Munchkin Quest

Der grüne Munchkin seufzte. Ständig fielen ihm mit lautem Klang und Gong und Boing irgendwelche Waffen, Rüstungsteile und Schätze aus dem Arm. Er war nun schon eine ganze Weile in diesem labyrinthartigen Dungeon unterwegs und hatte den blauen und den gelben Munchkin (Gott sei Dank) aus den Augen verloren. Doch was war das? Schimmerte da vorne nicht ein wenig Licht? Tatsächlich! Der grüne Munchkin lächelte siegesgewiss, nur noch ein paar Meter und er würde diesem alten Kerker endlich entkommen.

von Jörg Dickel

Der grüne Munchkin verlagerte das Gewicht der Schätze und Waffen in seinem Arm und ging auf den entfernten Lichtschimmer zu. Er konnte die Treppe zum Ausgang schon sehen, als etwas kleines, pelziges über seine Arschtrittstiefel huschte und dabei wie irre schnatternd hinter ihm in der Dunkelheit wieder verschwand. Sofort lies der grüne Munchkin seine Schätze fallen, wirbelte herum und zog seine Kettensäge der blutigen Zerstückelung.

Die Regeln zum „Munchkin“-Kartenspiel dürften ja allgemein bekannt sein. Nein? Nun gut: Man startet das Spiel als ein einfacher Munchkin. Das ist ein Abenteurer, der in einen monsterverseuchtes Dungeon hinabsteigt, um so viele Schätze und Goldmünzen anzuhäufen und gleichzeitig so viele Monster zu töten, wie er nur kann. Dabei gilt es, die bestmöglichen Ausrüstungsgegenstände, ja sogar Rassen , Klassen und Geschlecht, zu sammeln und zu wechseln bis man zu einem nahezu unbesiegbaren Supermunchkin geworden ist.

Das Problem hierbei sind jedoch weniger die (fiesen) Monster, als vielmehr die guten „Kumpels“, mit denen man in die Kerker hinabsteigt. Die können einem zwar helfen, gegen große und mächtige Monster zu bestehen (natürlich nur gegen Bezahlung), jedoch können sie einem auch in den Rücken fallen und das zu bekämpfende Monster noch mächtiger werden lassen, um einen, hämisch lachend, im Stich zu lassen. Gewinner ist, wer zuerst Munchkin-Level 10 erreicht hat. Die diversen Rassen und Charakterklassen dürfen vom Spieler dabei so oft gewechselt werden, wie er will (oder kann). Das macht auch nicht vor dem Wechsel zum anderen Geschlecht halt (was auch manchmal unfreiwillig passieren kann). Hat man zu viele Karten auf der Hand, müssen diese auf fünf reduziert und demjenigen Spieler ausgehändigt werden, welcher die niedrigste Stufe inne hat. Dieser darf sich dann die „Rosinen“ rauspicken und auf der Hand behalten (darf aber seinerseits das Handlimit von fünf nicht überschreiten).

Dieses Prinzip wurde nun bei „Munchkin Quest“ im Groben auf ein Brettspiel übertragen. Der Clou hierbei: Das Spielbrett besteht aus einzelnen Räumen, die wie bei einem Puzzle ineinander gesteckt werden. Das bedeutet, dass das Spielbrett bei jedem neuen Durchgang ein anderes ist, da man die einzelnen Räume zufällig aus dem Stapel zieht und erst dann einen neuen Raum anlegt, wenn man ihn betritt. Jeder Raum kann bei Betreten nach Schätzen durchsucht werden (sofern ein „Durchsuchen nicht möglich“-Marker dies nicht verhindert). Dazu wirft man einen der Würfel und vergleicht das Ergebnis mit der Suchtabelle und zieht die entsprechende Anzahl an Schatzkarten. Manche Räume besitzen aufgedruckte Modifikationsmarker, welche das Würfelergebnis je nach Charakterklasse des Spielers jeweils um 2 verbessern oder verschlechtern können.

Auch das Monstersystem wurde angepasst: Zieht ein Spieler eine Monsterkarte, so bekommt dieses Monster einen eigenen Aufsteller auf dem Spielbrett. Wird es besiegt, nimmt man es wieder vom Brett, ist es jedoch stärker als man selbst, muss man fliehen, und das Monster selbst verbleibt auf dem Spielplan. Jedes Monster wird durch einen farbigen Standfuß gekennzeichnet, welcher der Farbe des Spielers entspricht, der es vom Stapel gezogen hatte. Nach jedem Zug wird der verschiedenfarbige Monsterwürfel eingesetzt. Dann werden alle Monster, deren Standfuß der erwürfelten Farbe entsprechen, einen Raum weiterbewegt. Beim Brettspiel reicht es jedoch nicht einfach, Level 10 zu erreichen, um zu gewinnen. Um als Sieger hervorzugehen, muss man erst noch zur Eingangshalle zurückkehren, das Bossmonster besiegen und schließlich den Dungeon verlassen.

Der grüne Munchkin kniff die Augen zusammen. Da ertönte schon wieder das irre Schnattern und endlich, das schreckliche Monster trat ins Licht. Es war…ein psychopathisches Eichhörnchen?!? Der grüne Munchkin stöhnte. Na sowas. Und davor hatte er Angst gehabt. Er lies die Kettensäge sinken und hob sein rechtes Bein um dem Eichhörnchen mit seinem Arschtrittsiefel den Garaus zu machen. Da vernahm er ein leises Pfeifen und blickte auf. In einem der vier Eingänge stand der blaue Munchkin. Er grinste und warf eine Phiole mit einer lilafarbenen Flüssigkeit auf das Eichhörnchen. Die Phiole zerbrach und das Eichhörnchen wurde von der Flüssigkeit durchtränkt. „Jetzt ist es auch noch sauer!“ flötete der blaue Munchkin. Der grüne Muchnkin sah hinab zum Eichhörnchen, das in der Tat langsam Schaum vor dem kleinen Maul bekam. Zwei weitere Phiolen flogen durch die Luft in Richtung Eichhörnchen: „Und jetzt ist es dämonisch und gigantisch!“ . Voller Unglauben beobachtete der grüne Munchkin den rasanten Wachstum des mittlerweile zornigen, dämonischen und gigantischen Psycho-Eichhörnchens und schluckte. Nun gut…da würde der Stiefel wohl doch nicht ausreichen. Er hob die Kettensäge.

Das Spiel „Munchkin Quest“ weist alle Eigenschaften auf, die das originale „Munchkin“-Kartenspiel so toll und beliebt gemacht hat: den abseitigen Humor, die irren Einfälle, die Seitenhiebe auf Rollenspiele und deren Anhänger sowie die witzigen Zeichnungen von John Kovalic. Das bedeutet auch, dass der geneigte „Munchkin“-Fan sich bereits grob in den Regeln auskennt, was den Einstieg sehr erleichtern dürfte. Die Regeln sind einfach und lustig erklärt und das Spielmaterial sehr stabil und hochwertig produziert.

„Munchkin“-Neulinge dürfte das Spiel jedoch eher ansprechen als Veteranen, denn im Endeffekt hat man hier genau das Kartenspiel, nur eben mit einigen veränderten (und manchmal unnötig verkomplizierten) Regeln. „Munchkin“ war immer ein schnelles Spiel, welches man oft als Einstieg in oder aber als Absacker nach einem Spieleabend zum Einsatz brachte. Beim Brettspiel zieht man dieses Prinzip in die Länge, und daher verliert es eben diesen „eine schnelle Runde Munchkin geht noch“-Aspekt. Die Frage ist daher, ob die Fans eher zum Karten- oder zum Brettspiel greifen werden.

Fazit: „Munchkin Quest“ ist die Umsetzung des Kult-Kartenspiels „Munchkin“ in Brettspiel-Form – mit all seinen Vor- und Nachteilen. Humor und Aufmachung bleiben erhalten, die Regeln sind leicht und eingängig. Einige Spielmechanismen ziehen das Ganze jedoch in die Länge, und so geht das rasante Absacker-Feeling, das „Munchkin“ immer anhaftete, etwas verloren. Das macht aus „Munchkin Quest“ natürlich beileibe kein schlechtes Spiel. Es ist nach wie vor sehr witzig und spaßig durch die Gegend zu ziehen, abgedrehte Monster zu killen und per Zaubertrank das Monster zu stärken, das gerade von einem deiner Kumpels bekämpft wird. Das Brettspiel besitzt nur nicht ganz die gleiche Art von Charme, die dem Kartenspiel anhaftet.

Ein heiseres Räuspern ertönte hinter dem grünen Munchkin, und er musste sich nicht umzuwenden, um zu wissen, dass nun auch der gelbe Munchkin die Vorhalle zum Ausgang betreten hatte. „Auf meiner Seite?“, fragte der Grüne in Richtung des Gelben. Er zuckte zusammen, als ihn zur Antwort ein Fluch im Rücken traf. Der grüne Munchkin sah an sich hinab und erkannte, dass sich seine Rüstung in köstlichen Schokoladenpudding verwandelt hatte. Resigniert ließ er die Schultern sinken. „Ich wusste ja immer, dass ich irgendwie süß bin“, war sein letzter Gedanke, bevor das zornige, dämonische und gigantische Psycho-Eichhörnchen über ihn hinweg trampelte. Der gelbe Munchkin blickte zum Ausgang und dann zum blauen Munchkin. Dieser blickte zum Ausgang und zum zornigen, dämonischen und gigantischen Psycho-Eichhörnchen, welches seinerseits vom gelben und dann zum blauen Munchkin blickte. Dann rannten alle drei laut schreiend aufeinander zu.


Munchkin Quest
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler
Philip Reed & Will Schoonover
Pegasus Spiele 2009
ISBN: 9783939794684
Inhalt: 200 Karten, 27 Lebenspunktmarker, 69 Goldstücke, 12 Gegenstandsmarker, 15 Bewegungsmarker, 4 Stufenzähler, 12 Suchmarker, 4 Munchkins, 12 Standfüße, 24 Raumteile, 1 Eingangshalle, 38 Monsteraufsteller, 10 Würfel sowie diverse Monster- und Schatzkarten und Deus Ex Munchkin-Karten
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 39,95

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