Cyborgs 1 Ronin

Auch wenn es beim Ringboten manchmal so wirkt: Es gibt nicht nur „Star Wars“- und „Batman“-Comics da draußen! Abseits des US-Popkultur-Mainstreams existiert eine ganze Welt an spannenden Genre-Geschichten, nicht wenige davon kommen in Deutschland beim Splitter-Verlag heraus (obwohl der auch ein klein wenig „Star Wars“ im Programm hat). Eine Dystopie mit einem guten Schuss Frauenpower bietet der Comic-Fünfteiler „Cyborgs“, dessen erster Band, „Ronin“ betitelt, jüngst erschienen ist.

von Kurt Wagner

In einer unbestimmt fernen Zukunft ist die Erde eine postnukleare, eisige Wüste. Die Menschheit, die die schlimmste Zeit in Silos unter der Erde verbracht hat, lebt mittlerweile in gewaltigen Megastädten, die von turmhohen Mauern umschlossen sind. Eine davon ist Europa – und, ja, es hat eine Weile gedauert, bis ich begriffen habe, dass damit die Stadt und nicht der Kontinent gemeint ist. Europa wird von dem machtbesessenen Diktator Tudor beherrscht, der zum Schein zwar noch Opposition zulässt, aber letzten Ende macht, was er will. Ihm zur Seite steht eine Spezialeingreiftruppe namens Tracker, harte Söldner, die mehr oder weniger freie Hand bei ihren Einsätzen haben und straflos praktisch jeden töten können.

In dieses Setting – ersonnen von den Franzosen J. L. Istin und Dim-D – wird direkt zu Beginn der Geschichte die Japanerin Yuko geboren. Yuko kommt ohne Arme zur Welt, und ihre Eltern wollen sie am liebsten gleich wieder töten lassen. Zum Glück greift ihr Onkel Akira ein, ein Kampfkunstmeister und Trainer der Tracker, der bei aller Strenge ein Herz aus Gold hat und Yuko zu sich nimmt. Unter seiner Fittiche wächst sie zu einer rebellischen jungen Frau auf, die alle Widrigkeiten eines Lebens mit bloß leidlich funktionalen Armprothesen mit unbezwingbarem Willen und innerer Wut meistert. Dass sie nebenbei von Akira zur perfekten Kampfsportlerin ausgebildet wird, ist dabei zweifelsohne hilfreich, denn es weist selbst die unvermeidlichen Bullys in der Schule in ihre Schranken. 

Dann jedoch erlässt Tudor ein Gesetz zur Euthanasie von Neugeborenen mit Behinderung. Die Stadt wird dadurch ins Chaos gestürzt. Während einer Demonstration gegen das Gesetz gerät Yuko zwischen die Fronten und legt sich mit der Obrigkeit an. Akira kann sie zwar rausboxen, aber in ihr altes Leben können sie nicht mehr zurückkehren. Tudor ist zu weit gegangen, Akiras Ehre verbietet ihm, weiter für den Diktator zu arbeiten. Der herrscht nach dem allgemeinen Grundsatz aller Superbösewichte: Bist du nicht für mich, bist du gegen mich (und musst sterben). So werden Yuko und Akira zur Flucht durch Europa (immer noch die Stadt) gezwungen. Es wird eine Reise mit ungewissem Ende …

Wenn man einen Schritt zurücktritt und das Szenario betrachtet, ist daran natürlich fast nichts wirklich neu oder innovativ. Das repressive Regime hier, Rebellen – aus welchen Gründen auch immer – dort. Ein altes Leben, das aus irgendeinem Grund endet, dann Flucht, Kampf und aufkeimender Widerstand. Das ist eine Erzählung, die es schon seit Ewigkeiten in der Science-Fiction gibt, und nicht nur dort. 

Das ändert jedoch nichts daran, dass „Ronin“ ein wirklich unterhaltsamer und auch eindrücklicher Comic ist. J. L. Istins Geschichte ist tadellos entwickelt, ohne Logiklöcher, verwirrende inhaltliche Brüche oder halbgar durchdachte Handlungsbögen. Sie bietet gute Action, gefühlvolle Momente und die unvermeidliche Bitterkeit eines Lebens in einem Unrechtsstaat. Das große Format des Hardcoveralbums (ca. 23 x 32 cm) hilft zudem dabei, wirklich viel Geschichte auf den zur Verfügung stehenden 88 Seiten zu erzählen. Obwohl natürlich Yukos Leben gerade zu Anfang in weiten Passagen gerafft geschildert wird, fühlt man sich niemals gehetzt beim Lesen. Man hat einfach das Gefühl, dass die Geschichte den Raum bekommt, den sie braucht.

Die große Format ist auch der Optik sehr förderlich. Kael Ngu erfreut mit einem realistischen Stil, der sich viele Details gönnt. Dadurch sind nicht nur die Protagonisten perfekt eingefangen, auch die sehr präsente Stadt wird – nicht zuletzt Dank der schmutzig urbanen Farbpalette von Forent Daniel – beeindruckend inszeniert, voll und pulsierend, ein bisschen wie bei „Blade Runner“, nur ohne den allgegenwärtigen Regen und die extreme Neonbeleuchtung. Besonders wuchtig wirkt das auf der Handvoll Seiten, auf denen sich die Macher riesige Panels gönnen, die kleine Menschen vor der titanischen Architektur dieser Moloch-Stadt fast verschwinden lassen.

Am Ende des Comics ist noch vieles offen. Band 2 ist auf Deutsch für April 2026 angekündigt. Irritierenderweise scheint der Fünfteiler jedoch zunächst vier Einzelschicksale von „Cyborgs“, also technisch aufgewerteter Menschen (hier alles Frauen), zu erzählen, bevor die eigentliche Handlung in Band 5 dann zum Höhepunkt und Abschluss gebracht wird. Man wird sehen müssen, ob diese Erzählweise, die uns anscheinend für den Moment dazu zwingt, Abschied von unserer Protagonistin Yuko zu nehmen, wirklich die optimale ist.

Leseprobe

Fazit: „Cyborgs 1 Ronin“ ist der Auftaktband einer fünfteiligen Comic-Reihe über Frauen, die aus unterschiedlichen Gründen gezwungen waren, ihre Körper durch kybernetische Prothesen zu modifizieren. Hier folgen wir der jungen, taffen Yuko, die sich mit ihrem Onkel Akira gegen den gewalttätigen Diktator der Megastadt Europa auflehnt. Obschon inhaltlich nicht wahnsinnig innovativ, punktet der Comic durch seine tadellose Erzählweise und die tolle Optik. Eine absolut unterhaltsame Science-Fiction-Dystopie, die all jene belohnt, die auch mal abseits der Popkultur-Mainstream-Werke zu Comics greifen.

Cyborgs 1 Ronin
Comic
J. L. Istin, Benoît Dellac, Kael Ngu, Florent Daniel
Splitter Verlag 2025
ISBN: 978-3-68950-129-7
88 S., Hardcover, deutsch
Preis: 19,80 EUR

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