Shadows of the UK

Manchmal kommt White Wolf auf seltsame Ideen, zum Beispiel Kombo-Quellbücher, die eine Region, in diesem Fall Großbritannien, für alle drei großen Settings beschreiben soll. England soll also mit Magi, Vampiren und Werwölfen besiedelt werden. Sicher, warum nicht? Eine schöne Kulisse bietet es allemal und aufgrund seines typischen Flairs sind Horrorabenteuer in London irgendwie naheliegend. Wenn ein solches Buch unter dem Label „World of Darkness“ (also der generischen Reihe) läuft, sich dann aber zu 80% mit Werwölfen beschäftigt, ist Unmut vorprogrammiert...

von Nicolas Hohmann

 

Zunächst einmal wie immer zur Beurteilung der schönen Hülle, bevor wir zum Kern vorstoßen. Hardcover, 200 Seiten mit diesmal besserem Papier, sehr zu meiner Freude (denn ich achte auf dieses Detail). Auf der Vorderseite ist eine  absurd anmutende Szene zu sehen: Halbnackte in grünen und blauen Hosen gekleidete Werwölfe – aber irgendwie sehen sie dann doch wie Orks aus – prügeln sich vor einem roten Telefonhäuschen, wie sie für England typisch sein sollen. Weil ich aber auf Absurditäten stehe, gefällt es mir. Auf der Rückseite ziehen dann schon die ersten drohenden Schatten auf, dort wird mir nämlich angekündigt, das Buch würde einen detaillierten Blick auf die Werwölfe Großbritanniens werfen, aber, so beruhigt man mich dann auch gleich wieder, kommen Vampire und Magier auch zum Zuge und obendrein gibt es noch alte Geheimnisse und neuzeitliche Gefahren des Vereinigten Königreichs. Nun denn...

Blättere ich durch das Buch, so sticht mir das wirklich hervorragende Innenartwork des Buches ins Auge, bei dem ich mich immer wieder frage, warum sie „Mage“ nicht mit solchen Bildern verwöhnen. Für die Bebilderung der allgemeinen „World of Darkness“-Reihe muss man anerkennenden Respekt zollen.

Die Eingangsgeschichte nennt sich „Codes of Blood“ und handelt von einem blutigen Pakt, den eine Werwölfin mit einem Geist schließen muss. Als sie sich später zwischen Einhalten des Paktes oder ihrem Rudel helfen entscheiden muss, fällt die Wahl selbstverständlich auf letztere Option, womit sie aufgrund des Wortlautes des Paktes ihr eigenes Leben verwirkt. Sehr ehrenhaft. Die Geschichte hätte übrigens genauso gut in New York spielen können, so typisch britisch ist sie. Anschließend widme ich mich der Doppelseite „Introduction“, die mir sagt, dass Großbritannien ein altes Land ist und anschließend erklärt, in diesem Band ginge es hauptsächlich um Werwölfe, aber Vampire und Magi würden auch behandelt.

Mit dieser Hiobsbotschaft mache ich mich dann an die Lektüre von Kapitel 1 „The Lie of the Land“ – und bin zunächst positiv überrascht. Einem kursorischen Überblick über das Land folgt sogleich die Abhandlung über Vampire. Zunächst liest man über die Tagespolitik und die Ziele der einzelnen Konvente. Großbritannien an sich zeichnet sich durch viele alte Vampire aus, mit der seltsamen Ausnahme von London, über das eine gerade mal 200 Jahre alte Regentin herrscht – im Allgemeinen machen sich alte Vampire hier rar. Dies liegt an einem alle paar Jahrhunderte auftauchenden Phänomen: The Cull, über das nur kryptische Aufzeichnungen existieren. Keiner redet darüber, nicht mal die Autoren, und so bleibe auch ich als SL im Dunkel. Schade. Eine schöne Idee ist auch die Blutfarm von Plymouth, in der illegale Einwanderer von einem geldgierigen menschlichen Geschäftmann zu Blutkonserven verarbeitet werden. Ein guter Antagonist – auch für Werwölfe, wie mir die Autoren zu verstehen geben.

Der ihnen gewidmete Abschnitt folgt dann auch sogleich. Es wird auch hier die Rolle der einzelnen Gruppierungen besprochen, so sind die „Pure Tribes“ in Großbritannien zumindest in der Wildnis in der Überzahl und belagern und bedrängen die „Forsaken“ regelrecht. Diese geänderten Machtverhältnisse prägen das Spiel in England. Weiterhin wird „the Other“, wie das Schattenreich hier genannt wird, beschrieben. Es folgen ellenlange Seiten über die Geisterwelt und die verschiedenen Arten von Geistern, die es hier so gibt. Kerzen, Füchse, Flüsse, Städte, Was-auch-immer sind von Geistern beseelt, mit denen man scheinbar interagieren kann. So richtig gut kenne ich mich mit „Werwolf: The Forsaken“ ja nicht aus, aber das muss ich auch nicht, wenn ich einen „World of Darkness“-Band lese.

Doch dann gibt es auch noch zwei Schmankerl zum Schluss: einmal die Beschreibung diverser Orte in „the Other“, wie  Glasgow, das Geisterdistrikte hat, die gleichzeitig da sind und auch nicht und in denen Straßen und Erinnerungen à la „Dark City“ verrückt werden. So was gefällt mir immer. Sowie der Abschnitt über Magi, der inhaltlich äquivalent zu den Vorangeganenen ist; wie sind die Magi organisiert und was wollen die einzelnen Orden. Insgesamt das beste Kapitel aus dem Buch, da die Fokussierung auf Werwölfe nicht absolut ist und man mit diesem als Mensch, der „Werwolf“ nicht spielt, auch was anfangen kann. Um eine grobe Vorstellung der Gewichtung zu bekommen: Vampire – 7 Seiten, Werwölfe – 23 Seiten, Magier – 6 Seiten. Ich werde die Zählung am Ende eines jeden Kapitels fortführen.

Kapitel 2 „Keys to Kingdom“ hat meinen Lesespaß dann blutig hingerichtet, denn hier werden die Warnungen wahr gemacht. Es geht um Werwölfe, Werwölfe und nochmals Werwölfe. Zunächst einmal werden den „Blood Talons“, „Iron Masters“, „Storm Lords“, etc. in ihrer spezifisch englischen Ausprägung über jeweils zwei Seiten beschrieben. Insgesamt läuft es darauf hinaus, dass man aufgrund der längeren Geschichte traditionsverbundener ist als in den USA. Es folgt dann eine halbe Tonne „Lodges“, die eben auch nur für „Werewolf“-Spieler einen echten Nährwert haben. Aber ich will nicht verheimlichen, dass ein paar der Gruppierungen zumindest ein unterhaltsames Grundkonzept hatten. Etwa die „Lodge of Echoes“, die sich wie Krieger alter Zeiten kleiden und verhalten; ich stelle mir schon den Highlander im Supermarkt vor. Am Ende des Kapitels noch neue magische Gegenstände und Zauber – hier Fetische und Riten genannt. Seitenzählung: Vampire – 7 Seiten, Werwölfe – 62 Seiten, Magier 6 Seiten.

Kapitel 3 „The Isles by the Moonlight“ beginnt mit ein paar warnenden Worten über die rollenspielerische Darstellung in einer britischen Kampagne. Man solle Akzente vermeiden und sich eher auf eine Atmosphäre von Distanz und hartem Realismus konzentrieren. Da einem sogar konkrete Handlungsanleitungen gegeben werden, bin ich mit der Doppelseite durchaus zufrieden. Es folgt werwolfspezifisches Material, nämlich eine Beschreibung der Gruppierungen der „Pure Tribes“ und wie diese den Spielercharakteren das Leben schwer machen können. Noch ein paar Seiten Tipps zur atmosphärischen Aufbereitung von Stadt und Land durch den Spielleiter und einige Worte zum Spiel in unterschiedlichen Epochen (1980, 1940, 1880), die ich – obwohl doch irgendwie auf Werwölfe zugeschnitten – allen Gruppen in der Seitenzählung zugestehe. Zwischenstand: Vampire - 17, Werwölfe 80, Magier 16.

Kapitel 4 ist ein Katalog an NSCs, die Großbritannien bevölkern. Man hat sich hier sehr große Mühe gegeben, denn jede Person wird mit Zielen und Motiven, ihrer Geschichte, Werten sowie möglicherweise der ihr assoziierten Gruppierung beschrieben. Dabei finden sich gute Ideen und ausgereifte Konzepte, von denen ich hier einige beispielhaft ausführen möchte. Da wären:

  • Butchers, der junge Mekhet, der sich mit moderner Technologie umgibt, mit Informationen handelt und Zugang zum Londoner Überwachungsnetz CCTV hat.
  • Erskine Fletcher, ein junger Vampir, der alle enttäuscht, weil er seinen Weg geht. Seinen elterlichen Konflikt hat er auf seinen Erschaffer von den Invictus übertragen.
  • „The Irregulars“, eine paramilitärische Eingreiftruppe von Werwölfen, die besonders schwere Problemfälle mit Geistern meistens gewaltätig beendet.
  • „Extremis“, eine post-moderne Punkband aus Werwölfen, die möglichst viele der „Pure Tribes“ vernichten möchte.
  • „The Man under London“, eine kleinere Inkarnation Londons.
  • O'Malley, ein Magus, der gegen die starren Hierarchien und strengen Regeln bezüglich Magie kämpft.

Abschließend werden noch einige übernatürliche Gestalten, die keine Magier, Vampire oder Werwölfe sind beschrieben. Insgesamt hat das Kapitel 67 Seiten, von denen der Großteil wieder den Werwölfen gewidmet ist. Abschließend: Vampire – 23, Werwölfe – 130, Magier 20.

Fazit: Wie bewertet man ein solches Buch? Ich will, trotz mangelnden Lesespaßes meinerseits, versuchen, objektiv zu bleiben. Heben wir die positiven Punkte hervor: Der Quellband bietet eine Menge ausführliches Material in puncto NSCs und Gruppierungen und arbeitet ein bestimmtes Flair heraus, dass die Autoren für typisch britisch halten. Ob es das ist, will ich bezweifeln – ich bin aber auch kein anerkannter Englandexperte. Sie haben auf jeden Fall ihre Linie durchgehalten. Die NSCs sind lebendig beschrieben und farbenreich und für Regelfans gibt es, leider mal wieder im Text verstreut, harte Fakten für den Charakterbogen.

Das Negative: Es geht in diesem Buch um Werwölfe, wie das Verhältnis der Seitenzahlen eindrücklich zeigt. Und die Abschnitte über Magier und Vampire sind ebenfalls in Hinsicht auf ihre Interaktion mit einer Werwolfgruppe (sei es als Gegner oder als Verbündete) geschrieben. Das Buch hat definitiv das falsche Label abbekommen. Absicht im Rahmen einer Verkaufsstrategie möchte ich dahinter nicht vermuten – eher Dusseligkeit. Ärgerlich bleibt es allemal, denn wenn man „Werewolf“ nicht spielt, kann man mit „Shadows of the UK“ so gut wie nichts anfangen. Ein weiteres Manko, das mir an vielen White-Wolf-Büchern aufgefallen ist, ist der ausufernde Stil, in dem es geschrieben wurde: sehr viele Worte für manchmal doch recht wenig Substrat.

Wer eine Werwolf-Chronik spielt, kann sich den Band guten Gewissens kaufen. Wer kein „Werewolf“ spielt, sollte tunlichst die Finger davon lassen.


Shadows of the UK
Quellenbuch
Aaron Dembski-Bowden, Howard Ingham, Charles Wendig, Stewart Wilson
White Wolf 2006
ISBN: 1588463346
192 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 29,99

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