Sphären des Himmels

Es gibt Bücher, die liest man, weil man unbedingt wissen will, wie sich die Handlung weiter entwickelt. Und dann gibt es solche, mit deren Figuren man einfach gerne unterwegs ist. Schließlich ist da jene exotische Ecke, da klebt man an den Seiten, einfach, weil man wissen will, was sich hinter der nächsten Ecke der Welt befindet, die sich der Autor ausgedacht hat. Zu jener Sparte gehört „Sphären des Himmels“ von Charles Sheffield.

von Frank Stein

Die Handlung auf der Rückseite des Buchs liest sich zunächst durchaus spannend: „Weit in der Zukunft steht die Erde unter Quarantäne. Ein Bündnis pazifistischer Außerirdischer hält die Menschheit für gefährlich und blockiert deren interstellare Raumfahrt. Als jedoch Schiffe der Aliens im Weltraum spurlos verschwinden, erteilen sie dem Experten Chan Dalton den Auftrag, eine geeignete Truppe zusammenzustellen, um die Vorfälle zu ergründen. Die Anweisungen der Aliens sind eindeutig: Keinerlei Gewalt! Dumm nur, dass Chan Dalton bei seiner Ermittlung auf immens aggressive Gegner trifft. Wehrt er sich mit Gewalt, wird die Quarantäne der Erde vielleicht nie wieder aufgehoben …“

Wer nun allerdings auf Grundlage dieser Worte einen Actionreißer oder auch nur eine „Star Trek“-Episode mit moralischem Dilemma erwartet, wird überrascht. Im Grunde geht es dem 2002 verstorbenen Sheffield, der Mathematiker und Physiker war, primär um das Beschreiben des von ihm für den lose diesem Buch vorausgehenden Roman „Das Nimrod-Projekt“ entwickelten Universums und das Präsentieren eines galaktischen Rätsels. Hierbei folgt er zwei Handlungssträngen, die bis Seite 370 von 636 parallel zueinander verlaufen.

Der eine beschäftigt sich mit der Besatzung der Mood Indigo, eines kleinen irdischen Privatraumschiffs unter dem Kommando des stinkreichen Schnösels Friday Indigo. Das Schiff hat den Sprung von einem irdischen Link-Tor – die ganze Galaxis ist durch Links verbunden, die der Menschheit aktuell zum größten Teil verschlossen sind – zu einem neu entdeckten, offenen Ziel-Link vollzogen, doch statt wie erwartet in einer Raumregion namens Geyser Swirl herauszukommen, stürzt es unvermittelt in einen Ozean. Mit der sich daran anschließenden Robinsonade – die Schäden werden begutachtet, man unternimmt einen Landausflug auf eine nahe Insel, man findet eigentümliche Fremdwesen – verbringt Sheffield merklich genussvoll viel Zeit.

Zeitgleich reist Chan Dalton, mehr als zwanzig Jahre nach seinem letzten Abenteuer in „Das Nimrod-Projekt“, durchs Sol-System – vom Vulkan-Nexus an der Sonne bis zur Oortschen Wolke –, um alte Freunde zusammenzutrommeln, die ihm helfen sollen, an Bord eines ausgemusterten Kriegsschiffs nach den im Geyser Swirl scheinbar verschwundenen Schiffen zu suchen. Sein Auftraggeber sind die Fremdrassen der Tinker (eine käferartige Schwarmintelligenz), der Pipe-Rilla (riesige Röhrengeschöpfe) und der Engel (eigentümliche Pflanzensymbionten). Diese haben durch den neu entstandenen Link mehrere Expeditionsschiffe verloren und sind nun etwas panisch. Die „robusteren“ Menschen sollen sich des Problems annehmen.

Nach zwei Drittel kommen dann die „aggressiven Gegner“ ins Spiel. Deren Potenzial wird nicht ausgeschöpfte. Sie werden zwar als „lokale Bedrohung“ auf der fremden Welt Limbo, wohin es auch Chan Dalton und Co letztlich verschlägt, aufgebaut. Doch dann ist der Roman vorbei. Eine Fortsetzung gibt es meines Wissens nach nicht. So endet das Ganze etwas abrupt und offen, was gewissermaßen zum Beginn passt, wo man ständig denkt, man habe ein Buch verpasst. Doch tatsächlich muss man „Das Nimrod-Projekt“ nicht gelesen haben, um „Sphären des Himmels“ zu verstehen, denn die ständig im Buch erwähnten Ereignisse „vor zwanzig Jahren“ haben nichts damit zu tun, sondern haben sich irgendwann zwischen den beiden Bänden „off-screen“ zugetragen.

Zwei Dinge könnte man „Sphären des Himmels“ vorwerfen. Zum einen bleiben seine Figuren seltsam spröde. Es wird wahnsinnig viel diskutiert, geplant und analysiert, meist erstaunlich sachlich, was stets eine gewisse Distanz zu den Charakteren erhält. Womöglich ist diese Einstellung, dass selbst Edelprostiutierte, Zauberkünstlerinnen und windige Geschäftsleute im Wesentlichen hilfreiche Teammitglieder sind, die stets einen kühlen Kopf bewahren, Sheffields naturwissenschaftlichem Hintergrund geschuldet. Zum zweiten ist Sheffields Erzählweise so detailreich und er ist als Autor so bemüht, seine Leser die Gedanken und Theorien der Figuren verstehen zu lassen, dass sich bereits mehrere Kapitel vor dem eigentlichen Finale abzeichnet, wie das Problem, vor dem die Helden auf Limbo stehen, gelöst wird. So bleibt das Ganze ein wenig undramatisch in der Ausführung.

Seine Stärken entwickelt der Roman in der Entwicklung fremder Rassen und Welten. Obwohl wir als Leser beispielsweise von Limbo nur einen winzigen Bruchteil kennenlernen, genau genommen nur eine Insel und die davor liegenden Gewässer, die sich im Laufe der Geschichte zu einem veritablen Raumschifffriedhof entwickeln, folgt man neugierig seinen Ausführungen und fragt sich, wie wohl alle Ungereimtheiten aufgelöst werden. (Wobei die Erklärung am Ende gleichzeitig völlig akzeptabel ist, aber auch wie eine Ausflucht wirkt.)

Fazit: „Sphären des Himmels“ ordnet sich wohl am besten in die Ecke „Entspannung für unaufgeregte SF-Fans“ ein. Raumschlachten, Dramatik, große Gefühle und eine treibende Handlung sucht man vergebens. Dafür wird eine hübsche, kleine Robinsonade auf einer fremden Welt geboten (die gerne noch ausführlicher hätte sein dürfen) und wir lernen ein paar interessante (wenn auch zu wenig ausgeführte) Fremdrassen kennen. Man kann sich diesen Details durchaus hingeben und gemütlich mit Sheffield sein Universum erkunden. Am Ende findet sich sogar noch ein Pegelausschlag in Sachen Spannung. Doch nach der enorm langen Exposition wirkt der Schluss etwas hastig. Und auch die Helden und Schurken hätte man gerne noch etwas besser kennengelernt.


Sphären des Himmels
Charles Sheffield
Bastei Lübbe 2009
ISBN: 978-3-404-24379-2
636 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 8,96

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