Worlds of Cthulhu #2

Mit Büchern ist es wie mit Frauen (oder Männern). Auf einige wenige stürzen sich alle, der Großteil muss aber etwas unternehmen, um Aufmerksamkeit zu erregen, und ein kläglicher Rest kann machen was er will, er wird doch meist ignoriert werden. Die 2. Ausgabe der Zeitschrift „Worlds of Cthulhu“ (WoC2) fällt erstaunlicherweise in die letzte Kategorie. Monatelang stand sie auf der Rezensionsliste, aber keiner wollte sie. Vor kurzem musste sie gar die Peinlichkeit ertragen und mit ansehen, wie ihr Nachfolger WoC3 vor ihr rezensiert wird. Stellt sich die Frage, woran dies gelegen haben mag. Schauen wir uns die äußeren und inneren Werte der WoC2 mal an.

von Reinhard Kotz

 

Die äußeren Werte

Wie so meist genügt bereits ein Blick, um die äußeren Werte zu erkennen. Doch schnell wird dabei klar, dass es daran nicht gelegen haben kann, denn WoC2 kann sich bedenkenlos neben die anderen „Cthulhu“-Publikationen stellen, die ja bekanntlich schon manchen Schönheitspreis gewonnen haben. Ein gepflegtes Erscheinungsbild, eine schöne Gestaltung sowie ein schlanker Schriebstil wissen dem Auge zugefallen. Einzig der Umfang mit 130 Seiten wirkt leicht wuchtig, doch verleihen diese leicht korpulenten Ansätze dem Ganzen den Hauch der Natürlichkeit. Und der ist ja bekanntlich wieder sehr gefragt…

Die inneren Werte

Somit kann es wohl nur an den so oft zitierten inneren Werten liegen. Und tatsächlich fällt dem eifrigen „Cthulhu“-Leser schon beim Durchblättern des Inhaltsverzeichnisse auf, dass zahlreiche Artikel und Abenteuer bereits zuvor in anderen Publikationen, überwiegend der „Cthuloiden Welten“ (CW) erschienen sind. Das erzeugt einen faden Vorgeschmack, denn wer sich mit fremden Federn schmückt, darf sich nicht wundern, wenn er Missfallen erntet. Doch wollen wir nicht zu schnell urteilen und uns die Sache einmal näher anschauen.

Mit Federn geht es auch gleich los, denn der Artikel „Call of Cthulhu in the Wild West“, welchen der ein oder andere Leser bereits aus CW1 kennen könnte, verlagert den Cthulhumythos in den Wilden Westen. Dafür werden kurz der geschichtliche Hintergrund, ein paar neue Berufe sowie die erforderlichen Regelanpassungen vorgestellt. Natürlich gibt es auch ein kurzes Szenario als Einstieg.

Kurz ist auch das Schlagwort, mit dem man den Artikel am besten beschreibt. Vieles wird angerissen, doch noch mehr bleibt verborgen. Im Gegensatz zu Ovids Ansicht, der in seinem Gedicht Apollo und Daphne einen versteckten Hinweis auf seine Meinung bezüglich dieses Artikel prophezeit hat („Das was er sah, reizte ihn, das was er nicht sah, reizte ihn noch mehr!“), finde ich mehr Gefallen an sichtbaren Dingen. Der Artikel ist somit nicht mehr als ein Aphrodisiakum, denn die Hauptarbeit muss man selber machen. Wer sich ernsthaft überlegt, ein „Cthulhu“-Abenteuer im Wilden Westen zu spielen, der kommt mit den dargeboten Informationen nie und nimmer aus, sonder muss sich noch weitere Bücher zulegen, um genügend Hintergrundwissen ansammeln zu können. Die Frage, inwieweit „Cthulhu“ und der Wilde Westen zusammenpassen, muss ohnehin jeder für sich beantworten.

„The Singer from Dhol“ ist ein weiteres Abenteuer aus der CW, diesmal der Ausgabe 3. Die Spieler schlüpfen in die Rollen einer seltsamen Familie, die auf einer kleine Insel lebt, auf der sie von niemandem gemocht werden. Seltsame Ereignisse lassen erahnen, warum das so ist... Beim „Sänger von Dhol“ handelt es sich meiner Meinung nach um einen der besten One-Night-Stands, der in den letzten Jahren für „Cthulhu“ erschienen ist. Es ist ideal für Cons oder Rollenspieler, die gerne mal „Cthulhu“ antesten möchten. Da die Spieler vorgefertigte Charaktere übernehmen müssen, die alle etwas „schräg“ sind, wäre es vorteilhaft, wenn die Spieler etwas Erfahrung mitbringen, da das Abenteuer auch durch die kleineren (oder größeren) Konflikte der einzelnen Charaktere untereinander lebt, die natürlich nur dann zum tragen kommen, wenn man den Charakter richtig ausspielt. Kurz ein echter rollenspielerischer Höhepunkt!

Wem ein One-Night-Stand zu wenig ist und wer Liebe braucht, um Flügel zu bekommen, der kann sogleich im „The Icarus Project“ zu den Sternen fliegen. Doch was ihn hier erwartet, hat mit Romantik wenig zu tun. Auf einer kalten, verlassenen (?) Raumstation in einer weit, weit entfernten Galaxis muss man dem Grauen der Sterne standhalten und sich einem gnadenlosen Gegner stellen. Das Überleben ist der einzige Lohn, der einem winkt...

Das vorliegende Abenteuer verknüpft – vereinfacht gesagt – den Cthulhumythos mit Elementen aus Aliens. Eine Mischung, die voll aufgeht, da die düstere Stimmung einer einsamen Raumstation hervorragend mit den Horrorelementen, die „Cthulhu“ auszeichnen, zusammenpasst. Kurz: ein ausgezeichnetes Abenteuer, das ich auch allen Science-Fiction-Rollenspielern ans Herz legen möchte. Das Abenteuer ist übrigens auch im Band „Aus Äonen“ enthalten.

Wer es „quick and dirty“ mag, für den ist „Super8“ genau das richtige. Hier werden die Charaktere mit den Abgründen unser heutigen Zeit konfrontiert. Ein Charakter erwacht völlig mitgenommen und ohne Gedächtnis an seinen letzten Tag zu Hause auf dem Sofa. Die einzige Spur ist ein Snuff-Video, auf dem zu sehen ist, wie eine hübsche nackte Frau ans Bett gefesselt von einem ekligen Fleischberg gefressen wir. Der Schock ist groß, als er erkennt, dass es keine gestellte Szene, sondern eine echte Aufnahme ist. Das Video lässt einige Rückschlüsse auf seine Herkunft schließen und wenn die Charakteren den Spuren folgen, verschlägt es sie in das Rotlichtmilieu, wo sie auf abscheuliche Kreaturen stoßen: Menschen!

Das Abenteuer bietet einige gute Schocker und hat mit dem Rotlichtmilieu ein interessantes Umfeld als Hauptschauplatz. Hier bestehen auch genügen Freiräume für den Spielleiter, um das Abenteuer mit eigenen Erfahrungen zu bereichern, die man sich gegebenenfalls vorher durch eine gründliche Recherche in praktischer Form, etwa dem Besuch der angesprochenen Etablissements, aneignen kann. Denn für ein „geiles“ Abenteuer sollte schließlich kein Preis zu hoch sein...

Für den genügsameren Leser gibt es dann noch einige kleinere Artikel, um zumindest die gröbsten Bedürfnisse zu befriedigen. Beispielsweise ein Schauplatzbeschreibung für „Cthulhu 1000 AD“ mit einer Szenarioidee, ein Artikel über Wahnsinn sowie ein Bericht über „The Flappers“, der neuen Frauengeneration der 1920er. Alle Artikel sind unterhaltsam zu lesen, gut recherchiert und bieten zumindest einige Anregungen für eigenen Ideen.

Fazit: Äußerlich kann man WoC2 nichts vorwerfen und auch das Innere ist Material vom Feinsten, denn mit den Abenteuern „The Singer from Dhol“ und „The Icarus Project“ beinhaltet die Zeitschrift gleich zwei Abenteuer, die meiner Meinung nach in keiner „Chtulhu“-Sammlung fehlen dürfen. Und auch der Rest ist gehobener Durchschnitt. Warum CoW2 bisher das Glück der Zweisamkeit verwehrt worden ist, lässt sich wohl nur damit erklären, dass die meisten Artikel und Abenteuer dem eifrigen „Cthulhu“-Leser bereits bekannt sein dürften. Somit kann ich WoC2 vor allem Leuten empfehlen, die ihr Englisch aufbessern wollen, die nicht CW lesen oder die zwar CW lesen, aber die vergriffene dritte Ausgabe nicht haben, wo „The Singer from Dhol“ beinhaltet war. Wem nur „The Icarus Projekt“ fehlt, der sollte lieber zu „Aus Äonen“ greifen, da dieser Band etwa gleich teuer wie WoC2 ist, dazu aber deutlich mehr Abenteuer enthält.


Worlds of Cthulhu 2
Internationales Magazin für H. P. Lovecrafts Cthulhu
Keith Herber u. a.
Pegasus 2005
ISBN: 3-937826-24-4
130 S., Softcover, englisch
Preis: EUR 17,95

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