Stadtstreicher

Ausgangspunkt, Ausrüstungsmöglichkeit, Ort des Geschehens – Städte sind die Bühne vieler Abenteuer. Nachdem mit „Patrizier und Diebesbanden“ die Spielhilfe rund um das Spiel in Städten und die Gestaltung von Abenteuern in diesen für „Das Schwarze Auge“ erschienen war, folgte mit dieser Anthologie eine Sammlung von passenden Stadtabenteuern, die vorrangig in den beschriebenen Städten der Spielhilfe Angbar, Mengbilla und Riva spielen und vor allem durch seltsamen Humor und groteske Handlungselemente bestechen.

von Ansgar Imme

 

Die Spielhilfe „Patrizier und Diebesbanden“ hatte den Boden bereitet und die drei mittelgroßen aventurischen Städte Angbar, Mengbilla und Riva beschrieben. Diese Anthologie nutzt diesen Nährboden nun, um die Spieler und den Spielleiter in verworrene und seltsame Geschehnisse zu stürzen. Unter der Redaktion von Björn Berghausen wurde (Zitat Anthologie) „eine Blütenlese von Stadtabenteuern“ geschaffen, die vor allem durch ungewöhnlichen Humor und sehr skurrile Handlungen und Protagonisten wirkt. Neben einem allgemeinen generischen Abenteuer, das in nahezu jeder Stadt spielen kann, sind zudem für die drei Beispielstädte jeweils Abenteuer enthalten.

Die Abenteuer im Einzelnen

Die Einleitung enthält neben einem kurzen Überblick über die Handlungen der Abenteuer zudem Vorschläge zur Auswahl der Helden. Als verbindendes Element wird die Figur des titelgebenden Stadtstreichers vorgeschlagen, der als Antagonist in allen Handlungen auftauchen und die Helden treffen kann.

Das Abenteuer „Drachentöter“ von Muna Bering und Jan Bratz bildet den Auftakt des Bandes und ist das allgemeine Stadtabenteuer, das nahezu in jeder etwas größeren Stadt Aventuriens spielen kann. Ein Gastwirt bittet die Helden um Hilfe, da in seinem neu eröffneten Gasthaus seltsame Dinge vor sich gehen und er mit allerlei Problemen zu kämpfen hat, die das junge Geschäft ruinieren könnten. Hier handelt es sich im weitesten Sinne um ein Kriminalabenteuer, das vor allem Kombinationsgabe und ein wenig Fingerspitzengefühl von den Helden und Spielern verlangt. Die Komplexität des Abenteuers kann dabei durch den Spielleiter sehr variabel verändert werden, da mehrere Module eingesetzt werden können, aber nicht müssen.

Im zweiten Abenteuer „Verscherzt“ von Andreas Aigner werden die Helden während des sogenannten „Fests der Freuden“ in Angbar in eine Entführung verwickelt. Trotz des dortigen närrischen Treibens müssen die Helden detektivische Triebe entwickeln und die Hintergründe der Tat aufdecken. Sie werden mit dem seltsamen Verhalten der sonst stockkonservativen Angbarer konfrontiert und geraten schließlich mit einer Diebesbande aneinander. Je nach Geschmack der Spieler kann dabei mehr Fokus auf die Ermittlungen, aber auch die rollenspielerischen Szenen und Herausforderungen gelegt werden. Trotz des ernsten Hintergrunds und der letztendlichen Konfrontation mit der Bande bleibt ein größtenteils humoristischer Kontext.

„Mummenschanz und Maskenspiel“ von Martin John erwartet die Helden (und den Spielleiter) im dritten Teil des Anthologiebandes. Mit Mengbilla wartet eine Stadt des Verbrechens und düsterer Triebe und Gefahren. Und mit dem Schwarzschelm Torxes von Freigeist ein Erzschurke der besonderen Art, der jedoch den Helden erst spät begegnet. Zunächst werden sie in Umtriebe eines Bösewichtes verwickelt und können sich mit einem einsamen Helden verbünden, der für die Rettung der Stadt streitet und als vermummter Kämpfer auftritt. Schließlich müssen sie seine Aufgabe übernehmen, um die Stadt vor dem Untergang und dem drohenden Chaos zu retten. Dieses Abenteuer knüpft an das Superheldengenre an und bietet den Helden die Möglichkeit, durch vermeintliche übermenschliche Fähigkeiten die Schurken zu stellen. Auch hier ist eine hohe Handlungsfreiheit für die Spieler vorhanden.

Abschließend stellt sich den Helden im vierten Abenteuer die Aufgabe, in Riva im Abenteuer „Beifang“ von Fabian Flüss und Daniel Heßler die drohende Gefahr eines platzenden Wales zu verhindern, der in der Stadt gestrandeten ist. Im Umfeld dieser Gefahr geschehen zahlreiche Morde, die aufzuklären sind. Dreck, Gestank und Schmutz bilden den seltsamen Kontrast und die Herausforderung im Vergleich zu sonstigen Abenteuern. So bietet das Abenteuer zwar eine tödliche Gefahr, aber nichtsdestotrotz eine groteske und grelle Handlung und einen dementsprechenden Hintergrund. Durch Verhandlungen mit den Stadtoberen und Eingriffsmöglichkeiten der Helden sind auch hier viele Handlungen frei und flexibel und bieten sowohl rollenspielerische als auch kriminalistische Herausforderungen.

Aufmachung, Layout & Kritik

Der Band ist, wie auch die bisherigen Anthologien, auf einem ordentlichen bis hohen Niveau. Auch wenn das Titelbild etwas beliebig ist, so sind doch Layout und Zeichnungen sowie Pläne reichlich und der Anhang ausführlich mit passendem Kartenmaterial. Zwar handelt es sich in diesem Band „nur“ um 88 Textseiten, dafür sind diese alle klein bedruckt, sodass man für sein Geld einen guten Gegenwert erhält.

Die Abenteuer glänzen alle durch eine hohe Handlungsfreiheit für die Spieler, was in der Vergangenheit oft als fehlend oder zu ungenügend kritisiert wurde. Teile der Handlung können weggelassen oder ergänzt werden, der Ablauf ist zum Teil variabel, nur einzelne Szenen sind von Bedeutung, können aber eingeschränkt auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten einsetzen. Dies macht die Handlung für Spieler sehr variabel und offen, erfordert aber auch vom Spielleiter das Können und den Wunsch, sich auch darauf einzulassen und dementsprechend Kreativität und Improvisationsgabe zu zeigen.

Die Grundideen sind dabei mit Ausnahme des generischen Abenteuers alle sehr innovativ und anders als sonstige Abenteuern. Diese Skurrilität nutzt sich zumindest beim Lesen allerdings etwas ab, zudem mögen vor allem die Superheldengeschichte in Mengbilla und vielleicht der explodierende Wal in Riva der einen oder anderen Spielrunde weniger gefallen, wobei die aventurische Stimmigkeit gut getroffen wurde. Eine Umsetzung am Spieltisch empfiehlt sich daher nicht in Reihenfolge der Abenteuer hintereinander, sondern lieber langfristig in Einschüben. Auch wenn das generische Abenteuer von der Grundidee langweiliger wirkt, so ist die Umsetzung doch sehr liebevoll gelungen und bietet auf engem Raum (Gasthaus und Umgebung) eine große Spielvielfalt mit Erweiterungen durch einzelne Modulbausteine. Durch die Allgemeintauglichkeit und freie Bauweise mit geringer oder höherer Komplexität gefällt dem Rezensenten dieses Abenteuer am besten.

Die Schurken der Geschichten sind glücklicherweise auch unterschiedlich und nicht wie in manchen früheren Abenteuern nur der klassische Schwarzmagier. Trotzdem liegt der Schwerpunkt der Gegenspieler der Helden immer noch mehr auf Magiewirkern oder mal wieder dem Namenlosen. Einzig das Angbar-Abenteuer sticht mit ganz profanen Ganoven hervor. Bedauerlich ist der Fokus auf Kriminal- oder Detektivabenteuern, die in fast allen Abenteuern den Mittelpunkt darstellen. Hier hätte zum Beispiel ein kleines Entdeckerabenteuer innerhalb einer Stadt noch ein wenig Abwechslung geboten.

Das einzige Ärgernis des Bandes bilden die knapp zwei Seiten für den titelgebenden Stadtstreicher. Diese erzwungene Figur zur Verknüpfung der Abenteuer ist langweilig und dem Rezensenten aventurisch zu unpassend. Diese zwei Seiten hätte man deutlich besser nutzen können, wo doch sowieso in jedem Band Platzmangel herrscht.

Fazit: Die Städte-Anthologie hat die Schwächen vergangener Bände mit zu wenig Handlungsfreiheit in bester Manier ausgebügelt und bietet Spielern und Spielleiter viele Möglichkeiten. Zwar ist die Konzentration auf Kriminalabenteuer ein kleiner Schwachpunkt, dafür sind die Abenteuer zur Abwechslung mal grotesker und bunter als der klassische Standard.


Stadtstreicher
Abenteuerband
Björn Berghausen (Hrsg.)
Ulisses Spiele 2010
ISBN: 3868890920
88 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 20,00

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