von Andreas Rauscher
Diese "Familienbande" um den immer stärker romantisierten Rächer und die Amazonentruppe aus der von Prostituierten selbstverwalteten Altstadt steht im Mittelpunkt des fünften Bandes. Im Gegensatz zu den anderen, nach dem alten Noir-Motto „Dead-on-Arrival“ agierenden "Sin City"-Protagonisten gestalten sich die Abenteuer der ebenso sympathischen wie ambivalenten Außenseiter-Bande als Fortsetzungsgeschichte. Sie laufen nicht wirklich Gefahr zu Toten auf Urlaub zu werden. Lediglich während Dwights erstem Auftritt in den Fängen einer an Hollywood-Legende Ava Gardner angelehnten Femme Fatale in "Eine Braut, für die man mordet" schien er sich tatsächlich in Gefahr zu befinden.
In "Das große Sterben" und "Familienbande" hat er sich hingegen zu einem klassischen Serienhelden entwickelt, um den man sich trotz der haarsträubendsten Situationen nicht wirklich zu sorgen braucht. Die Auflösung seiner alten Identität als Fotoreporter durch eine Gesichtsoperation erinnert rückblickend an jene Transformation, die klassische Superhelden durchlaufen, wenn sie ihre frühere bürgerliche Identität zu Gunsten eines neuen Lebens in bunten Gummi-Anzügen aufgeben. Während Frank Miller in "Year One" und "The Dark Knight Returns" den Mitternachtsdetektiv Batman um Noir-Nuancen bereicherte, wandelt sich Dwight im Verlauf der "Sin City"-Bände vom Outcast zunehmend zum klassischen Comic-Helden und die Gang aus der Altstadt von Basin City avanciert zur Hardboiled-Justice-League der etwas anderen Art.
Clive Owen, Devon Aoki und Rosario Dawson, die in Robert Rodriguez' Verfilmung die entsprechenden Rollen spielten, können sich in Hinblick auf die geplanten "Sin City"-Sequels schon auf die literarisch vorbestimmte Vertragsverlängerung freuen. Neben Dwight übernimmt die zweite zentrale Rolle in "Familienbande" die bereits in "Eine Braut, für die man mordet" und "Das große Sterben" eingeführte asiatische Schwertkämpferin Miho, diesmal als wendige Phantomgestalt auf Roller Blades, die sich auch zeichnerisch mit ihren klaren Konturen von den restlichen, in den vertrauten Halbschatten agierenden Charakteren abhebt. Gemeinsam mit Dwight geht sie gegen eines der zahlreichen Mafia-Syndikate der Stadt vor, um eine erst am Ende einer turbulenten Nacht präsentierte offene Rechnung zu begleichen.
Die Handlung beschränkt sich auf die Ereignisse eines einzelnen Abends. Im Vergleich zu den vorangegangenen Erzählungen verfolgt Miller in "Familienbande" keine vielschichtigen Charakterstudien, sondern konzentriert sich ganz auf die mit Splash Panels gekonnt akzentuierte und dramaturgisch geschickt arrangierte Action. Die schweigsame Miho entzieht sich durch ihre Körperbeherrschung und die enorme Geschwindigkeit ihrer Aktionen den schwermütigen und aufreibenden Konflikten der anderen Protagonisten. An einigen Stellen erscheint sie wie eine energiegeladene Manga-Heldin auf Besuch in der Schattenwelt des Neo-Noir. Als Auslöser für das Eingreifen Mihos und Dwights in die Bandenkriege der Stadt erweist sich am Ende wie so häufig in den "Sin City"-Geschichten eine persönliche Angelegenheit ihrer Verbündeten. "Familienbande" funktioniert in dieser Hinsicht sowohl als eine in sich abgeschlossene Kurzgeschichte, wie auch als Erweiterung der von Miller als loses und dennoch stilistisch ausgesprochen stimmiges Patchwork entworfenen Topographie von Basin City.
Fazit: Das Comic-Äquivalent zu einer atmosphärischen Hardboiled-Kurzgeschichte. Im Zentrum stehen erneut die Abenteuer der Clique um Dwight und Miho, die sich mit einem der zahlreichen Syndikate von Basin City anlegen. Im fünften Band der Reihe verzichtet Miller weitgehend auf die für die Reihe charakteristische Vertiefung der Figuren. Stattdessen dominieren markante One-Liner und in sorgfältig arrangierten Panels pointiert umgesetzte Actionsequenzen, die eine reizvolle Vorlage für einen der nächsten Filme abgeben würden.
Sin City 5: Familienbande
Comic
Frank Miller
Cross-Cult 2006
ISBN: 393648015X
128 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 14,80
bei amazon.de bestellen