsel, dessen letzte Geheimnisse vielleicht nur demjenigen offenbart werden, der bereit ist, für seine Neugier auch über Grenzen zu gehen? Und was ist „Die schwarze Sonne“ eigentlich? Ein Hörspiel? Oder schon mehr?

von Christian Humberg

Es scheint wirklich erst zwei CDs her zu sein, da gab es eine Hörspielserie, die sich unter viel Lob und Anteilnahme von Seiten der Fans mit zwei unterschiedlichen Menschen aus dem England des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts befasste und diese in eine gewaltige Verschwörung stieß, von der sie längst ein Teil geworden waren. Adam Salton und Nathaniel de Sallis stellten sich in einem ursprünglich auf einer Stoker-Kurzgeschichte basierenden Hörspiel einem namenlosen weißen Schrecken aus der Tiefe der Erde. Adam, der bei dieser Konfrontation seine Herzdame verlor, schloss sich danach antriebslos de Sallis an, einem mysteriösen und dennoch väterlichen Menschen, über dessen wahre Motivation (und Identität) der Hörer nur spekulieren kann.

Let’s do the time warp

 

Wie es scheint, haben die Nazis damit angefangen. Heinrich Himmler und die schwarze Sonne, die VRIL-Gesellschaft und ihre nordischen Ursprünge, die Wewelsburg… Auf diesem Mix aus historischen Fakten und mal mehr, mal weniger geläufigen Legenden um die geheimen Forschungsrichtungen der NS-Zeit scheint der (bisherige) Kern dieser Hörspielserie zu fußen, deren inhaltliche Ausrichtung mit „Weißes Gold“ abermals einen beachtlichen Schwenk vollzieht und dennoch stimmig bleibt.

 

Hier geht es um Nazi-Experimente, um Zeitreisen, die Hohlwelt-Lehre und antike Gottheiten sowie um den menschlichen Wunsch, das Paranormale zu fassen und zu beherrschen. Himmler (extrem seltsamer Sprechstil, übrigens) und Co. scheinen Tore öffnen zu wollen, die in andere Dimensionen führen. Der Bundesnachrichtendienst scheint Jahrzehnte später auf ihrer Forschung aufbauen beziehungsweise sie untersuchen zu wollen. Und fernab in der Vergangenheit des neunzehnten Jahrhunderts scheinen sich die gequälten Seelen Adam Salton und Nathaniel de Sallis auf eine Wanderschaft zu begeben, die sie längst nicht nur geographisch in neue Gefilde vorstoßen lässt.

 

Es geht um viel bei der „schwarzen Sonne“. War die zweite Ausgabe dieser Reihe noch beeindruckendes Kopfkino, entwickelt sie sich mit Teil drei langsam zum Fest für Querverweissammler. Und zur Serie, auf die man sich als Hörer einfach einlassen muss – geschichtliche Vorkenntnisse sind dabei übrigens nicht von Nachteil.

 

Fazit: Also daher weht der Wind. LAUSCH hatten angekündigt, mit dieser Serie narrativ die Jahrzehnte umspannen zu wollen. Doch dass das so schnell geschieht, hätten wohl die wenigsten gedacht. Schon in Folge drei wirft Günter Merlau eine rein chronologische Erzählweise eindrucksvoll über Bord und vergnügt sich (und uns) in mehreren parallel erzählten Zeit- und Handlungsebenen, deren letztliches Zusammenspiel sich dem Hörer vermutlich erst in späteren Ausgaben erschließen wird. Doch gibt „Weißes Gold“ eine deutliche Richtung vor und lässt erahnen, wie viel Recherchearbeit hinter einem Autor stecken muss, der sich einen so propevollen und komplexen Plot erarbeitet hat. Dieses Hörspiel strengt an, verlangt Aufmerksamkeit, Geduld und die Fähigkeit zur Abstraktion – doch es entlohnt mit einer mehr als abgefahrenen Geschichte, die man so sicher noch nirgends gehört hat.


Die schwarze Sonne 3: Weißes Gold
Hörspiel
Günter Merlau
LAUSCH 2007
ISBN 978-3-939600-10-7
1 CD, deutsch, 75 min.
Preis: EUR 9,99

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