Splitterdämmerung 4: Schleierfall

Hinter dem Schleier locken oronische Verschwörungen im Reiche Aranien, und es mehren sich die Zeichen, dass die vernichtet geglaubte Mhoguli Dimiona doch irgendwie überlebt hat und nun gefährliche Pläne verfolgt. Die Helden werden durch deren Mutter, die Mondsilbersultana Sybia al’Nabab, gebeten, diesen Umtrieben auf die Schliche zu kommen, ihre Tochter zu entlarven und dingfest zu machen. Die Suche führt sie durch ganz Aranien, denn es zeigt sich, dass noch jemand anders in die Vorgänge verwickelt ist, der noch düstere Pläne verfolgt.

von Ansgar Imme

Mit „Schleierfall“ ist der vierte Band der sogenannten „Splitterdämmerung“ erschienen. Diese ist Teil einer Kampagne, die in verschiedenen voneinander weitestgehend unabhängigen Abenteuern der Entwicklung der Schwarzen Lande und den Splittern der Dämonenkrone verfolgt. Die Helden können die Splitter den Heptarchen entreißen, die als Nachfolger des mächtigen Magiers Borbarad ihre Herrschaft installiert hatten. Die „Splitterdämmerung“ schließt somit den Kreis der vor etwa 20 Jahren begonnenen „Borbarad“-Kampagne, die das Universum des Rollenspiels „Das Schwarze Auge“ umgekrempelt hatte. „Schleierfall“ ist dabei die Fortsetzung des Bandes „Schleiertanz“ und mit diesem eng verbunden, kann aber auch allein gespielt werden.

Der Autor Alexander Spohr ist Teil der „DAS“-Redaktion des Ulisses Verlags und aktueller Verantwortlicher für die Umstellung und Entwicklung der neuen Regeledition „DSA5“. Er hat zudem an verschiedenen Regelwerken und Themenbänden zu den beiden „DAS“-Kontinenten „Aventurien“ und „Myranor“ mitgearbeitet und einige Anthologie-Abenteuer geschrieben. Sein Co-Autor von „Schleiertanz“ – Marc Jenneßen – war dieses Mal nicht am Abenteuer beteiligt.

Handlungsüberblick

Mit fast 180 Seiten bringt „Schleierfall“ ordentlich Gewicht auf die Waage. Im Gegensatz zum Vorgänger „Schleiertanz“ ist hier der rote Faden des Abenteuers wesentlich enger gesteckt. Es gibt klare Kapitelvorgaben, die sich auch in der Bezeichnung niederschlagen („Der erste Schleier“, „Der zweite Schleier“ bis „Unverschleiert“). Zwar ist es auch hier möglich, Teile zu variieren oder in anderer Reihenfolge ablaufen zu lassen, dies erfordert aber einiges an Arbeit für den Spielleiter.

Nach dem obligatorischen Vorwort gibt es zwei Einführungskapitel, die einerseits den Hintergrund, handelnde Personen, Regelerweiterungen und -erklärungen sowie Gegner und oronische Zirkel beleuchten und andererseits Reisen im Land Aranien mit Hintergrundinfos, Bewegungstabellen und Zufallsbegegnungen versehen. Das eigentliche Abenteuer beziehungsweise die Kleinkampagne gliedert sich dann in neun Kapitel, die abschließend noch durch insgesamt sieben Anhänge (allein über 50 Seiten) ergänzt werden.

Im ersten Kapitel „Schritte in die Finsternis“ wird als Einstieg ein Freund der Helden getötet, und diese entdecken die Machenschaften einer Meuchlergilde, der Beni Asharan. Es kommt anschließend zum Treffen mit der Mondsilbersultana Sybia al’Nabab, der früheren Herrscherin Araniens, die die Helden beauftragt, den Umtrieben nachzugehen und zu klären, ob ihre tot geglaubte Tochter Dimiona, die oronische Heptarchin, noch lebt. Im zweiten Abschnitt „Das Kloster des Todes“ begeben sie sich zunächst nach Palmyramis, da sie vermuten, dass dort eine größere Menge Steuergeld Araniens unterschlagen wurde. Die Helden können die Verantwortlichen enttarnen und im Kloster die Beni Asharan von weiteren Anschlägen abhalten und gleichzeitig eine seelenlose junge Frau kennenlernen. Zudem erfahren sie den Namen des Auftraggebers, der hinter allem steckt.

„Die Katzenherrin von Ras’Lamassu“ ist die Sphinx, die über die Stadt wacht und die nun träumt und die Helden in die Träume mit hineinzieht. Auf dem Weg dorthin müssen sie einer prominenten Person Araniens bei einer Geburt beistehen und die Mutter und das Kind gegen Handlanger des Bösewichts schützen. In den Träumen können die Helden eine Spur entdecken, wohin sie sich wenden müssen. So führt sie „Heiratspolitik“ nach Elburum, die „Weiße Stadt“, die sie wohlmöglich schon aus „Schleiertanz“ kennen. Gemäß dem Titel des Abschnitts müssen sie für die Herrscherin einen geeigneten Mann finden und gleichzeitig eine ehemalige Oron-Anhängerin vor einem Zirkel noch heute gefährlicher Oron-Anhängerinnen und deren Anführerin finden und verteidigen.

In „Verborgen in heiligen Hallen“ kann die Gerettete ihnen berichten, dass der Anführer im Hintergrund eine geheime Bibliothek sucht, die ein mächtiges Buch enthält. Die Helden suchen nach der Bibliothek und müssen mit einer Intrige ihres Gegners umgehen, die sie direkt mit dem Prinzen von Baburin in Berührung bringt. Am Ende liefern sie sich mit dem Gegner eine Verfolgungsjagd durch die Bibliothek, während diese zusammenbricht. Zwar entkommt er, aber sie konnten einige Erkenntnis über ihn und seine Pläne in Erfahrung bringen und wissen nun von einem geplanten Ritual und welche Zutaten er dafür benötigt. So müssen sie in „Die Rosenkönigin“ Hintermänner der Verschwörung suchen und im Rosengarten von Zorgan einen Streit mit den dort beheimaten Rosendschinnen schlichten und diese vor dämonischen Kräften schützen sowie eine Vergiftung in der Stadt verhindern.

Während die Helden in „Der Kult des Malmers“ die Stadt Llanka nach jahrelanger Belagerung von dem Wesen befreien können, müssen sie in „Die Belagerung von Anchopal“ den König Arkos vor Attentaten schützen und einen Krieg zwischen Aranien und dem Sultanat Gorien unter dem Magiersultan Hasrabal verhindern. „Noch ein letzter Tanz“ führt die Helden und den Auftraggeber und Gegner schließlich an einem Ort zusammen, der für Aranien bisher eine wichtige Bedeutung als Ende der Schreckensherrschaft von Oron hatte. Sie müssen erkennen, dass Dimiona wirklich noch lebt und diese in Schach halten oder vernichten und das Ritual verhindern.

Der Anhang enthält in sieben Kapitel und etwa 50 Seiten schließlich Informationen über Aranien nach dem „Schleierfall“, in denen das Schicksal vieler wichtiger Personen Araniens fortgeschrieben wie auch die oronische Verschwörung thematisiert wird. Dazu werden neue Artefakte wie auch wichtige Personen beschrieben und mit Werten versehen, die Zeit zwischen „Schleiertanz“ und „Schleierfall“ beschrieben und durch ein ausführliches Personenregister, Hintergrundinfos zu Aranien sowie Stadtkarten abgerundet.   

Kritik: Aufmachung, Layout, Inhalt

Am Layout und der gesamten Aufmachung gibt es wenig zu meckern: Wieder ein schönes Cover, was sogar den Antagonisten zeigt, mehrere – zum Teil neue und wie fast immer exzellente – Stadtkarten und ein umfangreicher Anhang mit den wichtigsten Nichtspielercharakteren, Personenregister und vieles mehr. Es hätten vielleicht noch die eine oder andere Illustration mehr sein können, dafür gibt es zu sehr vielen wichtigen Handlungspersonen Charakterportraits oder sogar Ganzkörperbilder, was beides im Spiel hilfreich ist und den Spielern etwas Greifbares gibt. Leider mangelt es aber ansonsten mal wieder an sonstigen Karten für Gebäude oder Orte, die komplett fehlen, obwohl mit zwei Klostern, einer Bibliothek und Palästen durchaus wichtige Handlungsorte wenigstens skizziert werden hätten können, da die Helden dort zum Teil längere Abschnitte verbringen. Hier ist der Spielleiter dann selbst gezwungen, etwas anhand der Beschreibungen zu entwerfen, wofür das Abenteuer da sein sollte.

Der Aufbau hat eine klare und verbindliche Struktur mit den einzelnen Kapiteln, die einen roten Faden vorgeben. Innerhalb der Kapitel bieten sich aber oft Möglichkeiten des freien Spiels und wenig Vorgaben oder Gängelung der Spieler, sodass diese zumeist in verschiedene Richtungen agieren können und auch nicht immer die Kapitel „erfolgreich“ abschließen müssen, um weiter in der Handlung voran zu kommen. Leider ist es sogar oft so, dass die Spieler und Helden dem Antagonisten eher hinterher hecheln und mehr reagieren müssen als agieren können. Die Einleitung des Bandes ist leider zudem nicht mit dem Vorgängerband zu vergleichen. Zwar wird auch hier etwas zum Hintergrund und zu möglichem Verlauf geschrieben, aber es fehlt bei den Zielen der beiden im Hintergrund wirkenden Personen die mögliche Umsetzung und wie die Pläne angegangen werden sollen. Die oronischen Zirkel und die Begegnungstabellen zu den Sultanaten (die zudem für einzelne Landesteile unterschieden werden, aber doch so ähnlich sind, dass eine Tabelle gereicht hätte) wirken im Anschluss sehr beliebig und lückenfüllend und hätten lieber Platz für anderes wichtiges Material machen können.

Die jeweiligen Abenteuer sind für sich genommen durchaus abwechslungsreich: Die Helden müssen durch Aranien reisen, sind in Städten und Wildnis unterwegs und haben auch den einen oder anderen „Dungeon“ dabei. Der Ablauf in sich ist, wie beschrieben, oft recht offen gehalten, wobei am Ende eine Zusammenfassung des Stands erfolgt und was die Helden erreicht haben sollten. Leider hakt es in den Abenteuer aber an vielen Stellen. Die Helden (und Spieler) sind oft die Unterlegenen und dem Widersacher immer nur auf der Spur. Selbst wenn sie mit ihm in Berührung kommen, verlieren sie ihn immer wieder aus den Augen. Etwas seltsam ist zudem die Aussage, dass der Antagonist sich selbst immer um Gegner kümmern will, dann aber in den jeweiligen Situationen doch Handlanger vorschickt. Die Zusammenfassungen am Ende des jeweiligen Abenteuers und die Verknüpfung mit dem Folgeabenteuer wirken häufig zudem weit hergeholt.

Die Abenteuer des Bandes passen hier wesentlich weniger gut zusammen als im Vorgängerband, der sehr harmonisch wirkte. Hier wirken einzelne Plots eher wie Stückwerk und eben nicht wirklich verbunden. Die ganze Idee beispielsweise um die Meuchler der Beni Asharan ist nicht sauber genug entwickelt. Einerseits ergeben sich die Hinweise zum Teil aus dem Zufall heraus (ebenso wie man zu deren Kloster findet; aber auch später der Plot um Llanka und den Malmer), zum anderen kann die einfache Heldengruppe gleich ein ganzes Kloster besiegen. Der Übergang daraus soll sie nach Ras’Lamasshu führen, doch die Hinweise dafür sind eher mager und die Entwicklung dafür wird in die Hände des Spielleiters gelegt.

So zieht es sich durch mehrere Teil der Kampagne. Die Episode um die Rosendschinne wirkt mit seinen Aufgaben (dies und jenes besorgen) wie ein Anfängerabenteuer oder einem älteren PC-Rollenspiel entnommen. Das in der zweiten Hälfte des Bandes entdeckte Ritual, die Unterbindung dessen durch die Helden und Suche nach Zutaten dazu ist wiederum so undurchsichtig und vom Inhalt und Zweck her nicht zu verstehen. Hier wird nicht einmal klar, was genau passieren soll. Dass dazu das wesentliche Geheimnis der Kampagne und um Aranien in einem Nebensatz von Sybia den Helden mitgeteilt wird, anstatt dass diese das selbst herausfinden oder durch Hinweise erahnen können, nimmt zudem auch noch Spannung und Überraschung.

Glänzen kann das Abenteuer dagegen durch die sehr umfangreiche und wirklich gute ausgearbeitete Personenriege Araniens. Hier werden Eigenheiten, Beweggründe und auch die Spielwerte vorbildlich aufgearbeitet und dem Spielleiter zur Verfügung gestellt. Zwar handelt es sich um eine größere Anzahl relevanter Personen, was dem Spielleiter einiges abverlangt (wobei nur ein Teil natürlich je Kapitel benötigt wird, sodass bei mehreren Spielabenden auch nur die Konzentration auf einige notwendig ist). Hilfreich sind dabei die Ausführungen zu ihrem Charakter, der Rolle, ihrer Moral, Motivation und den Mitteln, selbige umzusetzen, und nicht zuletzt ihrem Konfliktverhalten. Dies erleichtert dem Spielleiter die Umsetzung im Spiel ungemein. Die NSC stellen damit eindeutig den Höhepunkt des Bandes dar.

Insgesamt wirkt der Band unrund und bruckstückhaft. Die tollen neuen Karten (die damit Aranien nahezu abdecken) und die sehr gut ausgearbeiteten Nichtspielercharaktere können leider nicht über die Schwächen im Aufbau und vor allem in den einzelnen Abenteuern hinwegtäuschen. War zunächst geplant, auch diesen Band wieder mit Co-Autor Marc Jenneßen zu verfassen, wurde dies ja doch nicht umgesetzt, was im Nachhinein ein Fehler zu sein scheint. Es wirkt, als wäre der Autor Alex Spohr durch die gleichzeitige Arbeit in Redaktion und Hauptverantwortlicher des neuen Regelwerks zu ausgelastet gewesen, um die vielen Fehler zu erkennen und ordentliche Verbindungen zwischen den Teilen zu schaffen.

Fazit: Zwar bekommt der Leser und Spielleiter fast 180 Seiten mit tollen Karten und einer wunderbar ausgearbeiteten Nichtspielerriege, jedoch wird dies durch ein teils unlogisches, oft schlecht ausgearbeitetes Abenteuer zunichte gemacht. Die Fortsetzung von „Schleiertanz“ ist an vielen Stellen misslungen und erfordert vom Spielleiter etliche Stunden Nacharbeit. Insgesamt leider eine Enttäuschung. Sofern man nicht schon den ersten Teil gespielt hat, ist zu überlegen, die Splitterdämmerung in Aranien eher auszulassen, sofern man nicht Freude daran hat, den Plot und seine einzelnen Teile umzuarbeiten.


Schleierfall
Rollenspiel Abenteuer
Alex Spohr
Ulisses Spiele 2014
ISBN: 3957520940
176 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 29,95

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