Designers & Dragons – A History of the Roleplaying Game Industry

Es gibt zahlreiche verschiedene Rollenspielsysteme, Quellenbücher, Abenteuer und Zubehör. Aber wirkliche Sekundärliteratur? Und dabei spreche ich nicht vom Rollenspiel-Prinzip an sich, sondern von der eigentlichen Industrie, die hinter allem steckt? Kurz gesagt: Von den „Machern“? Von Namen wie Gary Gygax, Dave Arneson Steve Jackson oder Ian Livingstone? Welche Geschichten verbergen sich hinter all den Namen? Und wo haben TSR, West End Games oder Chaosium ihre Wurzeln? All diese Fragen lassen sich in Shannon Appelclines Mammutwerk „Designer & Dragons – A History of the Roleplaying Game Industry“ finden.

von Dominik Cenia

Die Idee zu „Designer & Dragons – A History of the Roleplaying Game Industry“ wurde bereits 2005 auf der GenCon 38 begründet. RPGnet „Mastermind“ Shannon Appelcline kam auf die Idee, eine Art Index und Historie für Rollenspielsysteme und Verlage auf der gleichnamigen Webseite ins Leben zu rufen. Einige Jahre später folgte dann die RPGnet-Kolumne „History of Game“, in der Verlage wie Atlas Games, Chaosium Holistic Design, ICE oder Issaries besprochen wurden. Shannon Appelcline, selbst kein unbeschriebenes Blatt in der Rollenspielindustrie, konnte sich dabei nicht nur auf seinen eigenen enormen Erfahrungsschatz berufen, sondern war auch in der Lage, die passenden Daten wie Jahreszahlen von Veröffentlichungen oder Auflagenhöhen aus den richtigen Quellen zusammenzutragen. Mit der Zeit wuchs das Projekt immer weiter an. Neben einer regelmäßigen „A Year in Review: The RPGs“-Kolumne, folgte eine erste Einteilung der gesammelten Daten und Artikel in Form von Genres (etwa Superhelden, Science-Fiction und natürlich Fantasy-Rollenspiele).

Für das eigentliche Buch „Designer & Dragons“ wurden all diese Daten und Artikel erneut aufgearbeitet und nach Jahren oder besser gesagt „Rollenspiel-Epochen“ sortiert. Demnach ist das Buch also eine Art stark überarbeiteter Sammelband all jeder Artikel, die von 2005 bis 2011 auf RPGnet von Shannon Appelcline zusammengetragen und bearbeitet wurden.

Appelclines Reise beginnt dabei in den frühen 1970er Jahren. Er unterteilt die Entwicklungsgeschichte der Rollenspielindustrie in sieben verschiedene Phasen. Nach TSR und den ersten drei „Wellen“ welche die Rollenspielindustrie aus der „Wargaming“-Szene heraus von den 1970er bis in die 1990er begründet haben, folgen die sogenannten „CCG Years“ (die Veränderungen und der Einfluss durch den Sammelkartenspiele-Boom), die „D20 Years“ sowie aktuell die sogenannte „Indie Revolution“. Appelcline konzentriert sich dabei fast ausschließlich auf die englischsprachige Industrie und fokussiert sich primär auf den amerikanischen Markt mit einzelnen Ausflügen auf die Britischen Inseln. Wer also auf der Suche nach der Entstehungsgeschichte von „Das Schwarze Auge“ oder „Midgard“ ist, wird in „Designer & Dragons“ nicht fündig werden.

Auf über 440 Seiten findet der Leser so ziemlich alles, was es über die Rollenspielindustrie zu wissen gibt. Dabei werden über 60 verschiedene Unternehmen präsentiert. Appelcline plaudert über die Entstehungsgeschichte von „Dungeons & Dragons“ und TSR, Games Workshop, Steve Jackson Games und andere Verlage. Dabei berücksichtigt er sowohl die ganz Großen der Szene als auch diverse Kleinverlage. Er berichtet über die Männer und Frauen hinter den Verlagen, über Topps und Flops in der Branche, Kuriositäten (wie das „Dallas Videocasette Roleplaying Game“), Lizensrollenspiele (darunter „Star Wars“ oder „Herr der Ringe“), Auflagenhöhen, Managementwechsel, Finanzen und Personalentscheidungen. Denn auch die Rollenspielindustrie ist eine Industrie wie jede andere auch. Dementsprechend lassen sich auch hier Machtkämpfe auf Managementebenen, feindliche Übernahmen, drastische Kürzungen, plötzliche Machtwechsel, Insolvenzen, sowie glorreiche Aufstiege und tragische Niedergänge aller Art finden.

Insbesondere die teilweise vorhandenen Daten über Auflagenzahlen, Anzahl der Mitarbeiter und Umsatzzahlen haben mich dabei erstaunt. Denn vergleicht man die Werte mit heutigen Auflagen, kann man durchaus verstehen, warum so manches Urgestein der Rollenspielszene vom „Niedergang der Rollenspielindustrie“ spricht. Denn ähnlich wie in der Comicbranche, hat sich auch in der Rollenspielindustrie die Auflagenhöhe seit den 1970er bis 1990er Jahren gewaltig verändert.

Appelcline behandelt vor allem „klassische“ Rollenspielsysteme und Spielbücher, unternimmt aber auch immer wieder Ausflüge in die Welt der Brettspiele, Miniaturenspiele, MMORPG's oder andere Computerrollenspiele. Dabei geht er jedoch weniger auf die Mechanismen der einzelnen Systeme an sich ein, sondern mehr auf die Einflüsse, Wurzeln und Strömungen, denen die verschiedenen Rollenspielsysteme mit der Zeit ausgesetzt waren: die Einflüsse von „D&D“ und deren zahlreiche Nachahmer, als auch die Versuche, mit einem eigenen Systemen völlige eigenständige Wege zu gehen (wie bei „Rolemaster“, „Dragon Quest“, „Fighting Fantasy“ usw.)

Appelclines Schreibstil und solide, sachlich und nicht zu trocken. Erstaunlich ist die Neutralität, um die sich der Autor offensichtlich bemüht hat. Nur in den seltensten Fällen sickert auch mal eine leicht kritische Wertung über dieses und jenes Verhalten durch, wie über den Aufkauf von SPI durch TSR oder den zum Teil etwas unglückliche Umgang mit der „Middle Earth“-Lizenz im Hause ICE. Für meinen Geschmack ist der Autor dabei vielleicht sogar ein wenig zu sehr „auf Kuschelkurs gebürstet“. So wird etwa das Fiasko, welches Mongoose Publishing mit der hauseigenen „Kellerdruckerei“ von 2007 bis 2008 erlebt hatte, als kurze, unglückliche Episode abgetan. Und auch der Ausflug in den Bereich der „Prepainted“-Miniaturenspiele (welcher das Unternehmen beinahe die Existenz gekostet hätte) wird dem Leser als eine kurze, nebensächliche und mehr oder weniger erfolgreiche Episode verkauft. Dementsprechend sind wohl auch so manche der anderen Artikel eher mit Vorsicht zu genießen, wenn es um den Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmen oder Produktes geht.

Nichtsdestoweniger ist das Buch höchst lesenswert. Und auch äußerlich weiß es zu gefallen. Es ist in schwarzes Kunstleder gebunden und macht sich einfach super in jedem umfangreicheren Rollenspielregal. Ein wenig vermisse ich allerdings einen ausführlichen Index, aufgeschlüsselt nach Rollenspielsystemen, Genres und Autoren. Wer also den Werdegang eines bestimmten Systems verfolgen will oder sich nur über die Entwicklung von Fantasy- oder Science-Fiction Rollenspielen informieren möchte, kommt leider nicht darum herum, die einzelnen Unternehmensportraits nach entsprechenden Einträgen selbst zu durchforsten.

Fazit: Alles in allem ist „Designers & Dragons – A History of the Roleplaying Game Industry“ ein überaus beeindruckendes Werk geworden. Ein Wälzer, den man immer mal wieder gerne aus dem Regal zieht, um sich die Geschichte des ein oder anderen rollenspielproduzierenden Unternehmens noch einmal genauer durchzulesen. Ein Werk, dass überaus interessant ist für all jene Rollenspieler, die auch gerne mal hinter die Kulissen der Industrie blicken wollen.

Weitere und fortführende Artikel lassen sich übrigens auf designers-and-dragons.rpg.net finden. Denn die Geschichte der rollenspielproduzierenden Industrie ist noch lange nicht an ihrem Ende angelangt.


Designers & Dragons – A History of the Roleplaying Game Industry
Sachbuch
Shannon Appelcline
Mongoose Publishing 2011
ISBN: 978-1-907702-58-7
440 S., Hardcover, englisch
Preis: £34.99

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