Der Riddler – Das erste Jahr

Ein DC Black Label Comic aus der Feder eines Schauspielers! Ob ein solches Projekt mit den großen Namen aus der Comic-Welt mithalten kann? Für „Der Riddler – Das erste Jahr“ verfasste Paul Dano, der die Rolle des Riddlers im Kinofilm „The Batman“ (2022) verkörperte, die Geschichte. Künstlerisch umgesetzt wurde diese von Stevan Subic. Herausgekommen ist eine 220-seitige Geschichte, die als Prequel zu „The Batman“ zu lesen ist.

von Daniel Pabst

Der jüngste Kinofilm von Batman ist mittlerweile schon wieder zwei Jahre alt. Der unter der Regie von Matt Reeves gedrehte Film konfrontierte die Fledermaus zur Abwechslung nicht mit dem Joker. Stattdessen sah das Publikum, wie Batman versuchte, einen Mann mit dem Künstlernamen „Riddler“ ausfindig zu machen und dessen Mordserie zu stoppen. Die düstere Stimmung, die dieser Film verbreitete, lag auch an der Art, wie der Schauspieler Paul Dano seine Rolle des Riddlers ausfüllte. Wer zurück denkt an Filminterpretationen des Riddlers, wie etwa die von Jim Carrey in „Batman Forever“ aus dem Jahre 1995, der verbindet mit dem Riddler eher eine Kunstfigur, die clownesk und schrill ist. Aus der Figur mit kurzem, rotem Haar, Augenmaske und grünem Jumpsuit, der mit Fragezeichen bedruckt war, ist Paul Dano herausgewachsen und hat dem Riddler etwas erschreckend Gegenwärtiges eingehaucht.

Im Comic „Der Riddler – Das erste Jahr“ ergründen die Lesenden, wie aus einem Bürger aus Gotham City ein hasserfüllter Mann werden konnte, der sich dazu berufen fühlt, Gerechtigkeit zu verbreiten, und dabei – anders als Batman – nicht davor zurückschreckt, Leben zu nehmen. Diese Charakterstudie ist die Vorgeschichte zu „The Batman“ und endet unmittelbar vor der ersten Szene des Film. Somit bietet es sich an, den Film zu kennen oder ihn direkt im Anschluss anzuschauen. Paul Dano, der sich ausgiebig auf seine Filmrolle vorbereitet hat, „kennt“ die Figur nur allzu gut. Dass er hauptberuflich Schauspieler und kein Comic-Autor oder Geschichtenerzähler ist, merkt man dem Comic nicht an. Das ist verblüffend gut und liegt wahrscheinlich mit daran, dass Dano gerne Comics liest und sich vom Comic „Batman: Das erste Jahr“ (Frank Miller) hat inspirieren lassen.

Zu Beginn des Comics sieht man einen Arbeitenden, der eine Affinität zu Zahlen und Rätseln hat. Seine Arbeit als Wirtschaftsforensiker füllt ihn jedoch nicht aus, da er sich ausgenutzt und nicht wertgeschätzt fühlt. Vor allem scheint sich das ihm gegebene Versprechen, eines Tages aufzusteigen und höher entlohnt zu werden, nicht zu erfüllen. Sein Chef verkauft seine Ergebnisse als die eigenen und erntet die Lorbeeren. Von der Gesellschaft fühlt sich Edward Nashton ebenfalls ausgestoßen. Hinzu kommen die Qualen, die ihn seit seiner Kindheit nicht loslassen. Denn Edward wuchs als Waisenkind auf und wurde herumgereicht, ohne dass er erfahren konnte, was es heißt, geliebt zu werden. Einen Ausweg aus der Misere bietet ein Auftrag, bei dem seine rechnerischen und investigativen Fähigkeiten verlangt werden. Schnell vertieft er sich in die Forensik und entdeckt eine Geldwäsche, die immer größere Kreise zieht. Das fordert ihn heraus, selbst zu ermitteln …

Doch je tiefer er in die Unterlagen schaut und die Wege des Geldes verfolgt, desto weiter tut sich der kriminelle Untergrund unter ihm auf. Als er vermutet, dass sogar sein Arbeitgeber Verbindungen zur Unterwelt pflegt, verliert er den letzten Funken Hoffnung und fühlt sich verfolgt. Die Lesenden erleben, wie sein Vertrauen an einem funktionierenden Rechtsstaat vollständig in die Brüche geht. Weder die Polizei noch die Justiz sieht er auf seiner Seite. Die Politik vermag auch keine Rettung mehr zu bringen. Einzig zu Batman blickt er auf. Er fragt sich, wer dieser selbsternannte Retter der Gerechtigkeit sein mag und ob er die Rufe von Edward zu hören vermag? Insgeheim wünscht er sich, mit Batman gemeinsam Gotham City vor dem Untergang zu bewahren und anderen zu helfen.

Gekonnt lotet Paul Dano aus, was passieren kann, wenn einzelne Bürger das Vertrauen in den Staat und ihre Stadt verlieren. Hierzu druckt er auf einer Seite einen „fiktiven“ Artikel des real existierenden New York Times Journalisten Ezra Klein ab, in welchem Max Webers Definition eines Staates mit Gotham City in Verbindung gebracht wird („Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes (…) das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht“, Max Weber in: Politik als Beruf, 1919 S. 4). Kombiniert wird diese Seite mit einem 28-seitigen Tagebuch, in welchem den Lesenden der zunehmende Wahnsinn von Edward offenbart wird. Dies stellt einen Bruch im Comic dar, der unerwartet kam. In diesem Tagebuch sucht er nach einem Namen für sich, macht Pläne zu seinem Outfit und schreibt irre Sätze über einen „Wandel“. Mit solchen, für einen Comic eher untypischen Stilmitteln wird einem die Figur nähergebracht. Nicht auszuschließen übrigens, dass der Schauspieler ähnliche Seiten für seine Vorbereitung auf die Film-Rolle verfasste.

Der Comic „Der Riddler – Das erste Jahr“ überzeugt aber nicht nur durch seine penible Charakterstudie. Die Umsetzung durch den Künstler Stevan Subic hat viel von der Stimmung des Kinofilms übernommen und auf das Papier übertragen. Das sieht man zum einen an der Gestaltung der einzelnen Panels und zum anderen an der Farbgebung und den Schattierungen. Bei den Panels wurden unterschiedlichste Anordnungen gewählt: von einem Panel bis hin zu dreizehn Panels auf einer Seite, oder als ganz freie Gestaltung bei dem Tagebuch. Stets aber folgt die Anordnung der Erzählform und der jeweiligen Stimmung, die übertragen werden soll. Ebenfalls sehr effektvoll sind die Panelhintergründe, die komplett in schwarz gehalten sind und darauf einzig ein Text oder eine Silhouette abgehoben ist. Auch das Motiv des schwer atmenden Mörders – wie man es aus „The Batman“ kennt – begleitet die Lesenden von Seite eins an, wo auf schwarzem Untergrund unten links in winziger Schrift zu lesen ist: „Atme“.

Mit seinen 220 Seiten, von denen 28 Seiten das Tagebuch ausmachen, eignet sich der Comic nicht für das schnelle Lesen. Vor allem das Tagebuch und die fiktive Seite aus der „The Gotham Times“ nehmen ihre Zeit in Anspruch. Das ist aber nicht verkehrt. Auch der Kinofilm hat sich mit seinen knapp drei Stunden Zeit genommen, um die Stimmung zu transportieren und immer wieder cineastische Momente zu schaffen. Wer „The Batman“ grandios findet, der wird auch von diesem Comic fasziniert sein. Immer wieder ertappt man sich beim Lesen, reale Bezüge zur US-amerikanischen Gesellschaft herzustellen, oder sich zu fragen, was passieren mag, wenn das Vertrauen in Politik und Justiz abhanden kommt. Der Riddler ist ein warnendes und abschreckendes Beispiel für selbsternannte „Retter“. Horror-, Grusel- und Krimi-Elemente treffen auf gesellschaftskritische Momente, die sich hervorragend in die Welt von Gotham City und das DC Black Label einfügen.

Interessant ist auch die – bereits im Kinofilm betonte – Parallele, die der Riddler zum Batman aufweist. Beide verlieren in jungen Jahren ihre Eltern. Dass beide ihr Gesicht vor der Öffentlichkeit hinter einer Maske verbergen, bietet weiteren Raum für Vergleiche und Spekulationen, was aus Bruce Wayne hätte werden können, wenn er sich von der Gesellschaft ausgestoßen gefühlt und über keine finanzielle Absicherung verfügt hätte. Nicht ohne Grund, lässt Matt Reeves seinen Batman in „The Batman“ auf die Frage, wer er sein soll, sagen: „I am vengeance“ (in der deutschen Übersetzung: „Ich bin Vergeltung“). Handelt es sich bei der Figur des Riddlers also um eine traurige „Fehl“-Interpretation, auf welchem Weg Gerechtigkeit erreicht werden kann? Stevan Subic stellt in seinen Panels dazu passend die Kindheitsentwicklung von Edward dar. Zu sehen ist beispielsweise, wie der junge Edward im Waisenheim von einer Ratte in den Finger gebissen wird, worauf die anderen Jungen ihn beim Aufschrei als Heulsuse bezeichnen, er anschließend schmerzhaft mehrmals mit Anti-Tollwut-Impfstoff geimpft wird und dann demonstriert bekommt, wie man Ratten am besten „ersäuft“, damit er künftig keine Angst mehr haben muss.

Ebenfalls interessant sind die Anspielungen auf Internetforen, in denen sich Edward anfangs nur aufhält, um Fragen zu stellen, und welche er später selbst erstellt, um „Follower“ für sich und seine kriminellen Pläne zu gewinnen. So radikalisiert er sich – für die Lesenden erkennbar – zusehends und bleibt dennoch unentdeckt. Seine wirren Gedanken nehmen immer mehr Gestalt an. Das ist alarmierend und zugleich spannend zu lesen, wenn man noch nicht weiß, was danach passieren wird. Wer „The Batman“ noch nicht gesehen hat, der sollte ihn danach schauen, da dieser Comic ansonsten mit einem Cliffhanger endet. Alle, die dagegen „The Batman“ gesehen haben, wissen bereits, wo das alles enden wird. Es stimmt nachdenklich, wenn man mitansieht, wie es von Comic-Seite zu Comic-Seite weiter bergab für Edward geht, er unaufhörlich seinen Rachefantasien Raum gibt und die Zeitbombe wortwörtlich tickt. Wo ist Batman, wenn man ihn am dringendsten braucht?

Insgesamt gibt „Der Riddler – Das erste Jahr“ mehr her, als man es anfangs vielleicht vermutet hat. Wenn ein Schauspieler einen Comic entwirft, wird das oftmals allein als gewinnbringendes Verkaufsargument genutzt. Bei Paul Dano aber ist diese Befürchtung ungerechtfertigt. Er hat ein Gespür für eine Comic-Geschichte bewiesen. Es ging ihm zudem nicht um Verkaufszahlen. Er hat in einem Interview gesagt, dass er eines Nachts am Filmset mit Matt Reeves sprach und ihm mitteilte, dass er sich für die Rolle des Riddlers anhand von eigenen Comic-Bildern vorbereite. Mit diesen Bildern im Kopf habe er die Backstory des Riddlers für sich erst lebendig werden lassen. Darauf habe Matt Reeves ihm geantwortet: „That should be a Comic!”. Matt Reeves war es, der DC Comics über die Bilder im Kopf informierte. Und so wurde aus der Idee das gemeinsame Projekt mit dem Künstler Stevan Subic.

Am Ende des Comics gibt es ein ganzseitiges Variant-Cover von Subic. Darauf folgen dann leider in Mini-Formatierung 14 weitere Variant-Cover, bei denen auch Jock, Jim Lee und Mike Mignola einen Entwurf beigetragen haben. Besonders interessant ist das Variant-Cover von Jock, welches ein Gesicht in einer Gasmaske zeigt, welche der Riddler für sich verwendet – und dahinter zwei rote spitze Ohren in den schwarzen Nachthimmel ragen. Sind das Teufelshörner oder symbolisieren sie die Nähe zu Fledermausohren – und damit zu Batman? Leider werden diese Cover nicht ausreichend gewürdigt, da anfangs drei und danach zwei von ihnen auf eine Seite gepresst wurden. Dem hätte man mit acht zusätzlichen Seiten entgegenwirken können, oder wäre dadurch der Preis viel höher ausgefallen?

Fazit: Paul Dano und Stevan Subic haben mit dem Comic „Der Riddler – Das erste Jahr“ ein sehr intensives Leseerlebnis geschaffen. Man merkt die Akribie und Tiefe, mit der ein Schauspieler seine Rolle zunächst für sich ergründet und dann in Form eines Comics weiterentwickelt hat. Horrormäßig wurde die Charakterstudie von Stevan Subic in Szene gesetzt. Seine Zeichnungen und Farben vermitteln den zunehmenden Wahnsinn auf erschreckende Weise. Wirkungsvoll zeigt dieser Comic, welchen Einfluss das soziale Umfeld auf einzelne Personen hat. Es ist in der Regel gerade nicht „One Bad Day“, der dazu führen kann, dass sich jemand radikalisiert. Andere Wege wären auch für diesen Kriminellen jederzeit möglich gewesen. Der Comic „Der Riddler – Das erste Jahr“ ist mehr als bloße Unterhaltung und damit nicht nur für alle „Batman“-Fans eine Bereicherung.

Der Riddler – Das erste Jahr
Comic
Paul Dano, Stevan Subic
Panini Comics 2024
ISBN: 978-3-7416-3527-4
220 S., Softcover, deutsch
Preis: 25,00 EUR

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