Castle Ravenloft

Willkommen in Barovia! Dem Land wo Wälder noch finster, Dorfbewohner noch abergläubisch und uralte finstere Burgen noch von Vampiren und anderen Kreaturen der Nacht bewohnt werden! Ein Land, das wie geschaffen ist für eine Gruppe tapferer Helden, die bereit sind, in die finsteren Katakomben von „Castle Ravenloft“ hinabzusteigen und dem blutdürstigen „Count Stradh“ und seinen Dienern endgültig den Pflock durch das kalte Herz zu treiben!

von  Dominik Cenia

Castle Ravenloft – oder auch: Das Verlieskriechen-Brettspiel, Folge 1115!

Zugegeben, seit dem 1980er Jahre MB Klassiker „HeroQuest“, spätestens aber seit dem überaus erfolgreichen Siegeszug von „Descent – Die Reise ins Dunkel“, sollte man meinen, dass es mittlerweile eigentlich genug „Dungeon“-Brettspiele auf dem Weltmarkt gibt. Sehr viel Neues vermag das Genre nach all den Jahrzehnten wohl wirklich nicht mehr hergeben. Und trotzdem scheint die Leidenschaft verliesbegeisterter Brettspieler ungebrochen.

Und nun macht sich also Rollenspiel-Primus „Wizards of the Coast“ daran, mit „Castle Ravenloft“ den scheinbar niemals endenden Hunger nach neuer Dungeon-Kost aufs Neue zu stillen. Aber bietet das Spiel auch, was es verspricht? Denn immerhin handelt es sich hierbei um ein „Dungeons & Dragons“-Brettspiel – dem Urvater aller Rollenspiele (und so ziemlich auch aller Formen von „Dungeon“-Abenteuern). Oder will man hier vielleicht nur mit einem berühmten Namen werben? Immerhin sind schon ein paar Jahre vergangen seit dem letzten „Dungeon & Dragons Fantasy-Abenteuerspiel“ (damals bei „Parker“ erschienen), welches zwar durchaus kurzweilig war, aber bei Weitem nicht mit dem Charme eines „HeroQuest“-Klassikers oder der Komplexität eines „Descent“ aufwarten konnte. Nur soviel seit zu Anfang gesagt: Wo „Dungeons & Dragons“ draufsteht, ist auch „Dungeons & Dragons“ drin!

Rollenspielspiel-Regeln für Brettspieler

Wer die aktuelle vierte Edition der „Dungeons & Dragons“ Rollenspiel-Regeln kennt, wird sich in den Gemächern von „Castle Ravenloft“ sogleich heimisch fühlen. Denn die Grundzüge sind bei diesem Brettspiel nahezu identisch zum Rollenspiel. Ein zwanzigseitiger Würfel entscheidet über das Schicksal einer jeder Aktion. Will man ein Monster mit einem Angriff treffen, so würfelt man mit dem sogenannten W20, addiert den Angriffsbonus seiner Spielfigur hinzu, um so ein Ergebnis gleich oder höher der sogenannten Rüstungsklasse des Monsters zu erreichen. Eine gewürfelte 20 bedeutet dabei unabhängig vom Ergebnis immer ein Treffer. Eine gewürfelte 1 dagegen immer ein Misserfolg. Im Gegenzug zum Rollenspiel wird der verursachte Schaden jedoch nicht noch zusätzlich ausgewürfelt, sondern ist je nach gewähltem Angriff festgelegt. So viel zu den Grundzügen.

Doch bevor es überhaupt erst dazu kommt, will der Spielplan aufgebaut, eines der insgesamt 13 Szenarien ausgesucht und die beteiligten Spielfiguren verteilt werden. Hinzu kommen noch einige, für derartige Brettspiele typische, Schatz- und Ereigniskarten, sowie Tokens und Marker für die verschiedenen Begegnungen, Fallen und Monster. Was die Helden angeht, bietet „Castle Ravenloft“ eine eher ungewöhnliche Mischung. Der „klassische“ Mensch hat nahezu ausgedient und ist nur noch in Form einer Diebin und einer Rangerin zu finden. Der Rest besteht aus einen Drachenhalbblut-Kämpfer, einem zwergischen Kleriker und Heiler und einem Eldarin-Zauberer (eine Art Elf). Zu jeder Spielfigur gibt es eine Anzahl von „Hero Power Cards“, die dabei ganz ähnlich wie beim Rollenspiel, in „Utility“-, „At-Will“- und „Daily“-Powers aufgeteilt sind. Während „Utility“-Powers nützliche Fähigkeiten darstellen wie das Entschärfen von Fallen, handelt es sich bei den „At-Will“-Powers meist auf verschiedene Nah- oder Fernkampfangriffe. „Daily“-Powers stellen dagegen einmalige Fähigkeiten oder besonders starke Angriffe dar, die allerdings zumeist nur einmal pro Spiel eingesetzt werden können. Hinzu startet jeder Held bereits mit einer zufällig gezogenen Schatzkarte und einem eigenen „Feat“. So kann der Kämpfer als „Defender“ die Rüstungsklasse angrenzender Helden um +1 ein verbessern, während der Kleriker beispielsweise stets auf einen Angriff verzichten kann, um einen angrenzenden Gefährten zu heilen. Es gibt mehr „Power Cards“ als ein Held pro Abenteuer mit in das Verlies nehmen kann, weshalb die Spieler sich zu Beginn absprechen sollten, welche Fähigkeiten mitgenommen werden sollen.

Womit wir auch schon beim nächsten Punkt wären. Denn in „Castle Ravenloft“ treten alle Spieler gemeinsam gegen das Spiel an und müssen entsprechend zusammenarbeiten. Einzelkämpfer haben hier also keine Chance. Erliegt einer der Abenteurer während des Spiels seinen Verwundungen, so muss die Gruppe einen „Healing Surge“-Token abgeben, um dem vermeidlich im Ableben begriffenen Helden doch noch mal ein wenig Heilung zu spendieren. Leider hat die ganze Gruppe, egal wie viele Spieler bei einer Partei dabei sind, nur ganze zwei „Healing Surge“-Tokens auf der Hand. Wurde die letzte Heilmöglichkeit jedoch ausgeben und ein Abenteurer verliert aufgrund einer Falle, eines Monsters oder einer Ereigniskarte erneut alle seine Lebenspunkte, so ist nicht etwa nur der betroffene Abenteuer aus dem Spiel, sondern die Gruppe hat als Ganzes verloren. Das Konzept erinnert stark an „Descent“, nur dass hier eben die Helden keine unterschiedlichen Punktewerte haben.

Ein Dungeon ohne Master – ja, geht denn sowas?

Im Gegensatz zu vielen anderen Spielen des Genres, wird „Castle Ravenloft“ komplett ohne einen Spielleiter, „Overlord“ (Descent), „Eindringling-Spieler“ (Doom) oder „Dungeon Master“ (D&D) gespielt. Alle Spieler übernehmen also die Rolle eines Abenteurers. Das Spiel steuert sich durch ein paar ausgeklügelte Mechanismen quasi „von selbst“, wodurch „Castle Ravenloft“ im Prinzip auch solo gespielt werden kann. Die Szenarien bieten keinen vorgefertigten Spielaufbau. Das Verlies wird mehr oder weniger per Zufall ausgelegt, immer dann wenn ein Abenteurer den Rand eines bereits aufgedeckten „Dungeon Tiles“ erreicht. Dann wird ein neues Stück des Verlieses an den bisherigen Spielplan angelegt. Sobald auf diese Weise ein neues Gebiet aufgedeckt wurde, wird außerdem eine Karte vom „Monster Deck“ gezogen. Da wir uns bei diesem Spiel in „Castle Ravenloft“ aufhalten, besteht die Auswahl diesmal aus Zombies, Skeletten, Geistern, Riesenspinnen, (Wer-)Wölfen oder Rattenschwärmen. Insgesamt neun verschiedene Monster sowie acht verschiedene „Villains“ (besonders starke Monster oder Endgegner) stehen dabei zur Verfügung. Monster bewegen sich immer am Ende des Zuges eines jeden Spielers und werden dabei über die vorher gezogenen Monsterkarten aktiviert. Dabei werden durch eine Karte immer alle Monster eines Typs aktiviert, sodass es vorkommen kann, dass innerhalb einer Runde bestimmte Monster mehrfach am Zug sind (jeweils immer nach dem Zug eines Spielers der eine passende Monsterkarte aufgedeckt hat).

Die meisten Monster verhalten sich nach einem vorgegeben Muster. Sie bewegen sich keine einzelnen Felder wie die Figuren der Spieler, sondern „springen“ immer von „Dungeon Tile“ zu „Dungeon Tile“ oder führen einen Nah- oder Fernkampfangriff gegen den nächstgelegenen Helden durch. Auf welches Feld das Monster dabei letztendlich für seinen Angriff gestellt wird, ist weitgehend egal. Nahkampfangriffe müssen von angrenzenden Feldern ausgeführt werden, und für Fernkampfangriffe bedarf es keiner Sichtlinie. Es werden lediglich die „Dungeon Tiles“ gezählt, wobei ein diagonales Zählen nicht möglich ist.

Was im ersten Moment nur allzu merkwürdig klingt, erweist sich in der Praxis als ein überaus durchdachtes und voll funktionierendes System. Monster greifen also immer den am nächsten stehenden Helden oder das schwächste Mitglied der Gruppe oder mehrere aneinander angrenzende Figuren oder sogar alle Helden auf einen „Dungeon Tile“ an. Sehr viel mehr würde ein Spielleiter in seinem Zug auch nicht machen. Die Spieler dagegen können auf dieses System Einfluss nehmen, indem sie letztendlich entscheiden, wohin sich das Monster (nach seinen Vorgaben auf der Monsterkarte) bewegt oder wen es genau angreift. Dadurch können Spieler, die im Anschluss am Zug sind, ihre Taktik und ihren Angriff planen.

Wer ein Monster erschlägt, zieht eine Schatzkarte. Hier gibt es besondere Artefakte, aber auch Zaubereffekte und Wunder, die auf ganze die Gruppe wirken können. Ein gefundener Schatz kann außerdem sofort innerhalb der Gruppe verteilt werden. Dadurch kann es nicht passieren, dass der Kämpfer den Zauberstab oder der Magier den verzauberten Plattenpanzer mit sich rumschleppen muss.

Wird von einem Spieler in seinem Zug kein neues Gebiet aufgedeckt oder wird ein „Dungeon Tile“ mit einer besonderen Markierung aufgedeckt, so wird eine „Encounter Card“ gezogen. Dies sind zumeist negative Effekte wie Fallen oder andere Unglücke, welche die Abenteurer auf ihrer Reise durch „Castle Ravenloft“ ereilen können. Mitunter fallen diese „Encounter“ ziemlich heftig aus, weshalb es für die Spieler meist besser ist, zu versuchen, stets ein neues Gebiet aufzudecken und sich dem dortigen Monster zu stellen. Dies treibt nicht nur den Druck auf die Heldengruppe weiter nach oben, sondern fördert auch den Spielfluss. Denn eine Runde „Castle Ravenloft“ dauert häufig nicht länger als ein bis zwei Stunden.

Irgendwann sind der Ziel-Raum erreicht, der Oberbösewicht erschlagen oder der Schatz geplündert. Was bleibt, ist der Beginn eines neuen Szenarios. Die Helden in „Castle Ravenloft“ behalten allerdings nicht ihre Schätze aus vorherigen Abenteuern. Zwar können sie während einer Verlies-Erkundung eine Stufe aufsteigen, doch dies verbessert nur die Kampfwerte des Helden in dem jeweils laufenden Szenario. Ansonsten handelt es sich primär um abgeschlossene Szenarien. Lediglich die beiden letzten Szenarien „The Hunt for Strahd“ bilden eine zusammenhängende Geschichte. Insgesamt sorgen die 13 unterschiedlichen Szenarien für reichlich Abwechslung und zeigen auf gelungene Weise die verschiedenen Möglichkeiten auf, was man so alles aus „Castle Ravenloft“ rausholen kann. Egal ob eine einfache Verlies-Erkundung, das Besiegen eines ganz speziellen Monsters, das Auffinden eines besonderen Raums oder Artefakts oder der Auftrag einen gebissenen Dorfbewohner zur rettenden Heilquelle zu eskortieren – „Castle Ravenloft“ bietet jede Menge Abwechslung, verpackt in einem gelungenen Kooperationsspiel mit einfachen Regeln und ein paar gelungenen „spielgesteuerten“ Mechanismen.

Zurück ans Tageslicht

Natürlich erfindet auch „Castle Ravenloft“ das Rad nicht neu. Im Grunde genommen geht es auch hier wieder, wie bei so vielen Spielen dieser Art, einzig und allein darum Monster zu verhauen, Schätze zu Sammeln und ein „Dungeon“ zu erkunden. Da das Ganze diesmal jedoch ganz ohne Gegenspieler als Kooperationsspiel abläuft, ist definitiv neu. Mir fallen in diesem Zusammenhang lediglich noch die Spiele aus der „Dungeoneer“-Reihe ein, welche einen ähnlichen Mechanismus aufweisen, aber weniger kooperativ in Bezug auf die Spieler gestaltet sind.

Auch muss man das eigentliche „Dungeons & Dragons“-Würfelsystem mögen. Denn nicht jeder findet Gefallen daran, mit einem zwanzigseitigen Würfel und diversen Boni und Mali die ein oder andere Rechenoperation bei jedem Angriff durchzuführen. Natürlich ist das alles keine höhere Mathematik, aber es gibt nunmal auch keine Spezialwürfel in „Castle Ravenloft“. Die Ausstattung orientiert sich ohnehin auch sehr an der vierten Edition des namensgebenden Rollenspielsystems. „Castle Ravenloft“ gehört damit durchaus zu den etwas textlastigeren Abenteuer-Brettspielen, und aufwändige Illustrationen, wie man sie von typischen „Fantasy Flight Games“-Spielen her kennt, sucht man hier auf den einzelnen Karten vergeblich. Die „Dungeon Tiles“ sind von hervorragender Verarbeitung (wie ohnehin das ganze Spiel an sich), sehen aber auf der anderen Seite auch ein wenig zu einheitlich aus, was aber andererseits das „Setting“ einer düsteren Vampirfestung sehr gut einfängt. Die einzelnen Figuren der Monster und Helden sind von guter Qualität. Vor allem der beeindruckende untote Drachen weiß dabei zu gefallen. Wer ohnehin „Dungeons & Dragons“ kennt und vielleicht sogar die „D&D Miniatures“ gesammelt hat, wird außerdem mit Sicherheit die ein oder andere Figur wiedererkennen. Handelt es sich doch ausschließlich um die (hier unbemalten) bereits bekannten Figuren aus jeder Miniaturen-Reihe.

Fazit: Zum einen geht „Castle Ravenloft“ neue Wege, zum anderen handelt es sich bei diesem Spiel jedoch auch die übliche und altbekannte Dungeon-Kost, die man entweder kennt und liebt oder mit der man eben noch nie etwas anfangen konnte. Neu ist auf alle Fälle der Kooperationsspiel-Aspekt, sowie die Tatsache das eine Runde „Castle Ravenloft“ tatsächlich in ein bis zwei Stunden gespielt werden kann. Durch die überschaubare Spieldauer mag deshalb vielleicht auch der ein oder andere Skeptiker sich einmal an dem Spiel versuchen.

Das Spielmaterial ist von hoher Qualität und man bekommt hier wirklich viel für sein Geld geboten. Auf der anderen Seite mag die eher textlastige Aufmachung und die Annäherung an die Würfelmechanik aus dem „Dungeons & Dragons“-Rollenspiel, Gelegenheitsspieler eher abschrecken. Damit steht „Castle Ravenloft“ wohl letztendlich ein wenig zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite ist es ein typisches (kooperatives) Dungeon-Brettspiel und auf der anderen Seite wirkt die Aufmachung was schon ein wenig „rollenspielmäßig“ – zumindest wenn man bedenkt, was bei „Dungeons & Dragons“ unter einem Rollenspiel zumeist verstanden wird. Auf der anderen Seite ist das Spiel aber auch jenen zu empfehlen, denen die aktuellen Regeln der vierten Edition von „D&D“ zu viel des Guten sind, die aber durchaus an einer „Light“-Variante der Kampfregeln Interesse haben. Irgendwo dazwischen hat „Castle Ravenloft“ wohl seinen verdienten Platz. Mein Tipp: Ausprobieren!

Castle Ravenloft
Brettspiel für 1 bis 5 Spieler
P. Lee, M. Mearls. B. Slavicsek
Wizard of the Coast / Hasbro 2010
ISBN: 978-0786955572
Sprach: Englisch
Preis: $ 64,95

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