ARTIKEL: Das Ende des Drachentöters - Ein Tsukuyumi-Beta-Test

Endlich ist es so weit. Strom erweckt die Schaltkreise zu summendem Leben. Der Mensch in der Maschine wird geweckt. Jahrhunderte im Schlaf und dennoch sofort einsatzbereit, erheben sich die Kampfanzüge der Kampfgruppe 3. Sicherheitsabspannungen und Versorgungsschläuche lösen sich wie Nabelschnüre und ohne weitere Vorbereitungen schreiten die Streiter zur Tat. Dafür sind sie gemacht, die Zeit ist da, der Mond ist gefallen. Der Drache erwacht erneut.

von Anja Bagus

Es kümmert ihn nicht, Drachentöter interessiert sich nicht für irgendwelches Geschmeiß. Hier ist der Kampf, auf den er gewartet hat, direkt vor ihm. Hunderte von Jahren im Schlaf, nur ab und zu unterbrochen von Wartungsarbeiten. Alles läuft reibungslos. Er geht vorwärts. Ein Blitz zuckt rechts an ihm vorbei: Freischütz hat einen Oni getroffen, der hinter einem Geröllberg aufgesprungen war! So etwas wie Begeisterung erfüllt Drachentöters Schaltkreise. In seinem Visor bewegen sich viele Gestalten – sicher allesamt abartiges Gewürm aus dem Schleim des Drachens geboren. Götter nannten sich die Oni und behaupteten, Tsukuyumi wäre ihr Oberster. Es durfte nicht sein! Drachentöter befahl den Erzengel heran.

„Die Brut vermehrt sich explosionartig“, meldet Marduk. „Sind sie eine Gefahr?“, fragt Drachentöter. „Nein. Die Rotte sind Schweine. Sie verbarrikadieren sich. Keine Gefahr.“ „Erzengel soll Ragnarök aufladen“, befiehlt Drachentöter. Kein Herumspielen. Keine Gnade. Sie würden die Oni mit einem mächtigen Schlag vernichten. Danach war Zeit genug, sich um die anderen zu kümmern.

„Ein Drache erhebt sich im Nordwesten!“ Maruks Interkom ist von Statik gestört. Oder ist es Erregung? Drachentöters evaluiert die Situation. Der Drache ist weit weg und hier, direkt vor ihm, ist die widerliche Brut des größten aller Drachen. Nein – sein Ziel bleibt klar. Marduk fliegt über ihnen und sagt den kürzesten Weg. Sie rücken schnell vorwärts, gehen in Stellung und zünden die Bombe. Drachentöter empfindet so etwas wie Glück, als die glühendrote Wolke sich wie ein Pilz über dem Schlachtfeld erhebt.

„Status?“, fragt er, als die Sicht sich langsam klärt.

„Die Rotte ist aus ihren Tunneln und Barrikaden heraus gebrochen und greift und von Norden her an! Die Insekten sind an der westlichen Flanke! Ein Drache hat unsere Basis zerstört!“

Drachentöter dreht sich kurz um. Die Basis? Sie war nicht wichtig. Wichtig war nur noch, zurückzuschlagen. Er findet Beowulf, der sich rechtzeitig aus dem Schiff begeben hatte, und befiehlt ihm, sich gegen die Insekten zu wehren. Die Verbindung zu Erzengel ist abgebrochen, vermutlich hatte der Kampfanzug die Radioaktivität nicht überstanden und der Kämpfer darin war gestorben. Marduk schwebt über der Rotte und tötet die infernalisch grunzenden Schweine.
Drachentöter hebt sein Schwert. Sie würden untergehen. Aber bevor sein Leben erlosch, wollte er den Mond für sich beanspruchen. Sein Schwert in die Widerwärtigkeit rammen! Er macht einen Rundumschlag und durchtrennt einige der Borstenviecher, dann stößt er seine Waffe tief in den Boden und entlässt seine Macht. Metallteile und Fleischfetzen spritzen um ihn herum, dann erlöschen seine Schaltkreise nach und nach. Die Lebenserhaltung versagt. Die rasenden Schweine attackieren die Schwachstellen. Schmerzen.  Zuletzt hört er nur noch Beowulf, der letzte von ihnen, der übrig bleiben würde.

Dann stirbt er. Die Drachen siegen, aber es sind nur kleine geflügelte Würmer, im Vergleich zu dem, was in dem weißen Ei schlummerte und bald schlüpfen würde. Drachentöter hat versagt. Die Welt würde untergehen.

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Das war der (völlig einseitige und daher subjektive) Spielbericht der gestrigen Runde „Tsukuyumi – Full Moon Down“, aus der Spieleschmiede King Racoon Games von Felix Mertikat. Wir durften es testspielen und waren durchweg begeistert.

Spielmechanismus: Man wählt zunächst eine Fraktion. Das Spiel wartet hier schon mit sehr ungewöhnlichen Ideen auf. Gut, mechanische Kampfanzüge sind vielleicht nicht neu, aber sie mit den Namen von mythischen Figuren zu versehen, deren Hintergrundgeschichte es ist, dass sie seit Jahrhunderten darauf warten, Drachen zu töten, das ist bizarr und bricht gewöhnliche Denkweisen auf. Aber die Kampfgruppe 3 ist bei Weitem nicht die ungewöhnlichste Fraktion: die Dark Seed (Insekten) oder die Boarlords (mutierte Schweine, die sich aus Straßenschildern Rüstungen bauen) sind nichts gegen Landwale und andere Dinge, die nach und nach zum Basisspiel hinzukommen werden.

Warum gibt es diese Gruppen? Sie sind Teil eines Erzählszenarios, in dem der Mond auf die Erde gefallen ist. Er ist eigentlich ein Ei, in dem der mythische Drache Tsukuyumi schlief und nun zum Leben erwacht. Durch seine magische Kraft hat sich alles auf der Erde verändert – Lebewesen mutierten und Ozeane versiegten. Bevor der Drache aber erwacht, erscheinen seine Oni und beschützen den Landeplatz.

Als Spieler übernimmt man also eine der Fraktionen, die selbst eigene Ziele haben. Das Spiel läuft über mehrere Runden und man sammelt Siegpunkte. Am Ende gewinnt … ach das wisst ihr sicher schon. Da das Spielbrett modular ist und sich zusätzlich noch im Spiel verändern kann, jeder irgendwie schaut, dass er seine Ziele durchdrückt und die der anderen sabotiert, ist die Lage rund um den Krater äußerst komplex. Es gibt keine ruhigen Phasen, es geht direkt los.

Das Spiel ist sehr herausfordernd, bietet dann aber viele dichte und epische Momente. Es gibt keine Würfel, was ich persönlich sehr gut finde, da es nichts Blöderes gibt, als ein misslungener Würfelwurf, der alles kaputt macht. So ist es im Zweifelsfalle nur eigene Blödheit (wie bei mir) oder die taktische Klugheit der anderen, die einen verlieren lässt. Ich finde das Spiel jedenfalls extrem abwechslungsreich und spannend, obwohl ich verloren habe.

Mehr zur genauen Spielmechanik gibt es auf youtube zu sehen, auf dem Kanal von King Racoon Games.

Was dieses Spiel noch zu etwas Außergewöhnlichem macht, ist, dass Felix Mertikat es versteht, viele Künstler mit ins Boot zu nehmen. Bekannte deutsche Autoren schreiben die Hintergrundgeschichten der Fraktionen, zu jeder wird ein Comic erscheinen. Man kann sich dann mit seiner Lieblingsfraktion noch besser identifizieren. Hier wird also nicht nur eines von vielen Spielen produziert, sondern eine Gemeinschaftsleistung, die bisher alle Beteiligten begeistert und hoffentlich in Zukunft auch viele Unterstützer.

Ab dem 29.9. gibt es einen Kickstarter, der dem spannenden Projekt den Weg auf den Markt ebnen soll.


Links:


Offizielle Website des Spiels