Tödliche Gezeiten

Piraten sind in unseren Tagen wieder salonfähig. War das Genre zu Beginn unseres Jahrtausends noch totgesagt, so ist ihm dank Captain Jack Sparrows Auftritt in „Fluch der Karibik“ endlich wieder Leben eingehaucht worden. Kein Wunder also, dass auch Fantasy-Rollenspiele wie „Pathfinder“ ihren Spielern den Zugang in die Welt der Piraten ermöglichen möchten. Wie gelungen ist „Tödliche Gezeiten“?

von André Frenzer

 

„Tödliche Gezeiten“ ist nicht der erste Versuch, die Welt der Piraten für „Pathfinder“ zu erschließen. Der „Almanach des Fesselarchipels“, das Handbuch „Die Piraten der inneren See“ und nicht zuletzt der komplette Abenteuerpfad „Unter Piraten“ haben die rauen Gesellen der Meere zum Thema. „Tödliche Gezeiten“ wird sogar als Alternative zu dem zweiten Band des letztgenannten Abenteuerpfades angepriesen und kann anstelle des Bandes „Freibeuters Los“ eingesetzt werden – doch selbstverständlich auch als eigenständiges Modul gespielt werden. Zunächst sei mir – wie so oft an dieser Stelle – die obligatorische Spoilerwarnung erlaubt: Eine Rezension von Abenteuerszenarien vermag kaum komplett ohne Hinweise auf die Handlung auszukommen. Lesern, welche die Abenteuer noch als Spieler erleben möchten, sei angeraten, bis zum Fazit vorzuspringen.

Worum geht es nun in „Tödliche Gezeiten“? Der Band enthält drei komplette Szenarien, die sich als Einzelabenteuer spielen lassen können, zusammen jedoch eine kleine Kampagne um einen alten Piratenschatz und die abenteuerliche Suche nach selbigem bilden. Alles beginnt recht beschaulich während eines Festes. Die Charaktere erhalten Gelegenheit, von der Piratin Varossa Lanteri angeheuert zu werden, um ihre deutlich dezimierte Mannschaft aufzufüllen. Ein paar kleinere Aufträge später enthüllt die Kapitänin den Charakteren dann, dass sie sich auf einer Schatzsuche befindet. Drei Schlüsselteile müssen gefunden werden und so startet die Gruppe in eine abenteuerliche Schnitzeljagd, die sie quer durch den Fesselarchipel führen wird.

Das erste Abenteuer, „Rumpunsch“, ist allerdings ein sehr gemächlicher Auftakt. Zwar stimmen Flair und piratentaugliches Lokalkolorit der vorgestellten Örtlichkeiten, doch die Handlung nimmt hier nur sehr langsam Fahrt auf und kommt auch eher bieder daher. Anders wird es im zweiten Teil der Kampagne, „Gefährliches Wasser“. Hier werden die wilden Inseln des Fesselarchipels zum Leben erweckt, geht es doch nun darum, die Einzelteile des Schlüssels zu finden. Toll beschriebene, inspirierende und kreative Orte, die raubeinige Mannschaft auf hoher See, viele interessante Nichtspielercharaktere, eine denkwürdige Begegnung mit einem Drachen und ein kleiner, aber zünftiger Dungeoncrawl zum Finale sorgen an dieser Stelle für eine gute Zwischennote. Im letzten Teil, „Schwarzkorallenbucht“, haben die Charaktere nun die Möglichkeit, den sagenumwobenen Schatz zu bergen. Doch welches Spiel spielt Kapitänin Lanteri wirklich mit ihnen? Und ist die Insel, auf welcher der Schatz liegt, wirklich so verlassen? Zwei kurze Anhänge – eine Beschreibung des Piratenschiffs nebst Mannschaft, mit dem die Charaktere reisen, sowie ein kurzes Bestiarium runden den Band ab. Darüber hinaus liegt ihm auch noch eine großformatige und detailfreudige Karte des Fesselarchipels bei.

„Tödliche Gezeiten“ hat seine Schwächen, gerade was den sehr gemütlichen Einstieg angeht. Auch das große Finale kommt über einen mäßigen Dungeoncrawl kaum hinaus, der wenig Innovatives anzubieten hat. Auch die Aufarbeitung für den Spielleiter ist streckenweise eher dürftig, liegt doch die Interaktion mit der Mannschaft nahezu komplett in seiner Hand und es bleibt an ihm, die Reiseetappen spannend zu gestalten. Das vorweg genommen, muss ich aber sagen, dass mir die kurze Kampagne gut gefallen hat: Sie erzählt eine geradezu klassische Piratengeschichte, versammelt viele spannende und innovative Örtlichkeiten, bringt haufenweise interessante Nichtspielercharaktere in die Geschichte ein und sorgt dank einigen optionalen Begegnungen auch dafür, von jedem Spielleiter verwendet werden zu können, der eine Piratengeschichte erzählen will. „Tödliche Gezeiten“ taugt damit nicht nur als Kampagne, sondern auch als Ideensteinbruch. Vorraussetzung ist natürlich, dass man an dem Piratenthema interessiert ist.

Die optische Aufmachung reiht sich nahtlos in andere Veröffentlichungen für „Pathfinder“ ein – die Bebilderung ist reichhaltig und gut gelungen. Insbesondere die Karten der verschiedenen Orte sind gut gelungen. Leider kann man gleiches nicht von der Qualität des Lektorats sagen – die schiere Häufigkeit, in der dem Leser Rechtschreibfehler begegnen und in der Eigennamen unterschiedlich übersetzt wurden, ist schon ärgerlich.

Fazit: Wer plant, seine Gruppe einmal als Piraten eine frische Meeresbrise schnuppern zu lassen, kann hier sicherlich mehr als einen Blick riskieren. Kreativ und spannend sind viele der vorgestellten Örtlichkeiten und Encounter allemal. Wer dem Piratenthema allerdings nichts abgewinnen kann, der wird natürlich auch hier nicht glücklich.


Tödliche Gezeiten
Abenteuerband
Alex Greenshields, Matthew Goodall, Steven T. Helt, Ben McFarland
Ulisses Spiele 2015
ISBN: 978-3957520647
64 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 24,95

bei amazon.de bestellen