Shadowrun 49: Auf dem Sprung

Im Prinzip ist es eine coole Sache: Während Roman-Adaptionen einschlägiger Genre-Universen – sei es nun zu Filmen, Serien, Rollenspielen oder was-auch-immer – normalerweise fest in der Hand US-amerikanischer Autoren liegen, ist es im Fall von Shadowrun gelungen, den Griffel erfolgreich von englischsprachigen Schreibern wie Nigel Findley, Nyx Smith oder Stephen Kenson an ihre deutschen Kollegen weiterzureichen, die selbigen seit Band 45 der Shadowrun-Taschenbuchreihe bei Heyne nun fest in der Hand halten (woran übrigens die Fanpro-eigene Shadowrun-Buchreihe nicht unschuldig sein könnte, sind doch die meisten der neuen Heyne-Bände dort zuerst erschienen; aber das nur am Rande).

von Frank Stein

 

Erfolgreich heißt in diesem Falle leider vor allem quantitativ und nicht qualitativ. So hat man mitunter das Gefühl, dass die deutschen Schreibtisch-Runner nicht Autoren sind, die sich im Rollenspiel-Genre versuchen, sondern Rollenspieler, die mal ein Buch schreiben wollten – am besten über die Abenteuer, die sie vorher mit ihrer eigenen Spielgruppe erlebt haben. Ein solches Beispiel erscheint mir der Roman „Auf dem Sprung“ von Harri Aßmann zu sein.

Das beginnt völlig unsubtil mit einer Danksagung an das eigene Team Pik-Dame, das zufällig den gleichen Namen trägt, wie die Protagonistengruppierung in der Geschichte. (Das an und für sich wäre ja okay.) Deutlicher wird es in der Handlung und der Schreibe, die Aßmann dem Leser präsentiert. Die Geschichte spielt in Hamburg und handelt im Prinzip von dem Söldner Paul, der nach einer verwirrenden Datenklau-Operation von einem Konzern-Magier seines Gedächtnisses beraubt wurde, derweil sich mindestens drei Interessengruppen (das Söldnerteam „Der sibirsche Bär“, die Runnertruppe Pik-Dame sowie alte Freunde des eigentlichen Datendiebes Chardwin Brown) in die Angelegenheit einmischen. Paul wird von Pik-Dame vor dem Bären gerettet, die eigentlich Chardwin Brown beschützen sollten, der stattdessen später tot in dem Schlafsarg gefunden wird, der wiederum Paul gehört. Mit vielen Fragen flieht man weiter vor den Elite-Söldnern, wobei der Weg über die Müllhalde Hamburgs in den Hanse-Meta-Untergrund führt. In der Zwischenzeit treffen alte Freunde von Brown ein, die glauben, dass Paul, der natürlich nach dem Ableben seines Kontrakts die Fühler nach Hintergrundinfos ausstreckt, hinter dem Tod ihres Freundes steckt. Tatsächlich decken sich jedoch nach und nach perfide Konzerninteressen auf, in deren Zentrum der experimentierfreudige und völlig skrupellose Magier Stefan Brückner befindet, der Cyberware und Magie verschmelzen will.

Diese Handlungsbeschreibung kann nur rudimentär sein und spart mindestens zwei Parallelhandlungen aus, die in kurzen Intermezzos in die „Haupthandlung“ eingewoben sind. Alles in allem verstrickt sich das Ganze zu einem durchaus erfreulich actionlastigen, aber auch unglaublich verwirrenden Storygeflecht, dessen Auflösung auch nach Ende des Romans – und dies trotz einer Reihe sehr auffälliger „Jetzt-erklären-wir-euch-mal-was-hinter-all-dem-steckt“-Sequenzen – nicht ganz geklärt ist. Es fühlt sich ein bisschen wie ein im Prinzip spannendes Rollenspiel-Abenteuer an, das nicht ganz funktioniert hat, weil der Meister den Spielern zu wenig oder zu gut versteckte Infos gegeben hat.

So stolpern die Charaktere von Hinweis zu Hinweis und dabei kommt es zu Szenen, die als Funktionsträger in dem Roman absolut sinnlos anmuten, aber – wie man weiß – aus der Dynamik des Rollenspiels durchaus immer wieder entstehen. Beispiel gefällig: Straßensamurai Zack und Schamane Claw treffen zum ersten Mal aufeinander. Sie prügeln sich. Claw verliert und wird bewusstlos. Zack rennt zum Straßendoc und der erklärt ihm, dass Claw wohl in der Astralebene sei und sein Körper zurückgebracht werden müsste. Zack rennt zurück. Claw wacht auf, beide fauchen sich nochmal an, dann gehen sie was essen. Kaum sind sie in dem Imbiss angekommen, provoziert Claw für Zack einen Streit mit einer Straßengang. Kurzes Gekeile. Dann gehen sie wieder essen, diesmal schick. – Wenn man dies liest, fragt man sich, was das alles soll. Als reine Romanhandlung irgendwie absurd, mutet es vielmehr wie das zwischen viel Pizza und Softdrinks vollzogene Bespielen zweier RPG-Charaktere an.

Hinzu kommt noch, dass der Schreibstil unausgegoren schwankt: Mal ist er okay und man taucht eine Weile in die Story ein. Dann wieder wirkt er regelrecht amateurhaft, mit viel zu knappen Satzkonstruktionen und einem Klischeedenken, das nur aus der Interaktion männlicher, pubertierende Rollenspieler entstehen kann (das soll nicht arrogant klingen – ich war selbst einer und habe ähnliche Situationen während unserer Gaming-Sessions erlebt und befördert). Wer sonst würde ernsthaft fantasieren, dass sich ein pickeliger Decker während eines Feuergefechts ängstlich am Busen seiner sexy Elfenkollegin festhält. Hallo?!

Manchmal reicht es ja, wenn man von den Figuren fasziniert ist, um von ihnen durch eine an sich mittelmäßige bis schlechte Handlung gezogen zu werden. Leider trifft auch dies nicht wirklich für „Auf dem Sprung“ zu. Das hat zwei Gründe. Erstens gibt es einfach zu viele und dabei relativ farblos bleibende Protagonisten und zweitens springt Aßmann auch so wild in den Erzählperspektiven, dass man keine Beziehung zu ihnen aufbauen kann. Eine Weile hält man Paul für den „Helden“, dann schiebt sich der Straßensamurai Zack ins Bild, plötzlich taucht die Magierin Pandora auf, außerdem treibt sich da noch eine ganze Weile der Solokünstler Snap rum (der Busengrapscher von oben). Dazwischen haben noch Chet der Ork, Lücke der Rattenschamane, Candle die Magierin, Claw der Löwenschamane, Ratón die Riggerin und Icebaby die Deckerin mal mehr, mal weniger wichtige Rollen zu spielen. Im Film hieße sowas Ensemble-Stück und käme von Robert Altman (aber der ist um einiges erfahrener im Umgang mit großen Darstellerriegen). Dabei haben einige der Figuren für sich genommen durchaus das Potential zum Romanhelden: Gerne hätte ich mehr von der taubstummen Deckerin Icebaby gelesen und auch ihr Kollege Snap, der sich in der Matrix als Comic-Held versteht und in der Realität unter einem Hirntrauma leidet, gehört zu den spannenderen Persönlichkeiten.

Das alles tut mir irgendwie leid. Denn ganz offensichtlich weiß Aßmann, wovon er spricht. Die Regelbücher zu Shadowrun hat er sicher gelesen – manchmal fast zu offentlich. Dass er es aber nicht schafft, dieses Wissen in eine gut durchdachte und sprachlich umgesetzte Romanhandlung zu transportieren, macht mich traurig, denn es zeigt, dass deutsche Autoren zwar erfolgreich ein Genre-Universum übernehmen können, aber dass sie in der fantasievollen Ausfüllung desselben ihren amerikanischen Kollegen mitunter noch um einiges hinterherhinken.

Fazit: Ein durchwachsenes Vergnügen. Knackiger Action und einer teils wirklich netten Charakterriege, steht eine etwas diffuse Handlung und ein qualitativ uneinheitlicher Schreibstil gegenüber, beides Aspekte, die den Verdacht aufkommen lassen, das verschriftlichte Abenteuer einer Rollenspielgruppe zu lesen. Rollenspieler werden dementsprechend an dem Buch vielleicht ihre Freude haben, weil sie sich an ihre eigenen Sessions erinnert fühlen, reinen Freunden von Dark-Future-Romanen ist es allerdings nicht zu empfehlen.

Dieser Artikel erschien usprünglich auf www.x-zine.de.


Auf dem Sprung (Shadowrun-Roman Nr. 49)
Rollenspiel-Roman
Harri Aßmann
Heyne 2003
ISBN: 3453871928
349 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 7,95

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