Shadowrun 65: Das Bronzetor

Daniel P. Fox, ein britischer Geheimagent, wird von seinem Kumpel Oz angeheuert, um während seines Urlaubs gemeinsam mit einem Runnerteam in Seattle einer jungen Deckerin Personenschutz zu leisten. Die hat einem hohen Exec des Aztech-Konzerns wertvolle Daten gestohlen und ist nun ihres Lebens nicht mehr sicher. Doch schon bald muss Fox erkennen, dass sein Schützling Eliza nicht die einzige Person ist, die im Fadenkreuz der gegnerischen Aufmerksamkeit steht.

von Frank Stein

 

Ich habe im Laufe meiner Rollenspieljahre eine ganze Reihe „Shadowrun“-Romane gelesen – und irgendwie habe ich das Gefühl, das man sie in zwei Kategorien unterteilen kann. Zum einen sind da die Geschichten, die von „normalen“ Autoren explizit ersonnen wurden – die Klassiker von Robert N. Charette oder Nigel Findley gehören eindeutig hierzu. Zum anderen existieren aber auch Romane, die ganz offensichtlich aus der Feder von „Shadowrun“-Rollenspielern stammen, die hier – nicht immer, aber immer mal wieder – die Abenteuer ihrer eigenen Gruppe zu Papier gebracht haben. Ich mag Sebastian Schaefer Unrecht tun, aber „Das Bronzetor“ (eine überarbeitete Neuausgabe des alten FanPro-Romans „Hand am Hort“) erweckt den Eindruck, genau so ein Roman zu sein.

Woran macht sich dieser Eindruck fest? Zum einen beginnt „Das Bronzetor“ sehr ungewöhnlich mit einer ganzen Reihe von Kapiteln, die alle jeweils einen Charakter des späteren Teams vorstellen. Dieser Teil des Romans hatte für mich eine merkwürdige Déjà-vu-Erfahrung zur Folge, denn genau so – hüstel – hatte auch mein Manuskript eines „Shadowrun“-Romans vor mehreren Jahren begonnen (der natürlich die Abenteuer meiner Gruppe zu Papier bringen sollte). Da wird Daniel P. Fox in 007-Manier mit einem spektakulären Einbruch eingeführt – was ja noch zur Hauptfigur gepasst hätte –, dann die sexy Straßensamurai Melody, der kraftstrotzende Troll-Rigger Mongo, die lässige Messerklaue Blinky, der Akademiker-Zwergenmagier Beowulf und zuletzt die Deckerin Eliza Young.

Diese bunt gemischte Truppe cooler Recken trifft sich in Seattle, um Eliza Personenschutz zu geben, bis die sich verdrücken kann, nachdem sie sich mit dem Aztech-Fiesling Drake (nein, er ist kein Drache) angelegt hat. Hier haben wir übrigens ein weiteres Indiz: Die Helden sind wirklich alle cool. Und die Nebenfiguren sind auch cool – egal ob der „Terminator“-Verschnitt Nazareth, der „heiße“ Wassergeist Undine, der Schieber Oz, seine Freundin Venus (eine Hackerin mit Modelmaßen), die gradlinige (und eigentlich zu den Guten gehörende, auch wenn sie es noch nicht weiß) Aztech-Offizieren Vanessa Hernandez usw. Die Wissenschaftler sind derweil entweder gediegene hermetische Magier oder kitteltragende Eierköpfe, die beiden Konzernkontrahenten Drake und sein Rivale Silkworm (auch kein Drache) präsentieren sich schließlich als enigmatische Persönlichkeiten mit erstaunlich weit reichenden Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und diabolisch ausgefuchsten Plänen. Sprich: Das Ensemble ist so klassisch, wie man es in ungezählten Rollenspielabenteuern an ungezählten Spieltischen bereits hat kennen lernen können.

Das per se ist noch nicht schlecht. Vielleicht ein bisschen vorhersehbar (und – in der Art, wie sich unter den Helden im Laufe der Handlung Pärchen finden – etwas kitschig), aber es gelingt ganz gut, eine Truppe zusammenzuschweißen, mit der man als Leser gerne unterwegs ist – auch wenn so manche neckische Stichelei beinahe schmerzhaft an alberne Abende in gemischten Rollenspielrunden erinnern (diese Abende, an denen ein Spielleiter Mühe hat, auch nur zwei Sätze in seinem vorbereiteten Manuskript voran zu kommen). Zudem mag es manchem sauer aufstoßen, dass die Protagonisten eigentlich immer gewinnen, und dies zum Teil mit bemerkenswerter Hardware. Hiermit erinnert „Das Bronzetor“ eher an die frühen „Shadowrun“-Romane, in denen noch recht freizügig mit großen Waffen umgegangen wurde, als dass es sich in die Linie düsterer, schmutziger Geschichten der jüngeren Vergangenheit einreiht.

Ungewöhnlich für einen „Shadowrun“-Roman ist die Herausforderung, vor die sich die Helden am Ende gestellt sehen. Es mag einigen nicht bekannt sein, aber als FASA vor vielen Jahren das Fantasy-Rollenspiel „Earthdawn“ herausbrachte, sah es dieses als fantastisches Vorzeitszenario unserer Erde an – und somit zum Cross-Over mit dem fantastischen Zukunftsszenario „Shadowrun“ explizit freigegeben. Romane wie „Die endlosen Welten“ von Caroline Spector haben dem bereits auf faszinierende Art und Weise Rechnung getragen. Und auch Sebastian Schaefers Geschichte scheint sich der „Earthdawn“-Vergangenheit von „Shadowrun“ zu erinnern. Ich bin kein Experte in diesem System, aber die unterirdische Welt, in welche die Protagonisten gegen Ende eintreten, erinnert mich schwer an ein von Dämonen verseuchtes Kaer, und auch die Handlung selbst erhält einen mythischen Touch. Mal was anderes als der verkorkste Run der Woche.

Fazit: Sebastian Schaefers „Shadowrun“-Roman „Das Bronzetor“ ist sicher kein Meilenstein dieses Subgenres: sein Stil ist recht einfach gehalten, die Figuren bilden ein ziemlich klassisches Ensemble und obendrein sind sie auch fast zu gut (bewaffnet, ausgerüstet und befähigt), um wahr zu sein. Allerdings finden sich immer wieder Momente, die positiv überraschen, etwa das Beziehung zwischen dem „Terminator“ Nazareth und dem Jungen „Amadeus“ oder der Handlungsdrift hinein in die „Earthdawn“-Mythologie (wenn’s denn so ist). Ich habe es nicht bereut, den Roman gelesen zu haben, hatte sogar über weite Strecken meinen Spaß mit der Geschichte – nur das Ende ist ein bisschen seeehr gefühlsduselig …


Das Bronzetor (Shadowrun-Roman Nr. 65)
Rollenspiel-Roman
Sebastian Schaefer
Heyne 2008
ISBN: 978-3-453-52262-6
349 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 7,95

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