Von eigenen Gnaden

Nach dem „Jahr des Feuers“ ist das Mittelreich hart getroffen und zum Teil zersplittert. Speziell im Osten hat sich in einem Teil von Darpatien eine Gegend gebildet, die man unter dem Namen „Wildermark“ kennt und in dem Kriegsfürsten ihr Unwesen treiben und ganz eigene Ziele verfolgen. Auch die Helden schlägt es hierher, und plötzlich werden sie selbst zu Kriegsfürsten und müssen sich beweisen...

von Ansgar Imme

 

Nachdem vor einigen Jahren Anton Weste mit „Die Herren von Chorhop“ ein etwas anderes Abenteuer oder besser gesagt eine Kleinkampagne für „Das Schwarze Auge“ lieferte, welche bei den Spielern sehr gut ankam, hat nun Uli Lindner mit „Von eigenen Gnaden“ einen weiteren Versuch gewagt. Seine Geschichte spielt in der so genannten „Wildermark“, die für Spielerhelden alle Möglichkeiten bietet aktiv zu sein und einiges – zumindest eine Zeit lang – zu verändern, ohne die offizielle aventurische Geschichte zu gefährden.

Handlungsüberblick


„Von eigenen Gnaden“ stellt weder ein einzelnes Abenteuer, noch eine genau durchstrukturierte Kampagne dar, sondern bildet eher eine Art Handlungsspielraum (der Autor nennt es „freien Spielhintergrund“) für die Spieler, in dem Spieler und Spielleiter große Freiheiten in der Gestaltung haben und nur wenige einzelne Fixpunkte gegeben sind. Der Autor liefert dazu etliches an Personen, Orten und kleinere Szenarien, die der Spielleiter für die Gruppe recht flexibel nutzen kann. Die Spielzeit in Aventurien beträgt etwa ein bis drei Jahre und spielt sich vor allem in der Kleinstadt Zweimühlen und der nahe liegenden Umgegend ab.

Im ersten Abschnitt reisen die Helden in die „Wildermark“, um eine kleine Pilgergruppe zu beschützen. Als sie sich schon auf dem Rückweg weilen, müssen sie einer Bauersfamilie zu Hilfe eilen, deren Söhne entführt wurden. Sie gelangen schließlich nach Zweimühlen, wo sich herausstellt, dass der momentane Herrscher der Stadt angeblich etliche Bürger hat entführen lassen. Die Helden stürzen den Kriegsfürsten und werden selber zu neuen Herrschern der Stadt.

Im zweiten Abschnitt geht es vor allem um die vielfältigen Aufgaben und Konflikte, die die Helden als Kriegsfürsten treffen können. Hier werden viele Ideen zu Kleinabenteuern und Szenarien gegeben, Anregungen zum Spiel in und mit der Stadt gemacht, die sich von Steuern, über den Wiederaufbau der Stadt selbst und der Stadtwache, die Wahrung der neuen Ordnung bis zu Bestechungsversuchen, eigenen Kriegszügen und Rechtssprechung erstrecken. Diese alltäglichen Aufgaben werden in späteren Zwischenspielen/Abschnitten ergänzt beziehungsweise führen die Handlungen der Helden nach außen in andere Gebiete fort und ermöglichen eine wirkliche Weiterentwicklung der Stadt, was Leben bringt und nicht für Stillstand sorgt. Hier können die Helden und deren Spieler erkennen, dass ihre Handlungen auch zu Ergebnissen oder sogar Gegenhandlungen führen.

Dazu enthält der Band auch vier weitere Kurzabenteuer, die für unterschiedliche Phasen der Kampagne stehen und sich mit verschiedenen Bedrohungen beschäftigen. In zwei Geschichten versucht der schreckliche Finstermann, den Helden und den Bürger zu schaden. Entweder wird die Stadt zerstört, oder die Helden vernichten ihn. Ein weiteres Abenteuer führt die Helden in den Kampf zwischen göttliche und dämonische Mächte, und nur wenn eine erzdämonische Macht gebannt wird, ist auch die Mark wieder sicherer. Schlussendlich gilt es, sich zudem mit einer ganz weltlichen Bedrohung zu schlagen, als die Helden Opfer einer Intrige werden und für die Reinwaschung ihres Namens sorgen müssen, was schließlich die Kontakte zur kaiserlichen Armee vertiefen und den Grundstein für die Befriedigung der Mark legen wird.

Insgesamt wird dem Spielleiter eine riesige Menge an Spielmaterial geboten, mit dem die Spieler und er sicherlich lange Zeit zu tun haben werden. Aber es erfordert auch eine Menge an eigener Arbeit, denn viele Punkte sind nur angerissen und bieten Anknüpfungspunkte, die der Spielleiter selbst ausarbeiten muss, wie es ein Kampagnenhintergrund verlangt. Damit ist der Band natürlich vor allem für etwas erfahrene Spielleiter geeignet, die auch vor allem Ideen und Anregungen bekommen wollen, aber selbst gerne ihre eigenen Geschichten weiterweben.

Doch selbst als erfahrener Spielleiter wünscht man sich an einigen Stellen, dass manche Hinweise und Vorschläge zumindest etwas genauer ausgeführt worden wären. Sicherlich hätte das Material locker für zwei Bände gereicht. Natürlich sind auch dem Verlag irgendwo bei einem solchen Experiment Grenzen gesetzt, und Uli Lindner hat diesen Drahtseilakt zwischen Genauigkeit und vielen Spielideen in diesem Rahmen sehr gut gemeistert. Neben den Hauptabenteuern, die eine gewisse Rahmenhandlung bilden, werden immer wieder einzelne kleine Hinweise und Vorschläge eingestreut, die sich schnell in Kurzabenteuer umarbeiten lassen. Damit wird schnell eine lebende Handlung und Umgebung erzeugt, die den Spielern auch zeigt, dass die Spielwelt weiterlebt.

Zu erwähnen ist noch, dass die Spieler hier oft nicht als klassisch strahlende Helden dastehen werden, sondern mehrmals in der Grauzone schwimmen werden und vielleicht sogar auch einmal über die normalen Grenzen hinweg handeln müssen. Die Geschichte bewegt sich eben eher in einem düsteren Hintergrund. Hier haben die Spieler die Möglichkeit, zu beeinflussen, wie sie als Kriegsfürsten herrschen wollen. Und dem Spielleiter werden aber auch genügend Hinweise an die Hand gegeben, wie dann die anderen Personen – ob Bürger, Bauern oder Adlige – auf die Helden reagieren werden.

Aufmachung & Layout

Der Aufbau des Bandes ist im typischen „DSA“-Stil gehalten, wobei natürlich sehr viele Informationen für den Spielleiter enthalten sind und die Vorlesetexte etwas kürzer kommen (was dem Rezensenten gut gefällt). Bedingt durch den freien Spielhintergrund ist der Band aber insgesamt eher als eine Art Baukasten zu sehen, was Spielleitern, die mehr auf durchstrukturierte Abenteuer stehen, weniger gefallen wird. Der Autor bietet aber auch hier die Möglichkeit beziehungsweise Hilfe, auf die eigene Ausarbeitung weitestgehend zu verzichten und nur die Hauptabenteuer zu spielen. Sogar die Umarbeitung in einzelne Abenteuer ohne die Kampagnen-Rahmenhandlung wird erläutert.

Bedingt durch die große Textmenge (dazu auch noch in kleiner Schrift) sind die Illustrationen eher spärlich zu finden, dafür ist die Masse an Spielmaterial riesig. Pläne zu den meisten wichtigen Gebäuden beziehungsweise Orten sind im Text und zusätzlich auch noch einmal im Anhang enthalten, wobei man sich teilweise fragt, wonach die Pläne ausgewählt worden, denn für manch andere Örtlichkeit, die einem wichtiger erscheint, vermisst man einen Plan. Zudem hätten zumindest die Stadtpläne etwas größer und deutlicher gezeichnet werden können, wenn nicht sogar müssen. Auf jeden Fall hätte Zweimühlen als Hauptspielort und Ausgangsort aller Unternehmungen der Helden eine bessere, deutlichere und größere Karte verdient gehabt. Hier hätte man auch einige weitere wichtige exemplarische Gebäude als Skizzen oder Zeichnungen dazugeben können.

Ansonsten ist der Anhang sehr ausführlich mit einer Beschreibung der Stadt, vielen Informationen zu den wichtigsten Personen, Gerüchten und Legenden und natürlich Kopiervorlagen zu den Karten.

Fazit: An manchen Stellen mag diese Rezension arg kritisch klingen, aber „Von eigenen Gnaden“ ist ein toller Band, vor allem für erfahrene Spielleiter, der viele Ideen liefert und einer Gruppe viele vergnügliche Spielabende liefern wird. Im Gegensatz zu klassischen Abenteuern gibt es kein genau vordefiniertes Ende und keine Zwischenstationen. Stattdessen die Helden und Spieler haben die Möglichkeit, ihren eigenen Aufstieg nach und nach mitzuerleben und zu Kriegsfürsten zu werden. Wer als Spielleiter bereit ist, etwas Eigenarbeit hereinzustecken, wird mit einer tollen Kampagne und vielen spannenden Spielabenden belohnt werden!


Von eigenen Gnaden (DSA-Abenteuer Nr. 159)
Abenteuerband
Uli Lindner
Ulisses Spiele 2008
ISBN: 3940424188
110 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 18,00

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