Die schwarze Sonne 1: Das Schloss der Schlange

Sie sind der Mulder und die Scully des viktorianischen Englands und stellen sich (relativ) furchtlos dem Grauen in Form von heidnischen Kulten und finsteren Gottheiten: Nein, Nathaniel de Sallis und der junge Adam Salton führen kein normales Leben, denn das Geschäft der beiden Gentlemen ist das Übernatürliche.

von Christian Humberg

Es beginnt auf dem Herrensitz von Edgar Caswell und erinnert gaaanz latent an Alan Moores „League of Extraordinary Gentlemen“: Gemeinsam mit Nathaniel de Sallis, einem Freund seines Onkels, erlebt der soeben aus Australien nach England heimgekehrte Adam Salton Furcht einflößende Visionen, die von drohendem Unheil künden. Und von einer weißen Riesenschlange, die unterhalb des hiesigen Landstrichs lebt. Was ist dran an diesen vermeintlichen Wahnvorstellungen und welches Geheimnis birgt der mürrische und unbeliebte Caswell? Die beiden unfreiwilligen Helden stolpern in eine Geschichte, deren Ursprünge weit in der britischen Vergangenheit und in angelsächsichen Riten liegen. Für Adam werden die Ermittlungen zum persönlichen Grauen, als seine potenzielle Herzdame Mimi Watford Opfer der Geschehnisse zu werden droht.

Serie mit Storyarc

Wenn im Booklet eines Hörspiels die Angabe „außerordentlich frei nach“ steht, kann man erwarten, dass das letztliche Werk nicht mehr viel mit der ihm zugrunde liegenden Literaturvorlage gemein hat. Dies trifft auch auf „Das Schloss der Schlange“ zu, mit welchem die bereits durch ihr vorzügliches Trashfest „Caine“ bekannten LAUSCHer eine neue Reihe starten.

Stoker-Kenner werden diese Information mit Freuden lesen, gehört „Das Schloss der Schlange“, welches der Dracula-Autor als abgebrannter Mann kurz vor seinem Tod vollendete, doch bei Weitem nicht zu den Glanzleistungen des Meisters. (Wer’s ganz bitter mag: Es existiert sogar eine Verfilmung der Geschichte aus dem Jahr 1988, in welcher Regisseur Ken Russell einen jungen Hugh Grant durch die relativ billige Produktion scheucht.) Decken auch wir den Mantel des Schweigens über Stokers Erzählung und widmen uns allein dem vorliegenden Hörspiel.

Bis in die Anfänge des Nationalsozialismus wollen uns die Erlebnisse de Sallis‘ und Saltons chronologisch noch begleiten, die hier im Jahr 1885 beginnen und beide Herren als viktorianische Monsterjäger etablieren. Dabei bedient sich die Produktion der schon von „Caine“ bekannten hohen Standards. So ist etwa der Soundtrack exquisit, die Rollen (bis auf einige wenige Stichwortgeber) gut besetzt und der akustische Gesamteindruck abermals sehr gelungen. Im Gegensatz zu „Caine“ setzt „Die schwarze Sonne“ auf ein atmosphärischeres, ruhigeres Gruselsetting und lässt sich mit dem Vorantreiben seiner Handlung Zeit, auch wenn der erste Tote schon nach wenigen Minuten fällig ist. Ebenfalls sehr lobend zu erwähnen ist das Booklet, welches eigens dafür angefertigte, stimmungsvolle Illustrationen von Sabine Weiss zieren – ein netter Bonus, den sich andere Hörspiele gerne abschauen könnten.

Aber jedes Hörspiel ist immer nur so gut, wie seine Handlung, und in dem Bereich hat „Die schwarze Sonne“ durchaus noch Steigerungsbedarf. Vermutlich liegt es am Pilotfolgen-Problem: Zunächst müssen dem Hörer die handelnden Figuren vorgestellt und sympathisch gemacht werden, dann ist auf ihre die Folgen übergreifende Mission zu verweisen und nebenbei steht ja auch noch ein „aktueller Fall“ an – „Das Schloss der Schlange“ will (und muss) viel leisten und gerät dabei mitunter ins Stolpern.

Der Spannungsbogen, den Autor und Regisseur Günter Merlau präsentiert, ist gelungen und vermag zu fesseln, doch kommt es gelegentlich zu Handlungssprüngen, die zumindest diesem Rezensenten etwas gewagt erscheinen (so scheint es etwa schwer vorstellbar, wie normal und unbeeindruckt sich Merlaus Figuren nach den Monstersichtungen geben, auch wenn diese „nur“ auf der Ebene von Visionen stattfanden). Doch ist man aufgrund der ansonsten sehr gelungenen Produktion, der „Caine“-Referenz und der ohnehin nicht allzu prickelnden Stoker-Vorlage gerne gewillt, der „schwarzen Sonne“ einen Welpenbonus zu gewähren und sich auf die zweite Folge zu freuen. Es heißt, darin trete Jules Verne auf!

Fazit: Her Majesty’s Ghostbusters sind da! Mit Adam Salton und Nathaniel de Sallis, zwei Figuren aus Bram Stokers Spätwerk „Das Schloss der Schlange“, präsentieren uns die LAUSCHer zwei neue Serienhelden, die den Kampf gegen finstere Mächte des viktorianischen Zeitalters aufnehmen. Zwar schwächelt die überwiegend gelungene Premiere noch aufgrund kleinerer dramaturgischer Stolpersteine, doch machen Konzept und Umsetzung neugierig darauf, wo diese Reihe hin will.


Die schwarze Sonne 1: Das Schloss der Schlange
Hörspiel (sehr frei) nach einer Erzählung von Bram Stoker
Günter Merlau
Lausch 2006
EAN: 4 042564 016017 7
1 CD, 69 min., deutsch
Preis: EUR 9,99

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