von Andreas Rauscher
Nachdem in „Stadt ohne Gnade“ ein Kardinal aus der Sippe des korrupten Senators einen Serienmörder deckte, erweist sich in „Dieser feige Bastard“ der Thronfolger des Clans als hinterhältiger Kinderschänder. Die Verknüpfung der Verbrechen und infamen Intrigennetze mit den höchsten Gesellschaftsschichten unterscheidet die Arbeiten von Frank Miller von reaktionären Rachephantasien, die stellenweise mit den gleichen Motiven und Typologien arbeiten. Im Unterschied zu den selbstgefälligen Vigilanten martialischer rechter Action-Epen wissen die Protagonisten Millers, dass ihr vehementer Kampf gegen das Verbrechen nur temporäre Erfolge erzielen kann. Die gefährlichsten Psychopathen befinden sich nicht in den sozial schwächeren Gegenden, aus denen diverse von Millers Antihelden stammen, sondern in jenen Gesellschaftsschichten, die mit ihrer polternden Rhetorik am lautesten nach drastischen Maßnahmen verlangen.
Die Verbrechen des Senatorensohns, auf dessen mit einem ätzenden Gelb markiertes Erscheinungsbild sich der englische Titel „That Yellow Bastard“ bezieht, werden durch Erpressung und Verleumdungskampagnen von dessen Verwandten kaschiert. Eines Abends gelingt es jedoch dem kurz vor seiner Pensionierung stehenden Cop Hartigan die 11-jährige Nancy Callahan (überflüssig zu erwähnen, auf welche von Clint Eastwood mehrfach verkörperte Ikone der Popkultur dieser Name anspielt) vor dem Triebtäter zu retten. Senator O‘Rourke beseitigt jedoch jegliche auf seinen Sohn weisende Spur und schiebt dem couragierten Cop die Schuld in die Schuhe.
Dieser wandert für eine Tat, die er in Wirklichkeit verhindert hatte, in den Knast und verbringt acht lange Jahre in Einzelhaft. Lediglich die Briefe der heranwachsenden Nancy halten ihn am Leben. Nachdem diese überraschend ausbleiben und eine grausame Nachricht Hartigan das Schlimmste befürchten lässt, bleibt ihm kein anderer Ausweg. Um frei zu kommen und Nancy vor dem zurückgekehrten Senatorensohn retten zu können, akzeptiert Hartigan sämtliche falschen Beschuldigungen. In einer kalten Winternacht beginnt ein gefährlicher Wettlauf gegen die Zeit.
Stilistisch setzt „Dieser feige Bastard“ konsequent einige zentrale Motive der vorangegangenen Bände fort. Der Dauerregen der ersten Folgen ist in der vierten „Sin City“-Geschichte einem dichten Schneesturm gewichen. Die Akzentuierung einzelner Schlüsselmomente, wie Hartigans drohender Tod am Galgen oder die Wiederbegegnung mit Nancy, erfolgt über Splash-Panels, die nur noch aus Silhouetten zu bestehen scheinen.
Im Gegensatz zur Außenseiterbande, die sich im zweiten und dritten Band um die Outcast-Helden Gail und Dwight gebildet hat, steht in „Dieser feige Bastard“ die Isolation des Protagonisten im Mittelpunkt. Immer wieder reflektiert Hartigan in inneren Monologen, dem Comic-Äquivalent der im Film Noir eingesetzten Voice-Over-Stimme, die Ausweglosigkeit der eigenen Lage. Eines der eindrucksvollsten Bilder für seine Verlassenheit, das im Film mit Hilfe digital generierter Kulissen vollständig übernommen wurde, findet sich in einem schiefen Blick von oben herab in die verlassene Zelle des unschuldig verurteilten Cops. Die schier endlosen Gitterstäbe schaffen den Eindruck, als würde der Inhaftierte sich in einem Vakuum, einer Zwischenwelt befinden, die den Tatmenschen zur Machtlosigkeit verdammt. Nicht von ungefähr erinnert das schmerzverzerrte Gesicht des gealterten Cops in einigen Panels an die gequälten Gestalten des Künstlers Francis Bacon.
Hartigan weiß, dass er zwar die einst gerettete Tänzerin Nancy vor den erneuten Angriffen des Psychopathen beschützen kann. Zugleich ahnt er in klassischer Noir-Tradition, dass ihre Rettung vor dem grotesk überzeichneten Yellow Bastard sein eigenes Schicksal besiegeln wird. – „An old man dies and a young girl lives. That’s a fair deal“ – Entsprechend gestaltet sich die reduzierte visuelle Umsetzung des Comics, die entfernt an die expressionistischen Alptraumwelten eines abstrakten Horrorfilms erinnert.
Die Gestaltung der Panels arbeitet geschickt mit unterschiedlichen Größen und variablen Anordnungen, die zwischen übersichtlichen Arrangements und blitzlichtartigen Momentaufnahmen changieren, um die Dynamik des Geschehens zum Ausdruck zu bringen. Frank Millers hervorstechende Qualität besteht nach wie vor im Spiel mit Archetypen des amerikanischen Gangster- und Actionfilms. Diese werden einerseits dekonstruiert, wie der „heroic cop“ Hartigan, der sich plötzlich mit der Siutation konfrontiert sieht, dass die erwachsene Nancy mehr in ihm sieht als nur ihren väterlichen Beschützer. Andererseits entwirft Miller übersteigerte Exploitation-Versionen gängiger Superhelden-Schurken. Als einzige Farbe im von starken Kontrasten bestimmten Schwarz-Weiß-Comic verwendet er ein ätzendes Gelb, um den Yellow Bastard hervorzuheben.
Die Differenz zwischen klassischen Superhelden-Geschichten und dem bizarren Hardboiled-Kosmos von „Sin City“ bringt eine Szene pointiert zum Ausdruck, in der Hartigan sich mit übermenschlicher Kraft aus der Gefangenschaft befreit und seine korrupten Gegenspieler überwältigt. Einige Panels später erweist sich diese für Helden wie Superman oder Batman typische Standardsituation als reine Illusion. Einfälle wie dieser sorgen dafür, dass „Sin City“ über den Rahmen einer abgeschlossenen Graphic Novel hinaus ein interessanter Schauplatz für Geschichten auf der Schattenseite des American Dream bleibt. Die Genre-Gratwanderung zwischen dem psychologisch ambivalenten Film Noir und den in dezentes Schwarz-Weiß übertragenen Effekten des Exploitation-Horrors beherrscht Miller wie kaum ein anderer gegenwärtiger Comic-Autor.
Fazit: Durch die überlegte Variation inhaltlicher und ästhetischer Motive gelingt Miller erneut eine raffinierte Synthese aus klassischer Noir-Atmosphäre und den verstörenden Themen des Horrorgenres, insbesondere des in den neunziger Jahren populären Serial-Killer-Subgenres. Eine Winterreise der besonderen Art, auf die sich ein weiterer von "God’s Lonely Men" im Noir-Moloch Sin City begibt.
Sin City 4: Dieser feige Bastard
Comic
Frank Miller
Cross-Cult 2005
ISBN: 3936480141
240 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 24,80
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