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Witch – Der Gang nach Lindisfarne

Ein weiteres spielleiterloses Erzählspiel, wieder einmal aus der bekannten „Kleinen Reihe“ des System-Matter-Verlags? Das klingt interessant und landet daher natürlich auf dem Ringboten-Prüfstand!

von Jens Krohnen

Der System-Matters-Verlag hat bereits eine ganze Reihe unterschiedlichster Erzählspiele veröffentlicht. Neben einigen nahezu universell einsetzbaren Ansätzen – wie „Geh nicht in den Winterwald“ –, die das Erleben unterschiedlicher Abenteuer erlauben, gibt es auch sehr spezialisierte Systeme, die darauf ausgelegt sind, genau eine Geschichte zu erzählen. „Kagematsu“ oder „Die Liebe in den Zeiten des Seidr“ sind solche Spiele. Auch „Witch – Der Gang nach Lindisfarne“ bereitet die Bühne für eine ganz bestimmte Geschichte.

Alle Teilnehmenden schlüpfen in die Rolle einer Reisegemeinschaft. Das Ziel dieser Gemeinschaft ist es, die heilige Insel Lindisfarne zu erreichen. Hier soll eine junge Frau, welche gestanden hat, eine Hexe zu sein und die Pest über London heraufbeschworen zu haben, geläutert und voraussichtlich auch getötet werden. So soll der Fluch der Pest vom ganzen Land genommen werden. Neben der Hexe selbst gehören zur Reisegemeinschaft ein Mönch, zwei Ritter unterschiedlicher Couleur, ein Knappe und ein Führer. Die Geschichte beginnt in London und wird die Gruppe bis nach Lindisfarne führen.

Der eigentliche Spielmechanismus dann ist mehr als simpel – tatsächlich frage ich mich, ob man von einem echten Mechanismus sprechen kann. Denn spielmechanisch gibt es äußerst wenig zu tun für die Spielenden. Die Geschichte rund um die Reise der Gemeinschaft ist in vier Akte unterteilt. In jedem der Akte steht jedem Charakter eine Szene zu, welche er beschreiben kann. Im Finale dann müssen die Spielenden entscheiden, ob sie die Hexe wirklich den Flammen des Scheiterhaufens überantworten oder nicht.

Um den Rundenteilnehmern ein wenig Unterstützung zu geben, sind die Charakterzüge der einzelnen Mitreisenden etwas genauer festgelegt. Ebenso gibt es eine Reihe von Charakterfragen, die es im Laufe der Reise zu beantworten gilt. Ein Unterschied dazu stellt die Rolle der Elouise, der Hexe, dar. Diese ist naturgemäß als Gefangene in ihren Handlungsmöglichkeiten beschränkt, kann jedoch versuchen, die Gruppe für – oder auch gegen sich – einzunehmen. Tatsächlich entscheidet der Spielende hinter Elouise, ob es sich bei der jungen Frau um eine echte Hexe handelt und wie sich das Finale auf die Zukunft der anderen Charaktere auswirken wird. Haben sie eine Unschuldige ermordet? Oder wird es ihnen tatsächlich gelingen, den Fluch der Pest zu besiegen?

Wie bei den meisten Erzählspielen üblich, setzt „Witch“ konsequent auf Sicherheitsmechanismen. Diese sind direkt in die Regeln integriert, fordern Pausen, Reflektion und Rücksichtnahme ein. Ebenso werden gängige Mechanismen wie die „X-Karte“ empfohlen. Die Aufbereitung von „Witch“ ist vorbildlich: Tatsächlich kann das schlanke Spiel ohne jegliche Vorbereitung gespielt werden. Die Erklärungen sind kurz und knapp und es bietet sich tatsächlich an, die einzelnen Kapitel während des eigentlichen Spiels durchzuarbeiten. Schlussendlich müssen ohnehin nur Szenen aneinandergesetzt werden, die unter einer bestimmten Stimmung stehen sollen.

Wie bei allen Erzählspielen steht und fällt „Witch – Der Gang nach Lindisfarne“ – natürlich mit der Spielrunde. Wer eine durch eine Spielleitung geführte Geschichte präferiert oder mit dem Hinzufügen eigener Elemente in eine Geschichte seine Schwierigkeiten hat, der wird auch mit „Witch“ nicht warm werden. Eine erzählfreudige Gruppe vorausgesetzt, steht einer denkwürdigen Reise nach Lindisfarne allerdings nichts im Wege. Durch die offenen Fragen an die einzelnen Charaktere und die Ungewissheit, ob Elouise tatsächlich eine Hexe darstellt oder nicht, ist sogar ein gewisser Wiederspielwert gegeben, auch wenn der sich nach meinem Empfinden eher in Grenzen hält.

„Witch – Der Gang nach Lindisfarne“ liegt als 56-seitiges A5-Softcover im üblichen Querformat der „Kleinen Reihe“ vor. Das Layout ist großzügig und äußerst gelungen. Regel- und Kapitelübersichten sowie klar lesbare Anweisungen in abgesetzten Extrakästen erleichtern das Spiel enorm. Stimmungsvolle, großformatige Bibelzitate sorgen für die passende Atmosphäre. Technisch gibt es damit, wie so oft bei System Matters, eine gute Note.

Fazit: „Witch – Der Gang nach Lindisfarne“ will eine ganz bestimmte Geschichte erlebbar machen und erledigt diese Aufgabe souverän. Eine erzählfreudige Gruppe dürfte hier ihren Spaß haben, allerdings hält sich der Wiederspielreiz in meinen Augen in Grenzen.

Witch – Der Gang nach Lindisfarne
Grundregelwerk
Kevin Barthaud, Richard Lacy
System Matters 2024
56 S., Softcover, deutsch
Preis: 16,95 EUR

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