Agenten aus Dreamland

H. P. Lovecraft hat die moderne Horrorliteratur durch sein Werk maßgeblich geprägt. Die Verwendung cthuloider Motive gehört mittlerweile fast schon zum guten Ton in der Szene. Doch nur selten gelingt es Autoren, dem lovecraftschen Horror noch Überraschendes zu entlocken. Wie sieht es mit „Agenten aus Dreamland“ aus?

von André Frenzer

Der Buchheim-Verlag veröffentlicht bereits seit einiger Zeit deutsche Erstausgaben der amerikanischen „Cemetery Dance“-Reihe. Die Geschichte von Richard Chizmar und „Cemetery Dance“ geht auf das vor 30 Jahren gegründete, gleichnamige Magazin zurück. Mittlerweile hat das Magazin mit seinen Sammler- und Vorzugsausgaben zahlreicher namhafter Autoren im Bereich Horror und Dark Suspense längst Kultstatus erreicht. Im Deutschen erscheinen die Bände in den Reihen „CDG Limited“ und „CDG Select“, wobei letztere kürzeren Novellen mit lovecraftesken Bezügen vorbehalten ist. „Agenten aus Dreamland“ wiederum ist der achte Band der „CDG Select“-Reihe.

Die Autorin Caitlín R. Kiernan ist in der Szene sicherlich keine Unbekannte. Zu ihrem Werk gehören zehn Science-Fiction- und Dark-Fantasy-Romane, viele Comics und mehr als zweihundert Kurzgeschichten. Neben zwei World Fantasy Awards konnte sie auch zwei Bram Stoker Awards erringen. Für diese Vorzugsausgabe wurde darüber hinaus Vincent Chong als Illustrator gewonnen: Dieser fertigt sowohl Buch- und Zeitschriftenillustrationen als auch Produktionsdesigns für Film und Fernsehen an. Chong wurde mit mehreren britischen Fantasy Awards ausgezeichnet und erhielt außerdem einen World Fantasy Award als bester Künstler. Doch genug der Vorschusslorbeeren: Wenden wir uns dem Inhalt zu.

Die Handlung von „Agenten aus Dreamland“ beginnt ein wenig kryptisch, denn wir wohnen dem Treffen zweier Top-Beamter unterschiedlicher Geheimdienste bei. Auf der einen Seite sitzt ein als „Der Bahnwärter“ bekannter Regierungsagent der Vereinigten Staaten, auf der anderen Immacolata Sexton, eine Frau, die mehr Geheimnisse verbirgt als sie preisgibt. Diese tauschen Informationen über einen Vorfall aus, der sich vor wenigen Tagen auf einer Ranch am Ufer des Salton Sea ereignete, wo ein verrückter Sektenführer die „Kinder des Next Level“ in eine bessere Zukunft führen wollte. Neben dem schockierenden Ergebnis dieses Versuchs sind es vor allem die Signale der NASA-Sonde „New Horizon“, welche die Geheimdienste auf den Plan rufen. Denn scheinbar versucht etwas jenseits des Plutos Kontakt aufzunehmen. In der Folge springt die Novelle durch verschiedene Zeiten und verschiedene Charaktere, um ein Gesamtbild der Situation zu zeichnen. So dürfen wir einem Mitglied der Sekte über die Schulter sehen und den verführerischen Reden des Sektenführers lauschen. Der Bahnwärter wiederum versucht an verschiedenen Stellen die Puzzlestücke zusammenzusetzen, welche dieses Rätsel lösen. Und Immacolata Sexton reist in ihren Gedanken durch die Zeit, um eine düstere Vision der Zukunft der Erde zu erhalten, welche auf die Kontaktaufnahme mit dem, was jenseits des Plutos lauert, folgen wird.

Zunächst einmal möchte ich „Agenten aus Dreamland“ einen tollen Weltenbau attestieren. Das gewählte Setting packt, ist in sich stimmig und dabei lovecraftesk verstörend. Dabei nimmt Kiernan nicht nur Bezug auf lovecraftsche Motive, sondern lässt die Handlung aus Lovecrafts „Der Flüsterer im Dunkeln“ direkt als eine Art Vorgeschichte in ihre Erzählung einfließen. Diese direkten Bezüge helfen dabei, das Setting stimmiger zu gestalten. Auch sprachlich kann man Kiernan keinen Vorwurf machen – „Agenten aus Dreamland“ ist flüssig zu lesen und an den passenden Stellen mit viel Feingefühl, aber auch mit der notwendigen Drastik geschrieben. Einzig der Aufbau der Geschichte will mir nicht recht zusagen. Die vielen Zeit- und Perspektivwechsel machen die Lektüre unnötig kompliziert und wirken aufgesetzt. In diesem Fall hätte ich mir eine stringente Erzählung der aufziehenden Bedrohung gewünscht. Durch die überbordende Komplexität kommt das Ende überraschend und tatsächlich auch viel zu früh. Während man sich gerade an den Gedanken eines offenen Endes gewöhnt, werden in wenigen Sätzen zu viele Handlungsstränge geschlossen, um „Agenten aus Dreamland“ überhastet zu schließen. Dem Band hätten einige Kapitel mehr gutgetan.

Die vom Buchheim-Verlag aufgelegte „Select“-Ausgabe liegt als stabiles Hardcover mit schicker Prägung und einem goldenen Lesebändchen vor. Die hervorragende Haptik des Buches und die Illustrationen von Vincent Chong runden – wenn es auch leider nur drei an der Zahl sind – die Vorzugsausgabe gelungen ab. Technisch gibt es damit überhaupt nichts zu meckern.

Fazit: „Agenten aus Dreamland“ bietet eine spannende Lektüre in einem tollen Setting mit engem Lovecraftbezug. Leider ist das Finale arg hektisch und zu plötzlich ausgefallen. Für Lovecraft-Freunde dennoch eine klare Leseempfehlung.

Agenten aus Dreamland
Horror-Novelle
Caitlín R. Kiernan
Buchheim Verlag 2024
ISBN: 978-3-946330-39-4
152 S., Hardcover, deutsch
Preis: 18,99 EUR

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