Shadowrun 64: Kellan Colt 1: Born to Run

Willkommen in der Welt der Shadowrunner, Chummer! Wenn du wissen willst, was läuft, wie’s läuft und wo’s läuft, dann brauchst du ganz klar die richtige Einstiegslektüre. Und hier empfiehlt sich der neue Roman von Stephen Kenson mit dem vielsagenden Titel „Born to Run“, der eine blutige Anfängerin, Kellan Colt, aus dem Provinznest Kansas City, in die Mutter aller Schattenstädte führt: nach Seattle.

von Bernd Perplies

 

Kellan Colt, so verrät uns der Buchrücken des jüngst bei FanPro erschienenen „Shadowrun“-Romanes, möchte endlich eine richtige Shadowrunnerin werden. Als sie ein Paket ihrer verschwundenen Mutter aus Seattle bekommt, das sie mit einem seltsamen Drachen-Amulett und einem Einsteigerset für angehende Schattenläufer versorgt (Granaten, Schockstab, Panzerweste), beschließt sie, sich auf den Weg dorthin zu machen. Dort lockt das großte Geld, denn Seattle ist die Hochburg der Runner und Anlaufstelle für lukrative Jobs.

In Seattle freundet sich Kellan mit dem Ork G-Dogg an, der Newbies unter seine Fittiche nimmt. Außerdem stellt sie auf spektakuläre Weise fest, dass sie irgendwie magisch begabt ist, woraufhin sie G-Dogg dem alten Trollmagier Lothan vorstellt, der ihr helfen soll, ihre neu entdeckten Kräfte zu kanalisieren. Damit gleichzeitig ein bisschen Kohle rumkommt, heuert der Troll Kellan zudem für einen Job an, einen Überfall auf einen Ares-Gütertransport. Der Run selbst ist simpel, aber irgendwie ergibt er keinen Sinn und obendrein gefällt Kellan irgendetwas an ihrem Mr. Johnson überhaupt nicht. Sie beginnt Nachforschungen anzustellen und entdeckt dabei nach und nach, dass es um viel mehr geht, als nur eine Ladung Unterhaltungselektronik.

„Born to Run“ liest sich tatsächlich wie die Begleitlektüre zum „Shadowrun“-Grundregelwerk. Die Protagonistin ist ein absoluter Neuling in den Schatten, genau wie die Spieler es sein werden, der Schauplatz ist Seattle, wo auch eine Spielerkampagne höchstwahrscheinlich starten würde, und die bunte Riege an Nebenfiguren – von G-Dogg, dem Straßensamurai, über Lothan, dem Magier, bis hin zu Jackie Ozone, der Deckerin – dient nicht nur Kellan als Führer und Tutoren durch die verschiedenen Lebensbereiche eines Runners – vom Szene-Club über die Astralebene bis hin zur Matrix –, sondern bringt auch ganz nebenbei (wenn auch mitunter durchaus unsubtil) Neulingen des Rollenspiels spielerisch all die Dinge nahe, die für ihn wichtig sind.

Die Handlung wirkt zugegeben ein wenig wie aus dem „Shadowrun“-Masterplot-Generator ausgespuckt: Neuling tritt in die Schatten ein, lernt Leute kennen (natürlich aus allen wichtigen Archetypenklassen), zieht ersten Run durch, irgendwas stinkt, man forscht nach, oho (!), da steckt ja noch mehr dahinter, nun drehen wir aber den Spieß um und am Ende ist eigentlich alles prima, wenn nicht ein Unheil verheißender „Akte-X“-Twist hinter den Kulissen die Spannungsschraube wieder anziehen würde... für die Fortsetzung. Wenn man so will, alles ziemlicher Standard.

Auf der anderen Seite sind ein paar der Charaktere echt cool. Vor allem der kumpelhafte Ork G-Dogg gefällt mir und dass er ganz offensichtlich ein Auge auf Kellan geworfen hat, macht ihn sogar noch eine Spur interessanter – auch wenn ich mir nicht wirklich vorstellen kann, dass sich Kenson traut, aus den beiden ein Paar zu machen. Dafür ist schon der vorliegende Roman viel zu brav, viel zu jugendfrei und ganz eindeutig auf neue (junge) Runner und Rollenspieler zugeschnitten. Auch der mysteriöse Street Deacon steckt voller erzählerischem Potential. Er ist der Loner der Truppe, der Profi, der Cyber-Clint-Eastwood, von dem man nur weiß, dass er eine irgendwie unerfreuliche Vergangenheit hatte und nicht der Kerl ist, der bei einem Bier darüber reden will. Leider taucht er nur relativ kurz in der Handlung auf und er reiht sich natürlich auch nicht in die fröhliche Clique ein, die Kellan am Ende mit G-Dogg, dem Elfenpunk Orion, dem Zwergenrigger Silver Max und der Magierin Liada um sich herum aufgebaut hat. So kann man nur hoffen, dass sich Kenson später etwas mehr Zeit für diesen geheimnisvollen Straßenkrieger nimmt.

Wenn übrigens dem einen oder anderen die hier genannten Namen irgendwie bekannt vorkommen, ist das kein Zufall. Fast die komplette Charakterriege – Kellan, G-Dogg, Street Deacon, Lothan, Silver Max und Liada – wurde der ersten Serie der so genannten „Shadowrun Duels“-Figuren entnommen, einer Variante der beliebten Clix-Sammelfigurenspiele mit 15 cm großen Figuren, die man fertig bemalt und mit der bekannten Kampfscheibe in der Figurenbasis sowie optionalen Ausrüstungsgegenständen versehen, kaufen und dann gegeneinander in den Straßenkampf schicken kann. Allerdings muss man dazu sagen: so cool die Figuren auch aussehen, sie sind doch gepfeffert teuer und über zwei Sets mit insgesamt 13 Figuren nicht hinausgekommen. (Doch das nur nebenbei...)

Fazit: „Born to Run“ ist eindeutig ein Roman, der sich an Einsteiger in das „Shadowrun“-Rollenspiel wendet. In einer weitgehend schnörkellosen Story folgt man der jungen Kellan Colt und lernt dabei allerlei über Seattle, die Schatten, die Matrix und die Magie. Gestandenen Runnern mag das zu unspektakulär sein, wer jedoch erste Schritte in dieses Universum unternehmen will, dem reicht G-Dogg freundschaftlich die Pranke. Oh, und bevor ich es vergesse: 9 Euro pro Buch sind immer noch zu viel!


Kellan Colt 1: Born to Run (Shadowrun-Roman Nr. 64)
Rollenspiel-Roman
Stephen Kenson
Fantasy Productions 2004
ISBN: 3-89064-564-X
267 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 9,00

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