Die schwarze Sonne 2: Böses Erwachen

Die Erde ist hohl, Jules Verne war ein Weichei und die Freimaurer haben irgendwo auch noch ihre Finger mit drin – LAUSCHs viktorianische Gruselserie „Die schwarze Sonne“ entwickelt sich in ihrer zweiten Folge zum schon beinahe episch anmutenden Verschwörungsthriller. Und macht absolut Spaß!

von Christian Humberg

Ein Jahr ist seit den Geschehnissen aus „Das Schloss der Schlange“ vergangen; ein Jahr, in welchem der in tiefer Trauer und Schock verlorene Adam Salton kein Wort mehr gesprochen hat. Willen- und antriebslos begleitet er seinen väterlichen Freund und Leidensgenossen Nathaniel de Salis bei dessen Geschäften und Reisen, von denen der in seine ganz private innere Hölle versunkene Adam aber kaum etwas wahrnimmt.

Erst 1886 in Paris, als beide Zeuge eines Mordanschlages auf den berühmten Schriftsteller Jules Verne werden, gerät wieder Leben in Adam. Dumm nur, dass längst Räder in Bewegung gesetzt sind, die ihm genau dieses nehmen wollen... Denn Verne hat seinen Mund nicht gehalten. Der phantastische Autor hat für seinen jüngsten Roman ein Geheimnis seiner Bruderschaft, der Freimaurerloge, thematisiert und es – in dem irrigen Glauben, man werde den Roman ohnehin für reine Fiktion halten – dramaturgisch gekonnt und in allen Einzelheiten niedergeschrieben.

Für seinen Maurerbruder de Salis bricht beinahe eine Welt zusammen, als der in Scham gebeugte Verne ihm dies beichtet. In großer Eile reist Nathaniel nach Monaco, wo Vernes Verleger lebt, um das Unglück noch vor der Drucklegung aufzuhalten, doch stehen schon bald Probleme auf der Tagesordnung, gegen die ein unbequemes Romanmanuskript der reinste Kinderkram ist. Und Adam Salton, der sich scheinbar grundlos wiederholt an Erlebnisse aus seiner Kindheit in Australien erinnert, steht im Zentrum der kommenden Gefahren.

Hörspiel zum Mitschreiben

Uff... Ganz schön viel Handlung, die uns die LAUSCHer da auf 70 Minuten präsentieren. „Böses Erwachen“ fühlt sich weniger wie eine Serienepisode als vielmehr wie ein ganzer Spielfilm an. Die Handlung führt den Hörer nach Paris und Monaco, eingestreute Rückblenden erzählen Begebenheiten aus Adams Kindheit und ein einschneidendes Erlebnis seines Vaters William, eines australischen Landvermessers. Die Bösen haben auch gelegentliche Zwischenspiele, unbekannte Wahrheiten über Hauptfiguren kommen en passant ans Licht, Jules Verne tritt auf – kurz gesagt: Es wird einiges geboten. Es gibt ja Leute (zu denen ich mich auch zähle), die Hörspiele gerne zum Einschlafen genießen. Wagt das ja nicht bei „Böses Erwachen“! Diese Geschichte verlangt eure volle Aufmerksamkeit.

Wenn das jetzt abschreckend klingt: Das soll es nicht, ganz im Gegenteil! War meine Reaktion auf die Premierenfolge dieser Reihe noch eher verhalten, drehen die Autoren Günter Merlau und Thomas Kloos nach der damaligen Bram-Stoker-Adaption jetzt voll auf und bieten ein wahres Fest an Action, Mystery und viktorianischem Flair. Fans von globalen Verschwörungen und Hidden Agendas kommen voll auf ihre Kosten. Der in meiner ersten Rezension angeführte Vergleich mit Alan Moores „League of Extraordinary Gentlemen“ scheint sich zu festigen: Fröhlich (und schlüssig!) bedient sich „Böses Erwachen“ in Personal- (Jules Verne, Elisabeth Báthory usw.) und Handlungsfragen (Hohlwelttheorie, Vampire, Freimaurer, australische Ureinwohner) bei Weltgeschichte und Popkultur und mixt aus den unterschiedlichsten Zutaten einen zwar wilden, aber genau deswegen absolut faszinierenden Handlunsgbogen, der einfach mitreißt. Das Hörspiel verlangt einiges an Konzentration von seinem Publikum, belohnt dieses aber mit einer wahr- und dauerhaft atemberaubenden Geschichte.

Ausstattung

Hier gibt es kaum Neues zu vermelden. Der Score von Debbie Wiseman ist nach wie vor Weltklasse, die Sprecher um die Protagonisten Christian Stark und Harald Halgart optimal besetzt und sehr einfühlsam bei der Sache, und Günter Merlaus Regie versteht es abermals (wie etwa schon bei „Caine“), die im Genre übliche Hörspielstruktur akustisch auf ein ganz neues Level zu heben: Wie hier die Handlungsabschnitte nahezu ineinander greifen, sich Realitäten und Einbildungen/Erinnerungen akustisch überlagern – das ist schon großes (Kopf-)Kino! Auch das Booklet, abermals durch sehr atmosphärische Zeichnungen von Sabine Weiss veredelt, kann sich sehen lassen und zeigt etwaigen Konkurrenzprodukten mal eben, wie man sowas richtig macht.

Fazit: Ich kenn‘ doch meine LAUSCHer: Hatte ich der Premiere von „Die schwarze Sonne“ noch Welpenschutz gewährt, muss sich „Böses Erwachen“, die zweite Episode dieser Reihe, schon hinter niemandem mehr verstecken. Im Gegenteil! Dieses Hörspiel ist ein wahrer Spielfilm, so facettenreich und vielschichtig ist die Handlung, so bunt und lebendig deren Umsetzung. Es geschieht selten, dass man ein Hörspiel beendet, und dann bittebittebitte sofort die Fortsetzung haben möchte – beim vorliegenden ist das definitiv der Fall! Also: Schönen Gruß nach Hamburg, ich bin angefixt!


Die schwarze Sonne 2: Böses Erwachen
Hörspiel, teilweise basierend auf Charakteren aus Bram Stokers „Das Schloss der Schlange“
Günter Merlau, Thomas Kloos
LAUSCH 2006
ISBN: 3-939600-07-5
1 CD, deutsch, 70 min.
Preis: EUR 9,99

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