Das schwarze Auge: Das Jahr des Greifen: Der Sturm

Der Horchposten Verlag schreibt sich auf die Fahne, „Kino für die Ohren“ machen zu wollen. Und heute steht ein aventurischer Blockbuster auf dem Programm: „Das Jahr des Greifen“. Die Vorlage von Wolfgang Hohlbein gilt als einer der herausragendsten Klassiker aventurien-bezogener Literatur. Axel Ludwig und Sabine Brandauer erzählen die Geschichte von einem Inquisitor, der gegen Feinde im Innern, Äußeren und in sich selbst kämpfen muss.

von Pascal Kamp

 

Im Jahre 19-20 Hal fallen die Orks ins Mittelreich ein und besetzen Greifenfurt, einen wichtigen Handelsknotenpunkt. Doch sind die Schwarzpelze nicht nur an der Stadt interessiert, eine alte Kultstätte unter einem Tempel erregt ihre Aufmerksamkeit. Bei ihren Grabungen erwecken sie einen mächtigen Erzvampir, der im späteren Verlauf noch eine wichtige Rolle spielen wird.

Bald darauf gelingt es Aufständischen unter der Führung des Inquisitors Marcian, den Orks die Stadt zu entreißen. Marcian, der fortan Kommandant der Stadt ist, steht nun die Aufgabe bevor, die Stadt so lange gegen die Orks zu halten, bis Verstärkung eintrifft. Schon bald findet er heraus, dass der beliebte Henker Zerwas nichts anderes ist, als ein Erzvampir, der eigene finstere Pläne verfolgt. Und diesen gilt es natürlich ebenso zu bekämpfen wie die Orks.

Wie schon die Zusammenfassung vermuten lässt, begibt sich in dieser Geschichte niemand auf weite Reisen in die verschiedenen Gegenden Aventuriens. Sämtliche Ereignisse geschehen in Greifenfurt und Umland. Auch der Plot macht keine großen Sprünge, hier beschränkt sich der Autor komplett auf die Belagerung der Stadt.

Trotz dieser thematischen Einengung steckt diese Geschichte voller guter Ideen und unerwarteter Wendungen, die mit solcher Beständigkeit eingebracht werden, dass zu keinem Zeitpunkt Langeweile aufkommt. Und das ist gar nicht so einfach, sechs CDs zu füllen, ohne die eine oder andere Länge entstehen zu lassen. Hier kann Hohlbein punkten!

Die Nebencharaktere wirken teilweise etwas stereotyp und hintergrundlos. Aber das dürfen sie ruhig, denn diesen Mangel gleichen Protagonist und Antagonist hervorragend aus. So kann der Inquisitor Marcian nicht eben als Held bezeichnet werden. Er trifft Fehlentscheidungen, die tapfere Männer das Leben kostet, er wird aufgrund seiner Maßnahmen beim Volk stetig unbeliebter und verrät immer mehr die Prinzpien seiner Organisation und seiner selbst. Während des Verlaufes der Belagerung macht dieser Protagonist eine sehr interessante Entwicklung durch, welche ihn zu einem glaubwürdigen, facettenreichen Charakter werden lässt.

Sein Antagonist, der Erzvampir Zerwas, ist ein durch und durch „cooler“ Charakter. Seine Fähigkeiten, seine übermenschliche Kraft und seine Unsterblichkeit verleiten ihn zu einer Arroganz, die ihm immer wieder einen Strich durch die Rechnung macht. Getarnt als einfacher Henker, streitet Zerwas für die Stadt Greifenfurt und wird im Laufe der Belagerung aufgrund seiner Heldentaten immer beliebter, während Marcian, der als einziger um seine Identität weiß, immer mehr in Ungnade fällt. Doch unterscheidet sich Zerwas Plan sehr von seinen Taten. Er hilft der Stadt gegen die Orks, obwohl er die Stadt leiden sehen möchte. Er möchte den Sieg der Orks hinauszögern, um das Leid zu mehren. Dass er dabei den Orks erhebliche Schäden zufügt und ihren Sieg gefährdet, findet ebenso wenig Beachtung wie die Möglichkeit, dass er den Menschen genug Zeit verschafft, dass die Verstärkung anrückt. Hier fehlte mir an manchen Stellen einfach die Konsequenz in Zerwas Handlungen.

Die Beziehung zwischen diesen beiden Charakteren, Vampir und Inquisitor, gehört zweifelsohne mit zu den interessantesten Aspekten dieses Hörbuches und gipfelt im Finale in einer großen Überraschung.

Ein weiterer überaus interessanter Charakter ist Darrag, der Schmied. Er kann mit seinem reinen Herzen noch am ehesten als wahrer Held gelten, und an seinem Schicksal wird eindrucksvoll das Leid verdeutlicht, das die Greifenfurter auszuhalten haben.

Bei der Belagerung der Burg kann der Zuhörer gelegentlich das Wirken von Magie bewundern, was das fantastische Flair der Erzählung verstärkt. Sieht man von der Armee der Orks ab,  finden andere Rassen kaum Beachtung. Bloß eine sehr untypische Elfe und ein für die Orks arbeitender Zwerg haben in der Geschichte in Nebenrollen einen Platz gefunden.

So vielseitig und spannend die Geschichte auch sein mag, so deutlich mangelt es Wolfgang Hohlbein an stilistischem Talent. Statt uns mit ausgetüftelten Metaphern und Wortspielereien zu überraschen, kettet er Adjektive aneinander. Zudem lässt er seine Charaktere manchmal Aktionen vollführen, deren Sinn mehr als anzuzweifeln ist. Beispielsweise wirft Zerwas im Kampf sein magisches Schwert fort, das ihm Kraft verleiht und seine Heilung beschleunigt, bloß um den Gegner zu verwirren. Auch manche Taktiken sind vielleicht nicht ganz so gut durchdacht, wie man es von den Charakteren erwarten würde. Sollte ich jemals eine mittelalterliche Schlacht nachstellen müssen, ich würde nicht neben Herrn Hohlbein stehen wollen.

Aber über diese Schnitzer kann man hinwegsehen, wenn man sich auf das Erzählte konzentriert. Und bei dem, was dort erzählt wird, fällt dies beileibe nicht schwer. Aber kommen wir nun dazu, wie erzählt wird:

Axel Ludwig, der für viele Fans immer mehr zur Stimme Aventuriens avanciert, leistet auch diesmal wieder hervorragende Arbeit. Er gehört zwar nicht zu den prominenten Synchronsprechern, die gerne für Hörbücher engagiert werden, steht diesen aber in nichts nach. Er versteht es, den verschiedenen Figuren mit seiner Stimme einen unverwechselbaren Charakter zu verleihen und sie überzeugend zu interpretieren.

Sabine Brandauer, die bereits in verschiedenen Produktionen, etwa „Knockin’ on Heavens Door“, auf der Leinwand zu sehen war, übernimmt die weiblichen Parts in diesem Hörbuch. Teilweise trifft sie dabei genau den richtigen Tonfall, teilweise ist mir ihre Interpretation der Figuren ein wenig zu harsch. Wenn man das Ganze betrachtet, muss man aber sagen, dass sie hier sehr solide Arbeit geleistet hat und bedeutend zur Lebendigkeit der Welt beiträgt.

Mit Musik wird bei diesem Hörbuch sehr sparsam gearbeitet. Zwischen den Kapiteln werden wohldosierte, durchaus passende Motive eingespielt, die eigens für diesen Zweck von den „Borbarad Moskitos“ produziert wurden.

Die einzelnen Tracks sind rund fünf Minuten lang, was die Wiederaufnahme des Hörerlebnisses vereinfacht. Es wäre wünschenswert gewesen, im Booklet oder auf den CDs eine Orientierungshilfe mit Kapitelnamen abzudrucken, aber da hat der Horchposten Verlag löblicherweise selbst mitgedacht und dies schon beim nächsten Produkt umgesetzt.

Im Booklet findet sich abrundend eine knappe Beschreibung Aventuriens, der Welt des Schwarzen Auges, und auch die beteiligten Autoren und Sprecher werden dem Leser vorgestellt. Auf der letzten Seite des Heftes findet sich dann noch ein Angebot der ganz besonderen Art:

Der Horchposten Verlag verkauft seine Hörbücher auch online als Download. Einige Produkte, so auch dieses Hörbuch, gibt es dort in einer ungeschnittenen Version. Wer einmal die CDs erworben hat, kann einen enthaltenen Code nutzen, um sich für nur 9,90 Euro die ungeschnittene Version herunterzuladen. In diesem Falle ist diese noch einmal 210 Minuten, also dreieinhalb Stunden länger als die Version auf den CDs. Zwar wurde der Schnitt ordentlich durchgeführt, sodass keine relevanten Szenen weggefallen sind, aber für lange Zugfahrten mit dem MP3-Player eignet sich diese Version natürlich ganz hervorragend.

Dieser Deal funktioniert übrigens auch umgekehrt: Wer online die ungekürzte Fassung erwirbt, kann sich für 9,90 Euro später auch die CD-Fassung bestellen. Meiner Meinung nach, ein ganz hervorragendes Konzept!

Fazit: Wolfgang Hohlbein hat ein solides „Drehbuch“ abgeliefert und der Horchposten sein Versprechen gehalten: „Das Jahr des Greifen“ ist ganz großes Kino für die Ohren! Herausragende Sprecher erwecken die Figuren in unserem Kopf zum Leben und erzählen uns eine spannende Geschichte voller Phantasie und interessanter Wendungen. Nicht nur für Rollenspieler oder „DSA“-Fans ein Muss!


Das schwarze Auge: Das Jahr des Greifen: Der Sturm
Hörbuch nach dem Roman von Wolfgang Hohlbein
Axel Ludwig, Sabine Brandauer
Horchposten 2007
ISBN: 3938915056
6 CDs, 466 min., deutsch
Preis: EUR 39,90

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