Tide of Iron

Repräsentativ für das gesamte Genre der squad-basierten WWII-Cosims stand bisher „Advanced Squad Leader“. Von Fantasy Flight Games kommt jetzt „Tide of Iron“, das versucht, den Spitzenreiter vom Thron zu stoßen.

von Kai Milke

 

Ich gestehe zweierlei: 1. Ich bin ein Fan von WWII-Taktikschlachten! 2. Ich bin an der Komplexität von „Advanced Squad Leader“ gescheitert. Bisher kam ich auch in mehreren Anläufen nicht über das „Starter Kit 2“ hinaus, weil mir die Zeit fehlt, mich in die Regeln hineinzufuchsen und diese dann durch häufiges Spielen auch anwenden zu können. Auch sind die mickrigen Spielpläne mit den winzigen Countern zu klein für meine Finger.

Da kam die FFG-typische, voluminöse und gefühlte Megatonnen-schwere Schachtel von „Tide of Iron“ auf unserem Spieletisch gerade recht. Schon beim Auspacken schlägt das Spielerherz höher, wenn die kleinen Miniaturen zum Vorschein kommen, die für jede der beiden Kriegsparteien – Amerikaner und Deutsche – unterschiedlich sind. Auch die Spielplanteile sind ausreichend groß dimensioniert und aus solch solider Pappe, dass sie unseren Krieg überdauern wird.

Die Regel ist zwar mit 48 Seiten nicht gerade kurz, aber FFG-typisch eher ausufernd geschrieben und mit vielen Beispielen illustriert. Nach einer Stunde (ohne Vorkenntnisse) haben wird das Spiel einigermaßen verstanden und wagen uns an das erste Szenario. Der variable Spielplan aus neun (von 12 doppelseitigen) Spielplanelementen ist schnell montiert und mit Panzersperren, Stacheldrahthindernissen, einer zusätzlichen Strasse und kleinen Sandsack-Befestigungen versehen.

Unsere Infanterie-Einheiten stellen wir selbst zusammen, indem wir bis zu vier Figuren auf den kleinen Bodenplatten befestigen. So können wir MGs, Offiziere, Infanterie, Elite-Infanterie und Mörser kombinieren. Die Bodenplatten selbst gibt es pro Seite in zwei Farbschattierungen, sodass bis zu vier Spieler in zwei Teams ins Geschehen eingreifen können. Reine Infanterie-Einheiten können wir – je nach Szenario – mit Spezialeigenschaften versehen, etwa Sanitäter, Flammenwerfer, Pionier oder Panzerabwehr.

Nachdem wir unsere Einheiten aufgebaut haben, geht’s ins Gefecht. Das Spiel gliedert sich in eine Aktions-, eine Kommando- und eine Status-Phase. In der Aktionsphase beginnt der Spieler mit der höchsten Initiative und führt eine vom Szenario vorgegebene Anzahl an Aktionen aus, bevor der nächste Spieler an der Reihe ist. Das geht so lange, bis alle Einheiten benutzt wurden oder alle Spieler passen.

Die Aktionsphase unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen Spielen dieser Art: Wir dürfen uns bewegen, wobei bestimmtes Terrain uns mehr Bewegungspunkte abverlangt als anderes. Die Gegenspieler dürfen dabei – sofern sie Einheiten in den „Prep Fire“-Modus versetzt hatten – auf sich bewegende Einheiten feuern. Der Zugspieler darf natürlich auch schießen, sich bewegen und schießen (zu reduzierter Feuerkraft) oder in den Nahkampf gehen. Die Kämpfe selbst finden genretypisch mit Würfeln statt. Je nach Feuerkraft würfelt der Angreifer mit einer bestimmten Anzahl Würfel, während sich der Verteidiger je nach Schutz des Geländes oder Panzerung mit einer bestimmten Anzahl Würfeln verteidigen darf. Je nach Entfernung trifft eine „6“ (weite Entfernung), eine „5“ und „6“ (normale Entfernung) oder 4-5 (direkt angrenzend). Der Verteidiger wehrt mit „5“ und „6“ ab.

In der Kommandophase bekommen die Spieler für das Halten bestimmter Punkte auf der Karte „Kommandopunkte“, die sie in ihren Initiativwert (für das Startspielerprivileg) oder in Strategiekarten investieren können. Diese Strategiekarten helfen mit Spezialattacken (z. B. Scharfschütze), zusätzlichen Zügen, besonderen Verteidigungsboni oder liefern Verstärkungen.

Die Statusphase braucht hier nicht erklärt zu werden: Es werden nur Marker entfernt, Strategiekarten nachgezogen oder Einheiten in den „Prep Fire“-Modus versetzt.

Ein Szenario dauert 6-10 Runden, was durchaus abendfüllend sein kann. Je nach Szenario gewinnt der Spieler, der innerhalb der vorgegebenen Runden ein bestimmtes Ziel erreicht hat (meist: bestimmte Felder besetzt hält).

Einziges Manko ist der hohe, aber dem Inhalt angemessene Preis von ca. 80 Euro. Einige Angebote erreichen allerdings schon Preise unter 60 Euro. Wer aber beispielsweise in das „Advanced Squad Leader“-System einsteigt, kommt auch nicht unbedingt billiger weg.

Regelunklarheiten sind weitgehend mit den FAQ auf der FFG-Homepage erläutert, nur im „At The Breaking Point“-Szenario war uns unklar, ob die Zielfelder der Deutschen Ebene oder Wald sind, denn die Abbildung ist Ebene, der Spielplan 8B selbst zeigt Wald und die rote Markierung für Änderungen am Spielplan fehlt. Auch die Erläuterungen zum „Rauch“ auf einer „Operations“-Karte ließ viel Interpretationsspielraum.

Fazit: Der Genrekönig ist tot, lang lebe der neue König! FFG hat das Genre auf die wesentlichen Bestandteile reduziert, damit die Komplexität gesenkt und die Einstiegshürde erträglich gemacht, auch wenn Experten vielleicht die niedrigere Komplexität bemängeln könnten. Das Material ist – abgesehen von der manchmal fummligen Montage der Infanterie – hochwertig und trägt zur fantastischen Atmosphäre bei. Besonders gefällt mir die Möglichkeit, nicht mehr nur mit zwei, sondern jetzt auch ohne Streit um die Verteilung der Einheiten oder die Zugreihenfolge mit bis zu vier Spielern in die Schlacht zu ziehen. Wer nach den beiliegenden sechs Szenarien nach neuen Herausforderungen sucht, wird auf der Homepage von Fantasy Flight Games mit neuen Szenarios von FFG und Fans fündig. Wer jetzt noch entgegnet, dass das Spiel nur in Englisch vorliegt, dem sei gesagt, dass das Spiel Ende 2008 komplett in Deutsch beim Heidelberger Spieleverlag erhältlich sein wird.


Tide of Iron
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler
Design: John Goodenough, Christian T. Petersen, Corey Koniczka
Fantasy Flight Games 2007
ISBN: 1589943317
Sprache: Englisch
Preis: $ 79,95

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