The Red Star 2: Nokgorka

Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern, dass mir die Leute von Cross Cult nach meiner Besprechung des ersten Bands des Comic-Epos „The Red Star“ eine Mail schrieben, in der sie sinngemäß meinten, die Rezension wäre beinahe zu gut, um wahr zu sein. Ich will mich also um der lieben Objektivität willen in Falle der Fortsetzung etwas zurücknehmen: Bombastisch! Großartig! Der beste Comic seit Band 1 – und sogar noch besser als dieser! (Mist. Wieder ins Schwärmen verfallen.)

von Bernd Perplies

 

Aber mal ernsthaft: Es ist tatsächlich wahr. „The Red Star“ gehört für Fans von Science-Fictions-Comics zum Nonplusultra in Sachen Bildergeschichten. Und der Fortsetzungsband „Nokgorka“ gefällt mir in der Tat noch ein wenig besser als sein Vorgänger, denn wo dort gegen Ende das Mythische in den Vordergrund trat, das nur noch erlebt, aber nicht mehr wirklich verstanden werden konnte – weil es zu diesem Zeitpunkt unerklärt blieb –, wird hier eine zwar kunstvoll verschachtelte, aber im Kern doch gradlinige Geschichte erzählt, die am Ende mit einer überraschenden Wendung und einer ganzen Reihe dankenswerter Erklärungen aufwarten kann.

In „Nokgorka“ erzählen Autor Chris Gossett und sein Team höchst talentierter 2- und 3D-Zeichner von der jungen Marika, einer Einheimischen der eisigen Provinz Nokgorka, die in der Hauptstadt Bahamut lebt und sich im Bürgerkrieg gegen die Truppen der Vereinigten Republiken des Roten Sterns behaupten muss. Eines Tages erhält sie von ihrem Vater, der im Kampf tödlich verwundet wurde, den Auftrag, einer gewissen Maya Antares, einer Zauberin des Feindes, einen Brief zu überbringen, der für ihrer aller Zukunft von höchster Bedeutung ist.

Dabei gilt es für Marika zunächst, binnen einer Stunde ihren Vater zu erreichen. Und so sprintet sie – eindeutig inspiriert von dem Tom-Tykwer-Film „Lola rennt“ durch die Ruinen ihrer Heimatstadt, weicht feindlichen Bodentruppen aus, tritt wie David gegen Goliath gegen einen gewaltigen Kampfpanzer der V.R.R.S. an und erreicht schließlich kurz vor Ablauf des Ultimatums den Vater, um ihren schicksalhaften Auftrag von ihm entgegenzunehmen. Dann eilt sie einmal mehr los, in die Finsternis des unerbittlichen Häuserkampfs hinein, um eine Frau zu finden, die sie nicht kennt.

Auch die Protagonisten aus Band 1 befinden sich in Nokgorka: die Zauber Maya Antares, die Panzerfahrerin Alex Goncharova und Mayas Schwager Urik Antares, der Kommandeur des Wolkenbrüters RSS Konstatinov. Sie führen einen Krieg, den sie nicht führen wollen – und es wird noch viel schrecklicher für sie, als sie sehen, dass es Kinder sind, gegen die sie ihre Vernichtungswaffen einsetzen. Als ihre Freundin Alex in den gefrorenen Straßen der zerbombten Stadt erschossen wird, reist Maya zur Oberfläche, um ihr die letzte Ehre zu erweisen – und hat dabei eine Begegnung, die ihr Leben – und auch das von Urik und seiner Besatzung – für immer verändern wird.

Ich schrieb es schon zu Beginn und kann es nur wiederholen: „The Red Star: Nokgorka“ ist ein wahres Fest für Science-Fictions-Comic-Fans. Das beginnt bei dem stimmungsvollen Techno-Sowjet-Design, das auf viel massiven Stahl und rechtschaffenen Gigantomanismus setzt, setzt sich bei den Figuren fort, die zwar – bis auf Marika – äußerlich hart und spröde wie die russische Tundra wirken, aber in Rückblenden und inneren Monologen eine komplexe Gefühlswelt aufzeigen und so zu plastischen Charakteren werden und gipfelt in einer Handlung, die düster Endzeit mit einem mythischen Aufbruch verbindet. Apropos Gipfel: Der Gipfel an Härte ist übrigens der Neuzugang im Ensemble, Gardist Kyuzo, ein Hüne von einem Mann mit einer Rüstung, die direkt aus „Warhammer 40.000“ stammen könnte. Er fungiert zunächst als Beschützer Mayas und entwickelt später eine interessante Beziehung zur eigenwilligen Marika.

Optisch herrschen diesmal kühle Weiß-Grau-Töne vor, passend zur verschneiten Ruinenlandschaft Nokgorkas und nur gelegentlich vom rotflammenden Inferno der Wolkenbrüter oder anderer Waffensysteme der V.R.R.S. erhellt. Chris Gossetts Zeichenteam gelingt es dabei erneut, auf faszinierende Art und Weise unterschiedlichste Stile zu verbinden. Traditionell gezeichnete Protagonisten treffen hier auf gerenderte Kampfmaschinen, Stadtlandschaften, die beinahe an eine Collage erinnern, sowie Farbverläufe, Unschärfefilter und Lichteffekte, die auf eine veritable Beherrschung von Photoshop oder ähnlichen Grafikprogrammen hindeuten.

Dabei sprengen die Bilder einmal mehr jede traditionelle Panel-Struktur. Im Hoch- und Querformat, in eindrucksvollen Großaufnahmen, raschen Szenenabfolgen und assoziativen Bildcollagen wird regelrecht filmisch die Aufmerksamkeit des Lesers gelenkt und der Rhythmus der Handlung gesteuert. „Form follows function“, möchte man sagen. Gerade hierin hebt sich „The Red Star“ deutlich von der Durchschnittskost auf dem Comic-Markt ab.

Das Bonusmaterial des edlen, großformatigen Hardcover-Bandes besteht diesmal „nur“ aus einem kurzen Lexikon und einer Skizzengalerie, die anschaulich verdeutlicht, auf wie viele unterschiedlichen Art und Weisen die Bilder des Comics entstanden sind. Aber das soll kein wirklicher Kritikpunkt sein.

Fazit: Ein lesenswerter Comic. (War das zurückhaltend genug? ;-) )


The Red Star 2: Nokgorka
Comic
Christian Gossett, Bradley Kayl, A. D. Coulter, Snakebite
Cross Cult 2007
ISBN: 978-3-936480-50-4
216 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 26,00

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