Stay Away!

Wichtiger Überlebenshinweis: Wenn plötzlich eine mysteriöse Insel irgendwo im Meer aufgetaucht und der Kontakt zu dem Forschungsteam, das diese Insel untersuchen wollte, abgebrochen ist, wobei der Expeditionsleiter kurz zuvor noch mit vor Angst bebender Stimme per Funk durchgegeben hat, man habe ein schreckliches Monster vom Meeresgrund erweckt, dann betritt man diese Insel lieber nicht mehr.

von Bastian Ludwig

 

Der Kontakt zu einem Expeditionsteam, dessen Auftrag darin bestand, die mysteriöse, scheinbar aus dem Nichts aufgetauchte Insel R’lyeh zu erforschen, ist abgebrochen. In seinem letzten Funkspruch berichtete der Expeditionsleiter von einem alten und mächtigen, auf dem Meeresgrund lebenden Grauen, das man angeblich erweckt habe. Die Spieler übernehmen die Rollen eines zweiten Teams, das losgeschickt wird, um in Erfahrung zu bringen, was genau geschehen ist. Auf der Insel angekommen, müssen sie sich vor einem Sturm in das Basislager der ersten Expedition retten. Deren Mitglieder sind allesamt tot. Schnell muss der Trupp erkennen, dass sich das Monster, von dem der Expeditionsleiter gesprochen hat, noch immer im Lager befindet.

„Stay Away!“ ist ein kooperatives und kompetitives Kartenspiel, das sich an Lovecrafts Cthulhu-Mythos anlehnt, ohne eine offiziell lizenzierte Adaption zu sein. Ein Spieler übernimmt die Rolle des als „Das Ding“ bezeichneten Monsters, das sich als Mensch tarnt, sodass niemand seine wahre Identität kennt. Die restlichen Spieler sind zunächst „Menschen“. Das Ziel der Menschen besteht darin, das Ding zu finden und zu töten. Das Ding will seinerseits alle Menschen töten oder sie zu „Infizierten“, also zu seinen willenlosen Gehilfen, machen, die dann wiederum für das Ding kämpfen. Mit dieser Konstellation erinnert „Stay Away!“ ein wenig an das Westernspiel „Bang!“ mit seinem Sheriff, dessen Deputies und den gegnerischen Outlaws; nicht der letzte Vergleich zu anderen Spielen, den ich in dieser Besprechung ziehen werde.

Jeder Spieler besitzt vier Handkarten. Es gibt einen Nachzieh- und einen Ablagestapel. Zwei Arten von Karten sind in Ersterem durcheinandergemischt: „Stay Away!“ und „Panic!“. Der Effekt von „Panic!“-Karten setzt immer sofort ein, wenn sie gezogen werden. Diese Karten lösen oft größere Ereignisse aus, die mehrere Spieler betreffen und den Spielverlauf massiv beeinflussen können. Die eigentlichen Spielkarten sind die „Stay Away!“-Karten, die verschiedene Effekte haben. Mit ihnen kann man sich die Karten anderer Spieler angucken, mit Mitspielern Plätze tauschen, seine Kartenhand verändern, die Interaktion mit anderen Spielern verweigern und vieles mehr. Besonders wichtig sind die „Flammenwerfer“, die einzigen Karten im Spiel, mit denen man andere Spieler, egal ob Menschen, Infizierte oder das Ding selbst, töten kann.

Neben den harten Regeln hat das Spiel auch eine soziale Komponente, da die Spieler darüber diskutieren können, wer das Ding, ein Infizierter oder ein Mensch sein könnte, wen man als nächstes töten möchte, wie man Spielzüge koordiniert und ähnliches. Dies können das Ding und seine Infizierten natürlich nutzen, um von sich abzulenken, Verwirrung zu stiften und den Verdacht auf unbescholtene Menschen zu lenken. Damit entpuppt sich „Die Werwölfe von Düsterwald“ als zweite Vorlage von „Stay Away!“.

Das Spiel beginnt mit dem recht unkonkreten Ziel, möglichst viele Informationen zu sammeln. Niemand – außer dem Ding – weiß irgendetwas, also guckt man sich beispielsweise die Karten von Mitspielern an, offenbart – sofern es eine „Stay Away!“-Karte erlaubt – die eigene Hand, um zu beweisen, dass man nicht das Ding ist, oder versucht, bessere Handkarten zu ziehen. Parallel arbeitet das Ding natürlich daran, seinen Stab an Infizierten zu vergrößern. Dem sieht man sich als Mensch erst einmal etwas hilflos gegenüber. Das Ding infiziert andere, indem es ihnen beim regelmäßig stattfindenden Kartentauschen „Infiziert“-Karten zuschiebt. Durch „Stay Away!“-Karten kann man diese Tausche zwar verhindern, allerdings müsste man das in der ersten halben Stunde des Spiels mangels Informationen mit jeder angebotenen Karte machen, was unmöglich ist. Also harrt man der Dinge, die da kommen. Gegen die noch getarnten Infizierten vorgehen kann man auch nicht, weil die Gefahr viel zu groß ist, dass man mit dem Flammenwerfer einen Menschen tötet. Und die ersten Infizierten können ebenfalls noch nicht viel bewegen. Für sie ist der Einsatz des Flammenwerfers gleichbedeutend mit einer Enttarnung; in Gesprächen falsche Fährten zu legen, ist für sie schwierig, da die kommunikative Komponente des Spiels mangels ausreichender Anhaltspunkte, über die man sich austauschen könnte, auch noch nicht so recht zum Zuge kommt. Gerade die erste Phase von „Stay Away!“ ist damit auch die zäheste.

Da hilft es auch nicht gerade, dass die allermeisten „Stay Away!“-Karten nur auf Spieler angewendet werden können, die direkt neben einem sitzen. Wenn man schon alles über seine Nachbarn weiß und ein Platztausch nicht in Sicht ist, ist man für den Moment quasi aus dem Spiel. Gleiches gilt, wenn man das Pech hat, dass Platztauschkarten und Karten, die die Spielreihenfolge ändern, so ungünstig gespielt werden, dass man tatsächlich über lange Zeit nicht am Zug ist. Hier zeigt das Spiel fundamentale Probleme in der Mechanik, sodass man öfters das Gefühl bekommt, nur zwei oder drei korrigierte Regeln von einem deutlich besseren Spielerlebnis entfernt zu sein. Vielleicht bräuchte es wie bei „Bang!“ Karten, die auch auf Mitspieler gespielt werden können, die zwei oder drei Plätze entfernt sitzen, vielleicht müsste es wie bei „Die Werwölfe von Düsterwald“ hin und wieder einen Zwang geben, jemanden zu töten, sodass sich das Spiel stets weiterentwickelt.

Man würde „Stay Away!“ jedoch unrecht tun, wenn man behauptet, dass es nie von der Stelle kommt. Mit der Zeit wird der Kreis möglicher Verdächtiger immer kleiner und es bilden sich noch unscharf definierte Lager heraus. Und plötzlich ist „Stay Away!“ richtig spannend, denn Mitspieler sind jetzt nicht mehr nur Mitspieler, sie sind potenzielle Feinde oder Verbündete. Es fehlt hier der Platz, um jede Rolle, die man als Spieler ab diesem Punkt einnehmen kann, adäquat zu beschreiben. Aber egal ob man ein Unverdächtiger, ein zu Unrecht Verdächtigter, ein zu Recht Verdächtigter oder gar das Ding ist, auf einmal erscheint alles, was ein Mitglied des anderen Lagers macht, als mögliche Bedrohung, jeder Platztausch wird als Vorbereitung eines Angriffs gewertet. Wurden die Züge in der ersten Phase noch von Willkür geprägt, so erscheinen sie nun – wenn auch vielleicht nur unterstellt – als Kalkül des Gegenübers und „Stay Away!“ wird zum Paranoia-Spiel.

Sobald die ersten Infizierten – oder gar das Ding selbst – entdeckt wurden, die Lager sich also verfestigt haben, wird dann zur großen, gegenseitigen Jagd geblasen und „Stay Away!“ entwickelt sich zum Thriller. Es ist schon verdammt dramatisch, vor sich das Ding zu sehen und zu wissen, dass links und rechts je ein Infizierter sitzt, sodass man sich schon mal überlegen kann, ob man lieber flambiert oder infiziert werden möchte. Ebenso spannend kann es aber auch sein, sich mit seinen Verbündeten zusammenzutun und alles dafür zu geben, doch noch als Sieger vom Platz zu gehen. Spannung und Frust liegen jedoch auch in den letzten Zügen des Spiels nah beieinander, wenn man etwa ob der Begrenzung des Flammenwerfers auf die beiden Nachbarspieler weiß, dass man das Ding nie erreichen wird. Die oben schon angesprochenen Mechanikschwächen kann das Spiel auch gegen Ende nicht ablegen.

Es muss gesagt werden, dass all die vorangegangenen Schilderungen beispielhafte Ausschnitte aus bestimmten Partien sind, die so nicht in jedem „Stay Away!“-Spiel auftauchen müssen. Der Spielverlauf wird massiv davon beeinflusst, welche Karten gezogen werden, in welchem zeitlichen Verhältnis die drei Phasen dadurch zueinander stehen und nicht zuletzt von der Anzahl der Spieler, die von 4 bis 12 gehen kann. Für das persönliche Spielerlebnis wiederum macht es einen großen Unterschied, welche Rolle man einnimmt. Für das Ding ist eine Partie ein ganz anderes Erlebnis als für einen normalen Menschen, am aufregendsten ist es vielleicht, wenn man als Infizierter plötzlich seine gesamte Strategie ändern muss. „Battlestar Galactica – Das Brettspiel“ lässt grüßen.

Zum Schluss noch ein Wort zur Ausstattung: Die Spielanleitung enthält auffallend viele Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler und stilistische Eigentümlichkeiten. Daneben sind auch nicht alle Regeln eindeutig formuliert. Auch stimmen die Angaben im Regelheft nicht ganz mit den Informationen überein, die man auf den Karten finden sollte. Soweit ich das beurteilen kann, scheint das aber den Spielverlauf nicht zu stören und mit ein bisschen gesundem Menschenverstand kann man sich die Regellücken auch recht gut selbst füllen.

Fazit: „Stay Away!“ ist vom Grundsatz her ein gutes Spiel mit stellenweise toller Atmosphäre und nervenzerreißender Spannung, das sogar großartig sein könnte, wenn man durch kleine Regelkorrekturen gerade der ersten Spielphase mehr Zug verschaffen und den Spielern insgesamt mehr Handlungsoptionen anbieten würde.


Stay Away!
Kartenspiel für 4 bis 12 Spieler ab 13 Jahren
Antonio Ferrara, Sebastiano Fiorillo
Truant Spiele 2014
EAN: 9783934282667
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 24,07

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