Die Adlerreiter und das Horn der Rohira – Interview mit Bernd Perplies & Christian Humberg

Anlässlich der Veröffentlichung unserer Rezension hat der Ringbote mit dem Autoren-Duo Bernd Perplies und Christian Humberg ein Interview geführt. Wie gehen die beiden beim Erschaffen ihrer Welten vor? Was machen Kinder cleverer als Erwachsene? Werden die Adlerreiter noch mehr gemeinsame Abenteuer erleben? Antworten gibt es hier.

von Oli Clemens

Ringbote: Nach dem Erfolg der Roman-Reihe „Drachengasse 13“, deren Bände nun nacheinander neu aufgelegt werden, habt ihr wieder zusammen an einem Fantasy-Roman gearbeitet. Wie geht ihr beim gemeinsamen Schreiben vor?

Christian Humberg: Wann immer wir zusammen ein Buchprojekt angehen – und im Bereich Phantastik-Kinderbuch wären hier auch noch die Reihen „Die unheimlichen Fälle des Lucius Adler“ und „Die Wächter von Aquaterra“ zu nennen –, läuft das nach einem bewährten Muster ab. Wir erarbeiten gemeinsam die Idee, die Figuren und ihre Hintergründe. Im zweiten Arbeitsschritt schreiben wir dann, ebenfalls gemeinsam, ein umfangreiches Kapitelexposé für den geplanten Roman, in dem genau festgehalten ist, wann in unserer Handlung wo was mit wem und wie geschieht. Dieses Kapitelexposé ist dann die Basis für unsere Manuskriptarbeit. Die einzelnen Kapitel des Buches teilen wir stets brüderlich untereinander auf und schreiben parallel an ihnen. Wann immer wir ein Kapitel in der Rohfassung fertig haben, reichen wir es an den jeweiligen Kollegen zur Überarbeitung weiter. Hier hat dann jeder von uns völlig freie Hand, den Text des anderen – in sinnvollem, helfenden Maß – zu optimieren. So stellen wir sicher, dass keinerlei Anschlussfehler im Buch entstehen und dass das finale Manuskript klingt, als wäre es von einem einzigen Autor verfasst worden.

RB: Nachdem die Stadt und seine Bewohner eher klassische Fantasy-Motive aufgreifen, habt ihr mit dem Wolkenmeer eine neue und einzigartige Umgebung geschaffen. Wer von euch beiden kam mit der Idee, mal was ganz anderes zu erschaffen?

Bernd Perplies:
Das Wolkenmeer geht ursprünglich auf meinen Roman „Der Drachenjäger“ zurück. Inspiriert von „Moby Dick“ wollte ich einen Roman über mutige Drachenjäger schreiben und dazu alles, was bei Walfang-Geschichten auf dem Wasser existiert und stattfindet in die Lüfte erheben. Statt Wale werden Drachen gejagt. Statt Fischen gibt es einen riesigen Artenreichtum an Vögeln und Flugechsen. Die Schiffe können fliegen. Die Inseln schweben in den Wolken. Für „Die Adlerreiter“, die inhaltlich eine völlig eigenständige Geschichte sind, haben wir das Setting noch einmal deutlich erweitert. So haben wir mit den Vorlakks Wolkennomaden eingeführt, uns über schwebende Pflanzen Gedanken gemacht, es gibt Luftpiraten, Riesenadler und sogenannte Bala, mächtige fliegende Geschöpfe, die tatsächlich ein wenig an Wale erinnern. Außerdem werfen wir einen Blick in die Vergangenheit des Wolkenmeers. Es ist ein tolles Setting, in dem man seiner Fantasie wirklich freien Lauf lassen kann.

RB: Die Welten, die wir dank euch besuchen dürfen, sind unglaublich divers. Auch die Adlerreiter treffen auf ihrer Reise auf die unterschiedlichsten Völker. Wie wichtig ist euch diese Vielfältigkeit in eurem Werk, und inwiefern verfolgt ihr als Schriftsteller für Kinder einen pädagogischen Anspruch?

CH: Einen pädagogischen Anspruch habe zumindest ich nicht, ehrlich gesagt. Ich bin Schriftsteller und möchte meine Leserinnen und Leser bestmöglich unterhalten. Das ist die Mission, wann immer ich ein neues Projekt angehe. Das allein ist (mir) wichtig. Selbstverständlich kann ein spannendes oder lustiges Abenteuer wie die „Adlerreiter“ auch mit sozialen Aussagen oder einem Lehr-Mehrwert einhergehen, das sollte aber – wenn überhaupt – meines Erachtens klar die zweite Geige spielen und tut es in unseren Büchern ja auch. Ja, unsere phantastischen Welten, in denen Talyn, Hanissa, Lucius, Tresk und Co. leben, waren und sind divers gezeichnet. Das geschieht sehr bewusst, denn sie spiegeln trotz aller phantastischen Elemente natürlich immer die Wirklichkeit, die wir Autoren jeden Tag erleben.

BP: Außerdem achten wir schon darauf, dass unsere jungen Helden als positive Vorbilder funktionieren: Sie mögen sich untereinander auch mal streiten und Sachen machen, die Erwachsene jetzt nicht so toll finden (wie nachts heimlich auf Streifzug gehen), aber vom Charakter her sind sie in aller Regel hilfsbereit, haben ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und sind offen und neugierig allen Menschen (und Nichtmenschen) gegenüber. Bösartige Hänseleien oder Mobbing von Schwächeren oder Außenseitern käme ihnen nicht in den Sinn.

RB: Ob Talyn oder Tomrin: Die Protagonisten in euren Roman sind häufig zwölfjährige Kinder. Dabei erleben sie Abenteuer oft deswegen, weil Erwachsene die falschen Strategien zur Konfliktlösung anwenden. Warum versteht es ein Kind besser als ein Erwachsener, Lösungen für Probleme zu finden?

BP: In solchen Abenteuergeschichten wird die Realität natürlich überspitzt, sowohl was die Fähigkeiten der jungen Protagonisten als auch die Unfähigkeit der Erwachsenen angeht. Ich stelle mir aber vor, dass Kinder deswegen besser Lösungen für Probleme finden, weil sie es sich nicht so schwer machen. Wenn ein Erwachsener vor einem Problem steht, denkt er in der Regel furchtbar viel darüber nach, wägt Möglichkeiten ab, sorgt sich vor Risiken, kämpft mit Vorurteilen oder im Laufe des Lebens festgefahrenen Weltbildern. Kinder beziehungsweise Jugendliche sind da nicht nur gradliniger im Denken, sondern auch flexibler in der Geisteshaltung. Sie werden vielleicht nicht die beste Lösung für ein Problem finden, aber sie gehen die Sache deutlich flotter und entschiedener an. (Aktuelles Beispiel: „Fridays for future“.)

RB: Wie viel Persönlichkeit eurer eigenen Kinder steckt in euren Protagonisten?

BP: Da Christian keinen Nachwuchs hat, geht die Frage wohl an mich. Und die Antwort lautet: Es gibt keine Verbindung. Das liegt zum einen natürlich daran, dass meine Jungs noch viel jünger sind als Talyn und seine Freunde. Entsprechend denken und handeln sie noch völlig anders als es junge Teenager tun. Und zum anderen – das muss man sich wohl eingestehen – sind so „Bücherkinder“ meist etwas idealisiert. Sie sind nicht nur ziemlich clever und mutig, sie sind vor allem sehr selbstständig und streiten sich viel seltener um völlig banales Zeug als echte Kinder. Aber das ist schon okay. Sie dürfen ja – wie bereits oben erwähnt – gern Vorbild für junge Leser sein.

RB: Das Wolkenmeer lässt den Adlerreitern ja grundsätzlich noch viel Raum für Entdeckungen und Abenteuer. Spielt ihr mit dem Gedanken, aus dem einzelnen Roman doch eine Reihe zu erschaffen?

CH: Das war nicht unsere Absicht, als wir das Projekt mit unseren langjährigen Partnern bei Thienemann-Esslinger realisierten. Uns allen schwebte ganz klar ein spannender, dicker Einzelroman vor Augen – eben ein Abenteuerbuch, ein Schmöker. Auch jetzt, Monate nach der Manuskriptarbeit, haben wir keinen zweiten Ausflug auf die fliegende Insel und ihre jungen Bewohner in Planung. Aber selbstverständlich ist die Phantasie weiter als jedes Wolkenmeer, und falls uns mal wieder eine lohnende Idee in den Sinn kommt, die es erlaubt, werden wir selbstverständlich gern zu den „Adlerreitern“ zurückkehren. Das könnte sogar großen Spaß machen. Und wer nicht so lange warten möchte, ist herzlich eingeladen, auch mal in unsere anderen Bücher einen Blick zu werfen. Aktuell bietet sich da vor allem die schon erwähnte Reihe „Drachengasse 13“ an, mit der für uns 2012 alles anfing und die pünktlich zu ihrem großen Jubiläum bei der Edition Roter Drache eine fulminante Neuauflage sowie eine Fortsetzung erfährt! Zwei „D13“-Romane sind dort bereits erschienen, und gleich mehrere weitere Bände befinden sich in aktiver Vorbereitung.

RB: Vielen Dank, dass ihr uns einen Einblick in eure Autoren-Arbeit gegeben habt. Viel Erfolg für eure zukünftigen Romane.