Das mechanische Herz

In dem Fantasy-Steampunk-Roman „Das mechanische Herz“ gerät die Ikara Taya in eine rasante Luftrettung und verstrickt sich daraufhin in ein Netz aus Terrorismus, Treue, Mord und Geheimnissen.

von Yvonne Staller

Willkommen in Ondinium, einer Stadt, die von einer großen Maschine geleitet wird und deren drei Stadtteile streng voneinander abgegrenzt sind: Primus, Sekundus und Tertius. Ganz unten leben die ärmsten Bürger der Stadt, im oberen Bereich Ondiniums residiert die herrschende Kaste der Erhabenen. Die einzigen, die sich frei zwischen den Stadtteilen bewegen können, sind die Ikarer, Boten mit künstlichen Flügeln. Die Protagonistin Taya ist so eine Ikara, die sich mit Hilfe von mechanischen Flügeln fortbewegt, die aus einem Metall gefertigt sind, das so leicht ist, dass man sich damit in die Luft erheben kann. So erledigt sie ihre Botengänge, und sie liebt es, auf ihren metallenen Schwingen über Ondium zu fliegen.

Auf  dem Weg zur Hochzeit ihrer Schwester kommt Taya an einem Unfallort vorbei. Das Stahlseil einer Seilbahn ist hoch über den Dächern Ondinium geborsten, und die daran hängende Gondel droht abzustürzen. Taya rettet unter waghalsigen Manövern die beiden Insassen: eine Erhabene und ihren Sohn. Über die Dankbarkeit der Erhabenen lernt Taya schließlich die Geschwister Forlore kennen. Der charismatische Alister Forlore, der dem Rat der Erhabenen angehört, macht ihr sofort den Hof, während sein Bruder, Cristof Forlore, eher rau wirkt, sich dem Leben als Erhabener entsagt hat und das Leben eines einfachen Uhrmachers lebt.

In der gleichen Nacht, in der schon das Gondelunglück geschah, explodiert in einer Fabrik eine Bombe, und Taya wird von fremden Leuten überfallen, die ihr die Flügel rauben wollen. Nur dem Eingreifen Cristofs verdankt sie es, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Allerdings finden die beiden Hinweise darauf, dass die Unglücksfälle nicht zufällig passiert sind, und sie geraten in ein Spiel von Politik, Macht und Technologie. Denn so wie es scheint, steht Alister auf der Abschussliste. Grund dafür ist ein Programm, das er entwickelt hat. Aber was genau hat es mit dem Programm auf sich? Ist „Das mechanische Herz“ wirklich nur eine Software zur Partnerschaftsvermittlung, oder hat es gar andere Pläne für die große Maschine, die Ondinium am Leben erhält?

Dru Pagliassotti wirft den Leser zu Beginn der Geschichte mitten rein ins Geschehen, und es dauert eine Weile, bis man mit Taya warm wird und versteht, wie Ondinium und die Maschinen funktionieren. Nach und nach bekommt man aber mehr Informationen über die sehr komplexe Welt. So ist sie in Kasten aufgeteilt, und die Religion vermittelt den Glauben an eine Wiedergeburt in eine höhere Kaste. Beherrscht werden die Religion und das Leben in Ondinium zusätzlich von der Großen Maschine, die an der Spitze steht. Sie kontrolliert die Kasten und die streng voneinander getrennten Sektoren in Ondinium.

Die Welt, welche die Autorin geschaffen hat, ist sehr schön ausgearbeitet, und die Handlung fußt auf einer tollen Idee. Dennoch kann es für Leser sehr schwer sein, einen Zugang zu der komplizierten und  komplexen technologischen Welt zu erhalten, worin die Rolle von Hauptprotagonistin Taya nicht ohne Weiteres ersichtlich ist. Ich empfand die Geschichte deswegen an manchen Stellen sehr langatmig. Die Autorin schweift in manchen Szenen zu genau ins Detail ab. So erklärt sie genau (und ich meine wirklich ganz genau), wie die Flügel der Ikarier oder diverse Computerprogramme und Maschinen funktionieren.

Hierfür werden sehr viele Eigenbegriffe verwendet, sodass man sich oft ein Glossar gewünscht hätte, um alles nachvollziehen zu können. Mir ging es nämlich irgendwann so, dass ich nicht mehr wusste, welche der vielen Begriffe für die Geschichte noch relevant sind und so schwirrt einem bald der Kopf, wenn man versucht, sich alle Namen, Begriffe und Eigenarten zu merken. So wird zum Beispiel genau darauf eingegangen, dass es Computerprogramme gibt, die mittels Lochkarten funktionieren. Wenn man als Leser damit nichts anfangen kann, ist es recht mühsam, dem Geschriebenen zu folgen, denn die Lochkarten spielen eine wichtige Rolle, und die Autorin setzt voraus, dass der Leser weiß, wie sie funktionieren.

Ansonsten ist „Das mechanische Herz“ eine frische, originelle und unterhaltsame Lektüre, die ich ins Genre der Steamfantasy einsortieren würde, denn es gibt zwar einiges an steampunkartiger Technik, aber das Ganze spielt in einer anderen Welt. Von der Autorin selbst wird der Roman als „Steampunk-Romance“ bezeichnet. Das Buch hat auch ein bisschen was von einer Romanze. Aber jemand, der hier ordentlich Romantik sucht, wird dies nur bedingt finden. Sicher, es geht um eine Dreiecksbeziehung zwischen Taya und den Brüdern Alister und Cristof, doch kommen sich die Protagonisten erst in der zweiten Buchhälfte näher, und das auch nur sehr zaghaft. Romantik in seinem eigentlichen Sinne gibt es hier eher nicht, vielmehr stehen die Anschläge und die Detektivgeschichte im Vordergrund.

Fazit: „Das mechanische Herz“ ist in meinen Augen eine komplexe Krimihandlung mit einem detailreichen und fantastischen Setting, das in einer anderen Welt spielt. Die Figuren sind vielschichtig und interessant dargestellt, und das Setting, die Stadt Ondinium, wirkt sehr lebendig. Auch der Text im kleinen Satzspiegel ist nach einer Eingewöhnungsphase lesbar, lediglich kann man als Leser, der nicht so technikverliebt ist, in der komplexen Welt leicht verlorengehen. Leser, die sich aber gerne auf fremdartige Technik einlassen, um diese zu entdecken, dürften damit keine Probleme haben.


Das mechanische Herz
Urban-Fantasy-Roman
Dru Pagliassotti
Feder&Schwert 2010
ISBN: 978-3-86762-067-3
510 S., broschiert, deutsch
Preis: EUR 14,95

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