von André Frenzer
Lovecraft ist „in“, wie man so schön sagt, Graphic Novels ebenso. Kein Wunder, dass es bereits einige Graphic Novels mit lovecraftschen Motiven gibt. Dabei finden sich sowohl Adaptionen seiner Geschichten in allen möglichen Varianten – vom Manga bis zum aufwändigen Coffee-Table-Book – als auch zahlreiche Versuche, Lovecrafts Leben in Comic-Form zu gießen. „Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft“ fällt in die letztere Kategorie und beschreibt – der Titel ist Programm – den letzten Tag des Schriftstellers.
Entsprechend drastisch ist der Einstieg in die eigentliche Handlung. Lovecraft wird – mehr tot als lebendig – ins Krankenhaus eingeliefert. Die traurige Diagnose lautet Darmkrebs im Endstadium. Nur die extreme Dosis Morphium sorgt dafür, dass er ruhig in seinem Bett liegt, während der Arzt ihm nur noch wenige Stunden zu leben gibt. In dieser Situation begleiten wir Lovecraft in seinen letzten Stunden. Von Fieber- und Drogenträumen geplagt, durchlebt er Momente seines Lebens und seines künstlerischen Schaffens. Zunächst begegnet ihm sein Alter Ego Randolph Carter, welchen er zum Helden einiger seiner Geschichten gemacht hat. Dieser offenbart ihm, dass er die Möglichkeit hätte, mit einer letzten Geschichte unsterblich zu werden, sich selbst ein ewiges Denkmal zu setzen. Die nächste Begegnung ist seine Ehefrau Sonia Greene, welche ihm anbietet, die Geschichte seines Lebens – und insbesondere die Geschichte ihrer Ehe – neu zu schreiben. So geht es weiter: Harry Houdini – für den Lovecraft als Ghostwriter gearbeitet hat – bekommt ebenso seinen Auftritt wie sein als „Lovecraft-Zirkel“ bekannt gewordener Brieffreundeskreis. Zum Ende schließlich ist es Edgar Allan Poe, welcher Lovecraft zu seinem Grab geleitet. Durchbrochen werden diese Fieberträume immer wieder von ganzseitigen Briefen, welche Lovecraft mit zittriger Hand für seine Nachwelt hinterlässt und welche auf die Lehren aus seinen Fieberträumen Bezug nehmen.
Neben der Geschichte findet sich ein Nachwort von Francois Bon, welcher Lovecrafts Werke ins Französische übersetzt hat und der noch einmal einige Details aus Lovecrafts Leben wiedergibt. Abgerundet wird der Band mit einigen Skizzen des verantwortlichen Zeichners Jakub Rebelka.
Inhaltlich lässt mich die Graphic Novel zwiegespalten zurück. Auf der einen Seite steht eine mitreißende, tiefgründige und emotional nahbare Geschichte. Das Buch ist klug und überlegt geschrieben. Statt sich mit Daten und langweiligen Fakten aufzuhalten – diese werden immer wieder nur sehr knapp am Rande heruntergebetet – versucht es, die Gefühle eines Mannes einzufangen, der auf der Schwelle des Todes all seine Erfolge und Misserfolge noch einmal Revue passieren lassen muss. Wie zufrieden ist Lovecraft mit seinem Werk? Mit seinen Entscheidungen? Was hätte er anders gemacht? Als Geschichte über eine fiktive Person ist das wirklich gut gelungen. Als biographisch angelegtes Werk ist hier für meinen Geschmack allerdings zu viel Fiktion und persönliche Vorstellungskraft eingeflossen. Während die angeschnittenen Stationen natürlich alle belegt sind, so ist die Retrospektive aus dem Totenbett und Lovecrafts zugehörige Gefühlswelt doch sehr interpretiert. Dazu neigt Giulivo dazu, ein mildes und gemäßigtes Bild des sterbenden Lovecrafts zu zeichnen, der Teile seiner Fehler und Schwächen einsieht. So schreibt er in seinen letzten Zeilen „… ich bin dumm und rassistisch, wie meine Zeit“. Zwar gibt es Briefe aus Lovecrafts spätem Leben, die eine ernsthafte Beschäftigung seinerseits mit seinem rassistischen Gedankengut andeuten, allerdings ist es meines Wissens unbelegt, dass er seine Xenophobie jemals abgelegt hat. Es sind Details wie diese, welche zwar der Dramaturgie der fiktiven Geschichte dienlich sind, den biographischen Ansatz aber verwässern.
Über jeden Zweifel erhaben ist wiederum die graphische Aufarbeitung dieser Graphic Novel. Jakub Rebelka zeichnet einen atmosphärisch dichten Fiebertraum, wahlweise in kalten grau-blauen Farben oder in tiefen Rottönen, wenn die Emotionen überhandnehmen. Sein grober und zugleich detailverliebter Zeichenstil offenbart seine Stärken insbesondere in den wahnsinnig gut gelungenen Gesichtern von Lovecrafts unterschiedlichen Weggefährten. Interessanterweise sind gerade die Hintergründe in der realen Welt oft grob und skizzenhaft gehalten, während Rebelka in den Traumwelten faszinierende Weiten mit interessanten Details erschafft, ein Kontrast, welcher über den Text hinaus zu fesseln weiß.
„Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft“ wird vom Splitter-Verlag als stabiles Hardcover mit edler Silberprägung auf dem Cover verlegt. Der Band ist etwas kleinformatiger als die meisten Splitter-Bände, liegt dafür mit seinen stolzen 144 Seiten aber gut in der Hand. Die Verarbeitung verspricht Langlebigkeit und weiß vollends zu überzeugen.
Fazit: Optisch grandios in Szene gesetzt präsentiert „Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft“ eine dramatische, emotionale, tiefgründige Geschichte über einen sterbenden H. P. Lovecraft, welche als Biographie nur bedingt taugt, aber als fiktives Werk zu fesseln weiß.
Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft
Graphic Novel
Romuald Giulivo, Jakub Rebelka
Splitter Verlag 2024
ISBN: 978-3-98721-469-1
144 S., Hardcover, deutsch
Preis: 25,00 EUR
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