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Somna

Begierde steht im Fokus dieses Comics. Ingrid lebt in einer Welt, in der die Rollen klar verteilt sind. Die Frauen kümmern sich um die Kinder und den Haushalt, während die Männer das Geld verdienen, Politik machen und Recht sprechen. In dieser patriarchalischen Gesellschaft wird jede Form der Freiheit und damit einhergehender selbstbestimmter Sexualität unterdrückt. Was geschieht, wenn dieser Bann wortwörtlich durchbrochen und die Lust und Begierde ausgelebt wird?

von Daniel Pabst

„Somna“ ist ein Comic, geschrieben und gezeichnet von Becky Cloonan und Tula Lotay. Die Farben stammen von Lee Loughridge, Dee Cunniffe und Tula Lotay. Erschienen ist der Comic ursprünglich bei DSTLRY Media. Die deutsche Version dieses großflächigen Hardcovercomics wird durch Cross Cult vertrieben. Als Bonus gibt es am Ende der sieben Kapitel Variant-Cover, Thumbnails, Tuschezeichnungen, Skizzen sowie eine kurze Bonus Geschichte „Welch verdorbene Flamme brennt in dir?“. Bevor es mit der Rezension losgeht, sei vorangestellt, dass es sich bei dem Comic um einen Erwachsenencomic mit sexuellen Inhalten handelt, welche besonders in den Zeichnungen von Tula Lotay darstellt werden.

Die Geschichte startet bereits mit der ersten expliziten Szene, in der die Protagonistin Ingrid von einem schattenhaften (dämonischen?) Mann träumt. Wir befinden uns in einem englischen Dorf im 17. Jahrhundert. Als Leser oder Leserin weiß man an dieser Stelle noch nicht, ob es sich bei dem Abgebildeten um eine sexuelle Fantasie handelt oder ob mehr dahintersteckt. Doch als der Ehemann von Ingrid sie mit der Frage: „Geht’s dir gut?“ aufweckt, lässt sich für die Leserinnen und Leser erahnen, dass Ingrid ihm von diesen tiefen Erlebnissen bislang nichts erzählt hat. Brisant wird es in dem Moment, in dem wir erfahren, dass ihr Ehemann namens Roland derjenige ist, der als Hexenjäger Frauen als „Hexen“ anklagt. 

Ingrid zweifelt zunehmend an ihrem Verstand und fragt sich, ob ihre (unerfüllte) Begierde sie fantasieren lässt oder ob die Träume real sind? Ihrer besten Freundin Maja traut sie sich nicht anzuvertrauen, da die puritanische Gesellschaft in „Somna“ den Frauen eingebläut hat, dass sie nicht selbstbestimmt über ihre Lust entscheiden dürfen und im Falle von Abweichungen der Tod durch Verbrennen auf sie wartet. Diese unterdrückende Stimmung fangen die Zeichnungen von Becky Cloonan trefflich ein. Im gleichen Atemzug durchbrechen die (Traum-)Zeichnungen von Tula Lotay diese Stimmung und lassen wiederum den erotischen Fantasien von Ingrid „freien Lauf“.

Die beiden unterschiedlichen Zeichenstile von Cloonan und Lotay verschmelzen im Laufe des Werks zunehmend zu einem Stil, der kaum noch zwischen Realität und Fantasie unterscheiden lässt. Hat Ingrid tatsächlich den Verstand verloren, oder liegt in ihren Träumen mehr als nur ein Funken Wahrheit? Ingrid wird von Seite zu Seite mutiger und möchte sich nicht weiter verstecken, auch wenn sie damit ihr eigenes Leben aufs Spiel setzt. Sollte nicht jede und jeder so lieben, wie er oder sie es möchte? In „Somna“ haben sich allerdings sowohl die Kirche, die Politik, als auch die Justiz für ein gegenteiliges Konzept entschieden, was die Beteiligten allmählich zu „Monstern“ gegenüber ihren Mitmenschen werden lässt.

Trotz dieses äußerst nachdenklich machenden Themas, welche durch die expliziten Zeichnungen voran getrieben wird, wirkt der Comic wie ein alter B-Movie-Horrorfilm. Auch wenn nicht sicher gesagt werden kann, ob Ingrid ihren Verstand verliert, so verliert sie im Laufe des Comics zumindest immer häufiger ihre Kleidung, stöhnt, schreit und keucht, wohingegen der männliche Schatten sie für seine Zwecke zu missbrauchen scheint. Dass die Autorinnen und Zeichnerinnen ihren Comic bis zum Ende hin durchdacht haben, erscheint fraglich. Die Botschaft, die die beiden möglicherweise damit vermitteln wollten, ist keine neue, und die anfangs starken Traumszenen werden durch ihre Wiederholungen ausbeuterisch. 

Leseprobe

Fazit: „Somna“ beginnt vielversprechend und spart nicht an expliziten Inhalten. Was sich als freiheitsliebendes Werk hätte entwickeln können, flacht rapide ab. Der Comic verkommt aufgrund der stumpfen Wiederholung von Motiven und der damit verbundenen Darstellung der expliziten Träume. So gerät die Kritik an der Viktimisierung von Andersdenkenden, die Kritik an der patriarchalischen Gesellschaft sowie der fortwährende Wunsch nach sexueller Freiheit in den Hintergrund. Hier wurde eine Chance vertan. 

Somna
Comic
Becky Cloonan, Tula Lotay
Cross Cult 2025
ISBN: 978-3-98666-714-6
168 S., Hardcover, deutsch
Preis: 35,00 EUR

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