Worlds

Die Entwicklungsgeschichte mancher Rollenspiele bietet den Stoff für eine Tragödie. Da wäre beispielsweise das „Star Trek“-RPG: FASA bemühte sich eine ganze Weile darum, unter Last Unicorn Games erblühte es vor allem inhaltlich regelrecht und mit Decipher hielt ein großartiges Layout seinen Einzug. Dennoch waren alle Bemühungen fruchtlos. Das Trek-Universum an sich mag Tausende von Fans haben, Rollenspieler waren es jedenfalls nicht. Nun versucht es Decipher ein zweites Mal – Vorhang auf für „Star Trek“ im e-book-Format.

von Bernd Perplies

Das erste Buch, das nur digital vorliegt, ist das Quellenbuch „Worlds“, auf das seinerzeit alle Fans gehofft hatten, das es aber leider nicht mehr in den Druck schaffte. In einer nahtlosen Fortsetzung des sehr schönen Designs der damaligen Hardcoverbände werden auf 194 Seiten 62 Welten des „Star Trek“-Universums im Rahmen eines kurzen Überblicks vorgestellt. Alphabetisch geordnet befinden sich darunter alle wichtigen Welten der TV-Serien und Filme, etwa Andoria, Bajor, Betazed, die Erde, Ferenginar, Qo’nos, Romulus und Remus sowie Vulcan. Neben den Heimatwelten wichtiger raumfahrender Rassen wurden natürlich auch Planeten bedacht, die auf die eine oder andere Weise zu Berühmtheit kamen, darunter der Freizeitplanet Risa, die Strafkolonie Rura Penthe oder die historisch bedeutsame Stätte Khitomer. Breen, Memory Alpha, Ocampa, Trill – es würde zu weit führen, jede Welt einzeln zu benennen, allgemein sei einfach festgehalten, dass de facto kein nennenswertes Reiseziel für eine klassische „Star Trek“-Kampagne vergessen wurde (sogar Talos IV und die Dyson Sphere kann man besuchen).

Die Einträge selbst variieren in der Länge, sind jedoch jeweils zwischen zwei und vier Seiten lang. Ihnen allen ist die gleiche Artikelstruktur gemein: Unter einem Bild der Weltkugel befindet sich ein kurzer Datenblock, der Name, Klasse, Monde, Schwerkraft, Klima, Bevölkerungszusammensetzung, zivilisatorische Einstufung und Ressourcen auflistet. Nach einem kurzen Einleitungstext, der auch den Einsatz der jeweiligen Welt in den unterschiedlichen Spiel-Ären abdeckt, folgen jeweils kurze Abschnitte zum Planetensystem, dem Klima, der Geographie, der Zivilisation, der Geschichte und abschließend einigen „Places of Interest“. Gerade die 2-Seiter bleiben dabei relativ kursorische Abhandlungen, die sich gut für eine Sternenflotten-Crew eignen, die eine Außenmission auf dem entsprechenden Planeten zu absolvieren hat, allerdings dem Spielleiter noch einige Feinarbeit auferlegen, wenn aus dem Besuch ein längerer Aufenthalt werden soll. Die 4-Seiter punkten im Vergleich dazu vor allem bei den Abschnitten „Civilisation“ und „History“ (klar, hierzu gibt es das meiste Kanon-Material). In allen anderen Bereichen bleiben auch sie zumeist zurückhaltend.

Ein großartiger Bonus ist die Weltkarte, die jedem Eintrag beigefügt ist und in einer hübschen, dicht beschrifteten Reliefgraphik der Planetenoberfläche ein Gefühl für die Geographie des Planeten vermittelt. Die Bebilderung darüber – und über die Weltkugeln – hinaus ist eher spärlich, aber wo einzelne Landschaftsaufnahmen ihren Weg in das „Worlds“-Sourcebook gefunden haben, zeichnen sie sich durch hübsche und abwechslungsreiche Motive aus.

Dem eigentlichen Planetenkatalog vorgesetzt ist ein 16-seitiges „World Creation System“, das – natürlich – dazu dient, eigene Welten mit einer gewissen wissenschaftlichen Plausibilität zu entwickeln. Es baut auf die Abschnitte zur Entwicklung von Sternsystemen und Planeten aus dem „Narrator’s Guide“ auf (den man zum Teil auch zur Hand nehmen muss) und erweitert die dortigen Mechanismen, die auf Klasse-M-Planeten spezialisiert waren, um zahlreiche Planetenklassen und astronomische Details. Man kann komplette Sonnensysteme inklusive aller Planeten entwickeln, ein langwieriger und nicht ganz unkomplizierter Prozess, der allerdings durch ein Ergebnis von unglaublicher Detailverliebtheit und scheinbar wissenschaftlicher Korrektheit gekrönt ist. Realistisch betrachtet werden sich Spielleiter selten die Mühe machen, in stundenlanger Kleinarbeit die Himmelsgeometrie und die Ökosysteme eines ganzen Sternsystems auszuwürfeln und auszurechnen, aber wenn doch, wird der Wissenschaftsoffizier der Spielrunde daran seine helle Freude haben!

Was mir im Rahmen des Vorfelds zum Planetenkatalog ein wenig fehlt, ist der große Blick auf die „Star Trek“-Galaxis. Gerade für Spielrunden wäre beispielsweise eine Karte der vier Quadranten mit der Lage der jeweiligen Planeten sehr interessant gewesen oder alternativ eine Tabelle mit Reisezeiten zwischen den Planeten. Überhaupt wäre ein zusätzliches Kapitel zu interstellaren Reisen an Bord von Non-Sternenflotten-Schiffen, den Möglichkeiten, den Kosten, und den Risiken interessant gewesen.

Ganz abgesehen vom Inhaltlichen liegt eine gewisse Ironie darin, dass das Buch, obwohl von Decipher explizit als e-Book herausgebracht, doch als „Printausgabe“ konzipiert scheint. So berücksichtig etwa die Seitenzählung nicht die „Umschlagseiten“, was zur Folge hat, dass alle Seitenzahlen im Inhaltsverzeichnis jeweils zwei Seiten hinter den Seitenzahlen des tatsächlichen pdf-Dokuments hinterherhinken. Will man also beispielsweise zum Eintrag „Dyson Sphere“ (S. 73), muss man in der Navigationsregisterkarte „Seiten“ des Adobe-Readers – einem unerlässlichen Navigationsinstrument bei ausufernden, digitalen Texten, nicht auf Blatt 73 klicken, sondern auf Blatt 75. Wenn man dies weiß (und die Angaben im Inhaltsverzeichnis nicht fehlerhaft sind: Risa etwa ist auf S. 154, nicht S. 135), ist das nicht so schlimm, doch im Prinzip hätte die Navigation eleganter ausfallen können.

Hinzu kommt, dass leider überhaupt keine Hyperverlinkung vorgenommen wurde. Gerade in einem pdf-Dokument wäre es ein Leichtes, etwa das Inhaltsverzeichnis direkt mit den Artikelseiten zu verknüpfen. Natürlich leidet darunter das Layout ein wenig und dieses wollte Decipher in lupenreiner Buchqualität belassen. So liegt letzten Ende mit dem Quellenbuch „Worlds“ kein echtes e-Book vor, sondern ein druckfertiger Hardcoverband, für den der Verlag nur nicht die nötige finanzielle Unterstützung durch die Spielerschaft hat, ihn tatsächlich auf den Markt zu bringen. Irgendwie schade. Das Buch hätte es wirklich verdient.

Fazit: Auch wenn ich lügen müsste, wenn ich sagte, ich hätte das Buch nicht lieber im Hardcover gesehen, muss ich gestehen, dass das „Worlds“-Sourcebook handwerklich sehr gut geworden ist. Den Schritt ins digitale Format scheint Decipher in keinster Weise zum Anlass genommen zu haben, inhaltlich und optisch irgendwelche Abstriche hinsichtlich der Qualität ihrer Produkte zu machen (ok, ein paar Fehler sind dem Lektor durch die Lappen gegangen). Aufgrund der mannigfaltigen Informationen hat man sogar das Gefühl, Paramount hat die strengen Auflagen in Bezug auf selbst entwickelte Zusatzinformationen, unter dem das Rollenspiel anfangs zu leiden schien, wieder etwas gelockert, was dem Inhalt des Buches sichtbar zugute kommt. Alles in allem ein tolles Quellenbuch, das sich dank des Datenbank-ähnlichen Aufbaus auch gar nicht so übel am Computer einsetzen lässt.

Worlds
Quellenbuch
Eric Burns, Kenneth A. Hite, Doug Sun
Decipher 2005
ISBN: 158-236-909-7
194 S., pdf-Datei, englisch
Preis: $ 24.49