Star Trek RPG Narrator's Guide

Vor wenigen Monaten kam der erste Band des neuen "Star Trek"-Rollenspiels von Decipher auf den Markt und - abgesehen von dem tollen Look - war das Urteil: Nett, doch erst mit dem "Narrator's Guide" ist das Set komplett. Nun liegt auch dieser seit einiger Zeit in den Regalen und so wagen wir einen Blick zwischen die Klappendeckel, um ein paar Antworten auf elementare Fragen zu erhalten: Sind die Regeln auch für Nicht-Muttersprachler verständlich? Werden alle Lücken des "Player's Guide" geschlossen? Kann man nun auch Planeten, Raumschiffe, Alienrassen entwerfen? Und gibt es endlich ein Zusammentreffen mit den Romulanern?

von Bernd Perplies

Was die Äußerlichkeiten angeht, kann man Decipher nur loben: Das Layout ist sehr gelungen! Im hübschen roten Hardcover-Einband, von dessen Front uns berühmt-berüchtigte Bösewichter des "Star Trek"-Universums anlächeln, gibt es ca. 250 vollfarbige, sehr übersichtlich aufgemachte und mit vielen Bildern aus den Serien garnierte Seiten zu erkunden. Dabei ist das "Handbuch für den Spielleiter" in 14 Kapitel unterteilt, die grob drei größeren Sektionen untergeordnet sind: "Series Creation", "Playing the Game" und "Narrator Resoures". Die unten folgende Aufteilung entspricht diesen jedoch nicht ganz, da es für die nähere Betrachtung sinnvoller erschien, in "Spielleiter-Hilfestellungen", "Regeln" und "Background-Material" zu unterteilen.

Die erste Sektion (Kapitel 1-5) ist also vor allem ein Leitfaden für den angehenden Spielleiter. Kapitel 1 beginnt dabei mit den grundlegendsten Fragen. Wie baue ich eine Kampagne im "Star Trek"-Universum auf? Welche Zeit, welche Technik und welche Atmosphäre sollen die Basis bilden? TNG ist etwas anderes als DS9 - und die Entscheidung zwischen "Raumschiff" oder "Raumstation" ist noch eine der Geringeren. Zahlreiche Übersichtstabellen erleichtern das Zusammenstellen der Zutaten, die sich der Spielleiter zurechtlegen sollte, bevor er mit dem Kochen, will sagen: dem Entwickeln der Kampagne, beginnt. Dies geschieht dann in Kapitel 2. Hier wird der Handlungsort (sei es z. B. ein Schwesterschiff der U.S.S. Enterprise oder ein klingonischer Außenposten am Rande der Neutralen Zone) entworfen. Art, Größe, Ausstattung und Crew werden festgelegt. In Kapitel 3 folgen dann Hilfestellungen zu so etwas wie einer episodenübergreifende Handlungs (z. B. die "5-Jahres-Mission"), während sich Kapitel 4 der Vorbereitung konkreter Missionen widmet und 5 dem Leiten einer Spielergruppe durch dieselben.

Sowohl die Terminologie als auch die Tipps lehnen sich dabei in nie dagewesener Form am Konzept der Fernsehserie "Star Trek" an. "Series", "Season" und "Episode" sind zwar nur andere Begriffe für "Kampagne" oder "Abenteuer", aber dass für den Aufbau einer Episode die 3-Akt-Struktur des bekannten amerikanischen Drehbuch-Gurus Syd Field bemüht wird, überrascht dann doch. Es ist sicher hilfreich in der Planungsphase, ein Abenteuer von der Dramaturgie her ähnlich wie einen Film zu strukturieren, doch normalerweise dauert ein Rollenspiel-Abenteuer nicht nur erheblich länger als eine Episode "Enterprise", es ist auch um einiges komplizierter. Gerade Anfänger könnten durch das hier propagierte System verleitet werden, allzu straff geordnete Plots zu entwerfen, die das Spiel einen Schritt zurück in die nur scheinbare Flexibiliät und Freiheit von Computer-Games zu werfen drohen.

In der zweiten Sektion (Kapitel 6-8 und - etwas abgeschlagen - 13) geht es dann ins Eingemachte. Hier finden sich alle relevanten Regeln jenseits der Charaktererschaffung, die ja in dem "Player's Guide" bereits beschrieben worden war. Das so genannte Coda-Regelsystem funktioniert im Wesentlichen nach dem Schema 2W6 +/- Modifikatoren gegen einen Mindestwurf (englisch "Target Number" TN) +/- Modifikatoren. Für alle Aktionen, die eine Probe verlangen, legt der Spielleiter einen Schwierigkeitsgrad zwischen 5 (simpel) und 30+ (praktisch unmöglich) fest, modifiziert ihn noch durch besondere Umstände (z. B. Dunkelheit bei Suchaktionen oder dem Gemütszustand des Gegenübers bei Verführungsversuchen) und verlangt dann eine Würfelprobe mit zwei 6-seitigen Würfeln, deren Ergebnis - vor allem durch die Fähigkeiten des Spieler-Charakters modifiziert - gleich oder höher sein muss, um ein Erfolg zu sein.

Neben der Beschreibung verschiedener Varianten von Würfelproben gibt es natürlich eine ausführliche Rubrik zum Kampf, zur Heilung und zur Bewegung von Charakteren. Es fällt auf, dass die Autoren mit Beispielen knausrig umgehen, was gerade in diesem Kapitel undankbar ist, da es manchen Regelformulierungen an Eindeutigkeit mangelt. Dies bessert sich in Kapitel 7, wo das Ganze dann noch einmal für Raumschiffe dargelegt wird, während Kapitel 8 des Spielers liebsten Teil enthält: die Erfahrungspunkte und ihren Einsatz zur Verbesserung des eigenen Charakters. Kapitel 13 listet schließlich zahlreiche Probleme (inklusive regeltechnischer Auswirkungen) auf, mit denen Spieler-Charaktere auf ihren Abenteuern konfrontiert werden können - von der Krankheit zum Ionensturm.

Vor allem das Kapitel über Raumschiffe ist sehr interessant, werden doch verschiedenste Operationen, die wir in den Serien kennen und lieben gelernt haben (ich sage nur "Schilde remodulieren"), genau beschrieben. "Beam me up, Scotty!" (TN: 5 :-))

Last but "definitely" not least deckt die dritte Sektion des "Narrator's Guide" all die Dinge ab, an denen Spielleiter stets besonderen Spaß haben: die Konstruktion von Raumschiffen, Welten und Alienrassen. Der Raumschiffbau verläuft dabei nach dem Baukastenprinzip: Ein Schiff einer speziellen Größe hat eine bestimmte Menge Raum und jedes System, seien es Waffen, Sensoren oder Frachträume, nimmt etwas davon in Anspruch. Als Beispiele sind 10 Schiffe mit allen Spieldaten angegeben, abgesehen von dem Frachter der Herbert-Klasse (???) alles Klassiker der Serien - von der Classic Enterprise über das romulanische D'deridex-Warship zur Voyager. Die Raumsektoren und Planetensysteme in Kapitel 10 lassen sich entweder per Zufallsprinzip (Würfeln) entwickeln, man kann sich allerdings auch die - im Gegensatz zu anderen SF-Rollenspielen - angenehm realistischen astrophysikalischen Erläuterungen durchlesen und dann nach eigenen Bedürfnissen tätig werden. Beispielwelten aus den Serien finden sich hier leider überhaupt keine. Wir sind nicht überrascht - das Quellenbuch "Worlds" steht bereits in den Startlöchern. Die Tipps zur Erschaffung eigener Alien oder Zivilisationen in Kapitel 11 sind weitgehend regelfrei. Ein paar Richtlinien und ein paar Zufallstabellen überlassen den Großteil des Schöpfungsaktes dem Spielleiter. Und - um meine Frage zu Beginn zu beanworten: Ja, hier treffen wir endlich auf die Romulaner. Gemeinsam mit den Orionern und den Andorianern ergänzen sie die Spezies aus dem "Player's Guide". Kreaturen werden in Kapitel 12 ähnlich wie Raumschiffe via Patchwork zusammengestellt. Es gibt Formen (von tierisch bis flüssig), Ernährungsgewohnheiten, Größen, Angriffs- und Verteidigungsmechanismen sowie spezielle Fähigkeiten zur Auswahl, aus denen am Schluss das neue Wesen entsteht. Auch hier fehlen leider Beispiele. Die Paarungsgewohnheiten der Horta bleiben also nach wie vor ein Geheimnis.

Abgerundet wird das Buch in Kapitel 14 mit einer Reihe von Standard-Charakteren sowie einer Auswahl namhafter Persönlichkeiten, die im Spiel Gastauftritte (als Nicht-Spieler-Charaktere / NSC) haben können, im Anhang findet sich erneut ein ausführlicher Index sowie vollfarbige Vordrucke für eigene Raumschiff-, NSC-, Planeten- usw. Profile.

Fazit: Ein schönes Buch, das schon durch sein Äußeres motiviert, spielerisch dorthin vorzudringen, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist. Einsteiger freuen sich über die ausgefeilten Hilfestellungen zur Kampagnen-Vorbereitung, Fortgeschrittene über die Mechanismen zur Konstruktion von Schiffen oder Planetensystemen. Das Regelwerk ist relativ leicht verständlich (oder sagen wir es so: Die Menge der Modifikator-Tabellen wird durch geschicktes Verteilung über die Seiten kaschiert). Natürlich bleiben nach wie vor Wünsche offen - wir wollen mehr Schiffe und mehr Spezies, außerdem fehlt es an bekannten Welten und Kreaturen -, aber hier ist das Rollenspiel von Decipher ungefähr wie die Serien aufgebaut, auf denen es basiert: Man bekommt mit jedem Buch genug, um für den Moment glücklich zu sein, aber es fehlt gerade so viel, um das nächste herbeizusehnen. Und so wie es aussieht, wird der Segen reichlich sein, denn es sind bereits jetzt neun Supplements angekündigt - vom Spielleiterschirm bis zum Spiegeluniversum-Quellenbuch.

Diese Rezension erschien ursprünglich bei www.space-view.de.


Star Trek RPG Narrator's Guide
Grundregelwerk
Matthew Colville, Kenneth Hite, Ross A. Isaacs u. a.
Decipher 2002
ISBN: 1582369011
256 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 29,95

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