Die drei Kolosse

„Ein mystisches Rätselspiel mit atmosphärischen Hörspielen“ steht auf der Spieleschachtel von „Die drei Kolosse“, welches in der Zweitauflage im PD-Verlag erschienen ist. Das Herzensprojekt von Johannes Lorenzen (ursprünglich im Eigenverlag erschienen) zeigt, was mit Liebe und Hingabe am Spieltisch möglich ist.

von LarsB

Wieder ein Krimispiel? Oder doch eher ein Escape-Room-Spiel? Davon gab es doch schon so viele. Ach, lass mal sein. Was wird da „Die drei Kolosse“ schon anders machen? Ganz einfach. „Die drei Kolosse“ strotzt nur so vor Atmosphäre und Charme. Es ist ein Rätselspiel, ja. Aber es erzählt auf ungewöhnlich immersive Art auch eine Geschichte.

Als Professoren verschiedener Fachgebiete wurden wir gebeten, das Rätsel rund um die drei Kolosse im beschaulichen Bad Wahrfels zu lösen. Der Bürgermeister persönlich hat uns gerufen. Die Steinstatuen sollen sich nämlich in der Nacht in Monster verwandeln. Und das beunruhigt die Einwohner von Bad Wahrfels schon ein wenig. Lässt sich der ganze Spuk mit wissenschaftlichen Methoden aufklären oder ist da doch etwas Übersinnliches im Gange?

Das Spielmaterial 

Tja, hier wird es schwierig. Das meiste Spielmaterial ist in den dreizehn Rätselumschlägen versteckt. Und Rätsel darf man nicht spoilern. Aber so viel ist verraten: Das Material ist nicht nur fantasievoll ausgewählt und oft auch humorvoll dargeboten, teilweise wurde es auch auf stimmungsvolle Art „endbehandelt“. 

Das beigelegte Begrüßungsschreiben führt uns in das Spiel ein. Als guter Gastgeber hat man das Schreiben schon einmal vor dem Spieleabend durchgearbeitet, um die Spielegäste direkt stimmungsvoll und kompetent abholen zu können. Jeder der fünf Rollen ist ein Umschlag a.k.a. Koffer mit dem „Spezialwissen“ des jeweiligen Professors zugeordnet. Hier kann sich jeder Spieler bei der Lösung der Rätsel einbringen. Die Namensschilder komplettieren die Komponentenliste. Die kann man sich auf sein Oberteil kleben, damit man fortan auch korrekt angesprochen wird. Natürlich gibt es davon gleich mehrere, damit die Schilder immer schön kleben, wenn man das Spieleerlebnis auf mehrere Termine verteilt.

Und die Website darf man auf keinen Fall vergessen. Diese führt uns durch die Geschichte und die Rätsel und sorgt für die passende Atmosphäre während des Rätselns. Mindestens eine vernünftige Bluetooth-Box würde ich hier empfehlen, damit das cineastisch Dargebotene nicht quäkig aus dem Tabletlautsprecher schal(l)meit. Die Hörspieleinlagen jedenfalls haben höchstes Niveau und sollten entsprechend genossen werden. Die stimmungsverstärkende Musik während der Rätsel möchte zumindest etwas Bassumfang an die Ohren der Spielenden weitergeben. Erfreulich: Es funktioniert alles einfach einwandfrei, wenn man die Kapitel sauber zu Ende spielt. Einmal haben wir innerhalb eines Kapitels unterbrochen. Da mussten wir dann nochmal eine Lösung eingeben, die wir schon eingegeben hatten. Nichts Schlimmes also.

Der Spielablauf

Wir müssen uns eigentlich um nichts weiter kümmern. Die Website nimmt uns direkt an die Hand. Storyelemente im Hörspielformat wechseln sich ab mit von den Spielern vorgetragenen Vorlesedialogen (per Zugriff über einen QR-Code auf dem Handy) und münden schließlich in eine Rätselphase, für die uns neues Material aus einem der Umschläge zur Verfügung gestellt wird. Es wird empfohlen, ein Tablet oder auch einen Laptop zu nutzen, damit alle Mitspieler die Story am Bildschirm gut verfolgen können. Und ja, je größer der Bildschirm, desto besser. 

Das benötigte Material wird cool referenziert. Da macht das Heraussuchen und Öffnen des passenden Briefumschlags FREUDE, Freude, freude … Das Spiel räumt uns Zeit ein, die Materialien zu entdecken, zu erkunden, zu erforschen, bevor wir uns wirklich mit dem Rätselauftrag selbst befassen. Einigen Rätseln widmen wir uns gemeinschaftlich, einige Rätsel bearbeiten wir parallel. Wir können uns jederzeit Hinweise über die Website ziehen. Das geht nicht zulasten irgendeiner Punktzahl. Das Spielerlebnis soll so passend und angenehm wie möglich sein und nicht zu einem Ärgernis werden. 

Das Spiel wird in drei Kapiteln zu je ungefähr zwei Stunden gespielt. Es gibt jeweils ein Video, dass die Ereignisse der vergangenen Kapitel nochmals zusammenfasst, sodass man auch nach etwas längerer Pause wieder gut in die Story hineinkommt.

Das Spielgefühl

„Die drei Kolosse“ schafft etwas, was nur selten am Spieletisch zuhause gelingt. Es zieht uns in eine spannend vorgetragene Geschichte hinein. Wir fühlen uns so ein bisschen wie „Die drei Fragezeichen“, nur eben als Professoren-Gang. Gelöste Rätsel führen zu neuen Erkenntnissen, die die Story vorantreiben. Und die Liebe, die in die Spielmaterialien gesteckt wurde, verbessert das Spielerlebnis noch darüber hinaus. Da liegt eben nicht nur ein Haufen frisch gedruckter Zettel in den Umschlägen. Das ist eine echte Stärke von „Die drei Kolosse“. Die Hörspieldialoge sind wirklich toll eingesprochen. Johannes Lorenzen übernimmt hier die Rolle des Erzählers und gleich zwei Rollen, die er  hervorragend und witzig spricht. Brian Sommer kennt man beispielsweise aus der Amazon-Music-Werbung oder auch von den „Drei Fragezeichen Kids“. Jannika Jira hat unter anderem die Apple-Werbung eingesprochen und ist bei „Stranger Things“ zu hören. Hier wurde professionell besetzt. Und das hört man auch.

Ein kleines „H“ in der Suppe betrifft die Entscheidung zur Namenswahl der Charaktere. Sicher ist es cool, sich die Namen ausdenken zu dürfen. Da kann die Gruppe aktiv werden und ihre eigenen Vorstellungen und ihren eigenen Humor kreativ ausleben. In den Hörspieldialogen ist dann aber immer noch von „A“, „B“ oder „C“ die Rede und eben nicht von „Aal“, „Basalt“ oder „Castle“. Wir hätten es besser gefunden, Namen vorgegeben zu bekommen und diese dann auch im Hörspiel entsprechend zu hören – wegen der Atmosphäre, die sonst so perfekt aufgebaut wird.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Nutzung der Website und damit digitaler Medien ganz klar ein Schlüssel ist, um dieses immersive Spielgefühl zu erzeugen. Analog-Puristen sind demnach bei „Die drei Kolosse“ nicht richtig aufgehoben. Ich als Verfechter des analogen Spielerlebnisses fand die digitale Einbindung aber so gelungen ganzheitlich und wertstiftend, dass ich mir dieses Spiel anders gar nicht vorstellen kann oder möchte. 
 
Die Spieler-Dialoge und die parallelen Rätsel funktionieren am besten in der Idealbesetzung „Immersion“ von fünf Spielern. Es ist allerdings auch gut möglich, die Spieleranzahl kleiner zu wählen. Dann übernimmt man eben die Rollen von zwei oder drei Protagonisten in den Dialogen. Auch das parallele Rätseln funktioniert am besten in voller Besetzung. Allerdings finde ich, dass die Gruppenrätsel in der Idealbesetzung „Rätselspaß“ zu dritt angegangen werden können. Es ist manchmal einfach nicht genug relevantes Material da, dass alle fünf Spieler gleichzeitig und gleichberechtigt an den Rätseln arbeiten können. Und so hängt die Idealbesetzung von der Gruppe selbst ab. Ist es den Spielern wichtig, immer und jederzeit voll involviert in die Rätselei zu sein? Oder ist es auch mal okay, sich etwas zurückzulehnen und den anderen beim Rätsel zuzuhören und gegebenenfalls aus dem Off schlaue Sprüche einzustreuen und dafür voll und ganz in seiner Rolle aufzugehen? Wir haben ein Kapitel zu zweit gespielt und es hat einwandfrei funktioniert. Um das aber richtig einzuordnen: „Die drei Kolosse“ schafft es besser als die meisten anderen Rätselspiele am Markt, viele Spieler in die Rätsel einzubinden. Und es ist mehr als ein reines Rätselspiel. Hier steht die Geschichte auf der gleichen Stufe.

Die Rätsel selbst sind schlüssig und spätestens nach Konsultation der Unterlagen in den Professorenkoffern für erfahrene Rätselspieler gut lösbar. Die Rätsel sind vielfältig und vermögen zu unterhalten. Wer höchsten verschachtelten Rätselanspruch sucht, wird hier aber nicht fündig. „Die drei Kolosse“ will die Spieler nicht übermäßig mit Gehirnschmelze-Rätseln aufhalten. Es will eben auch eine Geschichte erzählen. Da würden zu krasse Rätsel einfach stören. Das malusfreie Hinweissystem unterstreicht das. Damit werden aus meiner Sicht auch Rätselspieleinsteiger gut abgeholt. Rätselpuristen sind bei „Die drei Kolosse“ wahrscheinlich nicht richtig aufgehoben.

Eine Anforderung jenseits des Rätselns stellt das Spiel an die Spieler. Es muss Ordnung gehalten werden. Eine überdimensionale Büroklammer hilft dabei. Materialien sind für spätere Rätsel weiterhin relevant. Am Ende eines jeden Kapitels werden die Dokumente aufgezählt, die nicht mehr benötigt werden. Wer also nach dem Spieleabend schnell alle Materialien in die Spielschachtel hinein pfercht, ist für die folgenden Kapitel nicht optimal aufgestellt. Gar nicht zu empfehlen ist, Materialien nach einmaligem Gebrauch gar vorschnell zu entsorgen. Tut’s nicht!

„Die drei Kolosse“ verzeiht es grundsätzlich durch die „Was bisher geschah“-Videos, wenn zwischen den Kapiteln einige Zeit liegt. Empfehlen würde ich aber, das Spiel in kurzer Zeit, vielleicht sogar an einem Wochenende, zu spielen. So bleibt die Geschichte in all ihren Aspekten frisch im Kopf. Insbesondere ein Rätsel im dritten Kapitel dauerte nach der mehrwöchigen Pause länger, als es uns lieb war.

Fazit: „Die drei Kolosse“ ist für mich das, was ich mir von einem Krimispiel eigentlich wünschen würde: eine unterhaltsame Story, fantasievolles Material und interessante Rätsel mit Hörspieleinlagen auf absolutem Profi-Niveau. Das macht den charmanten Story-Rätselspiel-Hybriden sehr immersiv. Lange Spielpausen verzeiht „Die drei Kolosse“ zwar, aber für den ultimativen Genuss empfehle ich den Konsum an einem Wochenende mit ein paar Pausen zwischendurch. Eine höhere Spieleranzahl ist hier nicht so fatal wie in anderen Rätselspielen. Im Gegenteil: Für die perfekte Immersion sind fünf Spieler ideal. An jeder Stelle ist sehr viel Liebe in die Gestaltung gesteckt worden. Man merkt, dass das Spiel als Liebhaberprojekt das Licht der Welt erblickt hat. Kudos an den PD-Verlag, diesen Titel ins Verlagsprogramm aufgenommen zu haben. Eine echte Perle. Die beste Nachricht zum Schluss: Wir dürfen uns wohl auf eine Fortsetzung der Reihe freuen. Johannes Lorenzen is on fire!

Die drei Kolosse
Brettspiel für 1 bis 5 Spieler ab 14 Jahren
Johannes Lorenzen
PD Verlag 2025
EAN: 4260754850153
Sprache: Deutsch
Preis 44,80 EUR

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