Der Schwarm

Eigentlich darf das hier nicht funktionieren. Frank Schätzings Öko-Thriller, ewigst lang Bestseller auf allen möglichen, gleichnamigen Listen und zur besonderen Empfehlung in Schaufenstern von Buchhandlungen bundesweit präsentiert, ist mit seinen etwa 1000 Seiten Umfang alles andere als leicht zu kürzende Literatur. Eine Hörbuchadaption dieses Werkes müsste demnach schon allein aus Platzgründen zum Scheitern verurteilt sein. Müsste, wohlgemerkt. Denn die von Schätzing selbst verfasste Übertragung seines Romanstoffes in dieses andere Medium funktioniert – trotz einiger kleinerer Abstriche – überraschend gut und schafft das, was auch der Roman überzeugend zu leisten im Stande war: bestens zu unterhalten.

von Christian Humberg

 

Mutter Natur beißt zurück

Es fängt so friedlich an. Der Norwegische Biologe Sigur Johanson erhält von einer Kollegin eine seltsame Art Borstenwürmer zur Untersuchung auf den Labortisch gebracht, welche Forscher an einer Stelle im Meer gefunden haben, wo eine Ölfirma einen Bohrturm errichten möchte. Eine genauere Untersuchung der Fundstelle bringt sogar einen ganzen Schwarm dieser seltsamen Spezies zum Vorschein, die, wie Johanson festzustellen glaubt, eine mutierte Version des mexikanischen Eiswurms darstellt. Nur: Wie kommt er hierher?

Etwa zur gleichen Zeit gerät der Touristenführer und Walbeobachter Leon Anawak in ein ungewöhnliches Abenteuer, als eine Gruppe Wale plötzlich vor Vancouver seine Touristenschiffe attackiert – und zwar mit gezielten, koordinierten Angriffen, zu denen die Wale eigentlich gar nicht fähig sein sollten. Johanson und Anawak ermitteln, getrennt voneinander und jeder auf seine Art und mit den ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen, und machen eine sehr ungemütliche Entdeckung: Tief unter dem Meeresspiegel lebt eine intelligente Spezies, der die menschliche Umweltverschmutzung langsam aber sicher auf den Senkel – und an die Existenz! – geht. Aus Gründen der Arterhaltung beschließen die so genannten Yrr, die menschliche Bedrohung auszuschalten. Was nicht zuletzt durch einen gezielten Tsunami ganz gut zu funktionieren scheint...

SF oder Umweltthriller?

Eigentlich beides, und ein Telefonbuch noch dazu. Scherz beiseite, aber was einem beim Lesen (und Hören) des Schwarms vor allem auffällt, ist die sehr hohe Zahl der handelnden Personen. Nicht, dass diese nicht auch alle einiges zu tun hätten, aber der Rezipient muss mitunter schon artig beim Thema bleiben, um die dramatis personae nicht durcheinander zu würfeln.

Schätzing selbst gibt im Hörbuch an, dass er den Roman auf etwa ein Viertel seines Umfangs hat kürzen müssen, um eine adäquate Drehbuchversion fürs Tonstudio schaffen zu können. Dem Nicht-Leser dürften diese Kürzungen aber nicht auffallen, lässt die dadurch umso dichter gewordene Dramaturgie der trotz aller Abstriche noch ganze 10 CDs umfassenden Romanadaption doch kaum Spannungspausen zu.

Die Bearbeitung selbst entzieht sich gekonnt den gängigen Schubladen des Marketings: Bei einem wahren Ensemble von überwiegend sehr talentierten Sprechern (darunter der Genre-Hörbuch-Dauerbrenner Joachim Kerzel) und bei einem eingängigem Soundtrack kann ganz klar nicht von einer Lesung die Rede sein, doch findet noch immer zu viel Plot allein im Erzählertext Erwähnung, um das Gesamtwerk uneingeschränkt Hörspiel nennen zu dürfen. Die Bezeichnung „Inszenierte Lesung“ wird dem Ergebnis daher noch am ehesten gerecht.

Fazit: Die Dramaturgie stimmt, ist angenehm straff und dauerhaft unterhaltsam. Die Besetzung der Sprechrollen ist, von kleineren Ausnahmen abgesehen, durchweg gelungen und die musikalische Untermalung von Loy Weserburg und dem Autor/Regisseur und Co-Sprecher Frank Schätzing selbst bietet eine sehr ansprechende Mischung aus maritim angehauchten Klängen und dramatischen Passagen. Wenn man überhaupt etwas Negatives zur Hörverlag-Ausgabe von „Der Schwarm“ sagen kann, dann ist dies, dass man hier wirklich viel Handlung auf die Ohren bekommt. Aber sind wir doch mal ehrlich: Seit wann ist Handlungsreichtum etwas Schlechtes?


Der Schwarm
Hörspiel nach dem Roman von Frank Schätzing
Frank Schätzing
Hörverlag 2004
ISBN: 3-89940-396-7
10 CDs, ca. 726 min, deutsch
Preis: EUR 49,95

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